Volksentscheid zur Finanzierung von Abtreibungen
Die kontroverse Abtreibungsfrage kehrt in der Schweiz aufs politische Tapet zurück: Eine Volksinitiative verlangt, dass der Schwangerschaftsabbruch nicht mehr von der obligatorischen Krankenversicherung bezahlt wird. Das Stimmvolk wird am 9. Februar 2014 darüber abstimmen.
Die ewigen und teils heftigen Diskussionen zur gesetzlichen Regelung der Abtreibung schienen mit der Volksabstimmung vom Juni 2002 definitiv beendet. Damals sagten 72 Prozent der Stimmenden Ja zur sogenannten Fristenlösung, welche den straffreien Schwangerschaftsabbruch für Frauen in einer Notlage in den ersten zwölf Wochen vorsieht. Umgekehrt wurde eine Initiative mit 82 Prozent bachab geschickt, wonach die Mehrheit der Schwangerschafts-Unterbrüche hätte verboten werden müssen.
«Abtreibungsfinanzierung ist Privatsache – Entlastung der Krankenversicherung durch Streichung der Kosten des Schwangerschaftsabbruchs aus der obligatorischen Grundversicherung“ wurde von einer überparteilichen Gruppierung lanciert. Dahinter stehen konservativ christliche Kreise.
Die Volksinitiative verlangt einen neuen Artikel (Art. 117 Abs. 3) in der Bundesverfassung mit folgendem Wortlaut: «Unter Vorbehalt von seltenen Ausnahmen seitens der Mutter sind Schwangerschaftsabbruch und Mehrlingsreduktion im Obligatorium nicht eingeschlossen.»
Wie bei allen Verfassungsänderungen braucht auch diese Initiative ein doppeltes Mehr von Volk und Ständen (Kantonen), um angenommen zu werden. Die Abstimmung findet am 9.Februar 2014 statt.
Die Kosten für Abtreibungen
Gemäss den offiziellen Zahlen liegen die Kosten für einen Schwangerschaftsabbruch zwischen 600 und 3000 Franken. Ein medikamentöser Schwangerschaftsabbruch kostet in der Regel 650 Franken, ein chirurgischer Eingriff 1000 Franken.
Gesamthaft werden die Kosten auf 8 Millionen Franken pro Jahr geschätzt. Zusammen mit den Nachfolgenbehandlungen werden die Kosten auf 10 bis 12 Millionen Franken veranschlagt. Das entspricht 0,05 Prozent der Aufwendungen in der obligatorischen Grundversicherung.
Gleichwohl wird schon heute ein Teil der Kosten direkt von den Versicherten getragen (Selbstbehalt und Eigenanteil) und geht somit nicht zu Lasten der Grundversicherung.
Konservative Christen
Doch die Abtreibungsgegner haben sich erneut formiert. Dieses Mal geht es um die Finanzierung des freiwilligen Schwangerschaftsabbruchs. Nachdem ein Versuch im Parlament gescheitert war, die Abtreibung aus dem Leistungskatalog der Grundversicherung auszuschliessen, wurde 2009 der Weg der Volksinitiative eingeschlagen. Neben dem Finanzierungsverbot von Abtreibungen dürfen gemäss Initiative bei Mehrlingsschwangerschaften auch die Kosten für die Reduktion einzelner Embryonen nicht mehr aus der Grundversicherung entschädigt werden.
Die Volksinitiativemit dem Namen «Abtreibungsfinanzierung ist Privatsache» wurde von fast 110‘000 Stimmberechtigten unterschrieben und muss daher dem Volk zur Abstimmung vorgelegt werden. Im Parlament erhielt sie einzig Unterstützung von einzelnen Parlamentariern der Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP), der evangelischen Volkspartei (EVP) sowie einer knappen Mehrheit der Schweizerischen Volkspartei (SVP).
«Die Abtreibung bliebe legal, aber ihre Finanzierung müsste rein privat finanziert werden“, präzisiert alt Nationalrätin Elvira Bader (CVP), Ko-Präsidentin des Initiativkomitees, das aus konservativen Christen zusammengesetzt ist.
Abstimmung respektieren
Die Gegner sehen in dieser Volksinitiative einen Vorwand, um Abtreibungen zu erschweren. «Die Initianten wollen die Abtreibung mit neuen Mitteln bekämpfen, indem sie das Solidaritätsprinzip bemühen, das die Grundlage der obligatorischen Krankenversicherung darstellt“, meint CVP-Nationalrätin Lucrezia Meier-Schatz.
«Ich selbst und meine Partei wollten die Fristenlösung nicht. Aber eine klare Mehrheit der Bevölkerung hat sich dafür ausgesprochen. Und dies muss man respektieren», präzisiert Meier-Schatz. Zumal die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche seit Einführung der Fristenlösung und nach einem anfänglichen Rückgang in den letzten Jahren stabil geblieben sei. Rund 11‘000 Abtreibungen werden jährlich registriert. Vor der Revision des Strafrechts waren es mehr als 12‘000 im Jahr.
Hatten die Stimmbürger nicht richtig verstanden?
Die Befürworter der Volksinitiative sind der Ansicht, dass viele Stimmbürger 2002 nicht verstanden haben, was in Bezug auf das Krankenversicherungsgesetz (KVG) auf dem Spiel stand. Die Änderungen des KVG waren dem Stimmvolk damals gleichzeitig mit der Änderung des Artikels im Strafgesetzbuch unterbreitet worden. Alles war im Stimmbüchlein aufgeführt. Die Gegner schrieben damals sogar: «Es ist schlicht skandalös, dass auch Abtreibungsgegner gezwungen werden, mit ihren stets steigenden Krankenkassenprämien die Abtreibungen mitzufinanzieren.»
«Und doch haben wir während der Unterschriftensammlung festgestellt, dass viele Leuten nicht klar war, dass sie effektiv die Abtreibungen über die obligatorische Krankenversicherung mitfinanzieren“, sagt Elvira Bader.
Die Reduktion von Embryonen bei einer Mehrlingsschwangerschaft wird in der Regel durchgeführt, um Risiken zu reduzieren, vor allem bei möglichen Frühgeburten, und die Überlebenschancen der verbliebenen Embryonen zu erhöhen.
Die Mehrlingsreduktion unterstehe den gleichen gesetzlichen Verordnungen wie der Schwangerschafts-Unterbruch, erklärt das Bundesamt für Gesundheitswesen (BAG) auf Anfrage von swissinfo.ch.
Eine Frage der Ethik
Diese «Zwangsfinanzierung» bringt die Gegner von Abtreibungen laut den Befürwortern der Initiative in einen Gewissenskonflikt. Zudem widerspreche sie den Prinzipien des KVG, wonach es Aufgabe des Gesetzes sei, die Gesundheit zu fördern und vor Krankheiten zu bewahren. “Lebewesen müssen geschützt, nicht zerstört werden“, hält Elvira Bader fest. Es sei eine ethische und moralische Frage.
«Aus ethischer Sicht sollte die Gesundheit der Frau im Zentrum der Debatte stehen. In Wahrheit wird mit dieser Initiative über Geld, nicht über Gewissen debattiert “, entgegnet Lucrezia Meier-Schatz.
Gemäss der CVP-Parlamentariern würde im Fall einer Annahme der Initiative und einer Privatisierung der Abtreibung der Status Quo aus den Jahren vor 2002 wiederhergestellt – allerdings mit grossen sozialen Ungerechtigkeiten. Eine Minderheit von gut betuchten Frauen könne Abtreibungen unter guten Bedingungen vornehmen, während Frauen in prekären Situationen Gefahr liefen, einen Schwangerschaftsabbruch ausserhalb des gesetzlichen Rahmens vornehmen zu lassen.
«Die Prämien der privaten Krankenversicherungen sind nicht so hoch, dass man es sich nicht erlauben könnte. Ausserdem ist ein Schwangerschaftsabbruch gar nicht so teuer. Er führt nicht zu Armut. In Österreich werden Abtreibungen seit fast 40 Jahren privat bezahlt, und es gab weder einen Anstieg illegaler Schwangerschaftsabbrüche noch eine Zunahme des Armutsrisikos“, entgegnet Elvira Bader. Studien aus den USA zeigten indes auf, dass die Sexualität viel verantwortungsbewusster gelebt werde, wenn Abtreibungen privat bezahlt werden müssten.
Die Rückkehr der Engelmacher
Die Gegner der Vorlage argumentieren, dass die Abtreibungsrate heute in der Schweiz tief und deutlich unter der Rate in den USA liege: 7,1 Abtreibungen pro 1000 Frauen gegenüber 19,6 in den USA (gemäss Daten der UNO für das Jahr 2011). Es ist eine der weltweit tiefsten Abtreibungsraten. Vor allem bei jungen Frauen zwischen 15 und 19 Jahren gab es einen Rückgang von 6 auf 4,5 Abtreibungen pro tausend zwischen 2005 und 2012.
Dabei handelt es sich gerade um die Heranwachsenden, die nicht auf die Unterstützung ihrer Familien zählen können und sich aus finanziellen Gründen keinen privaten Schwangerschaftsabbruch leisten könnten. Sie würden gemäss Lucrezia Meier-Schatz nach anderen Wegen suchen: «Es würde die Rückkehr in die Zeiten der Engelmacher bedeuten.“
Laut Meier-Schatz würde dies letztlich wieder zu Lasten der obligatorischen Krankenversicherung gehen. So hätte man am Ende das Gegenteil dessen erreicht, was die Befürworter der Initiative anstrebten, nämlich eine Entlastung der Grundversicherung. «Denn Behandlungen, die in Folge nicht professionell ausgeführter Schwangerschaftsabbrüche anfallen, würden von der Krankenkassen bezahlt», betont sie.
Das Stimmvolk muss nun die Vor- und Nachteile der Initiative abwägen. Die Abstimmungskampagne verspricht sehr emotional zu werden.
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)
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