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Wachstum und Nachhaltigkeit in Einklang bringen

Cleantech-Pionierleistung: Das Bürogebäude Wattwerk in Bubendorf ist das erste energie-autarke Betriebsgebäude weltweit. Michael Peuckert

"Green Economy" ist in aller Munde und wird am Gipfel in Rio im Zentrum der Debatte stehen, wenn die internationale Gemeinschaft über nachhaltige Entwicklung und die künftige Weltwirtschaft diskutiert. Aber worum geht es bei der grünen Wirtschaft eigentlich?

Die natürlichen Ressourcen sind endlich und begrenzt. Dennoch wirtschaftet die Menschheit, als ob ihr ein weiterer Planet zur Verfügung stünde. Um die anstehenden Herausforderungen bewältigen zu können, sind neue, effiziente Produktionsmodelle nötig. Green Economy, die erstmals auf der internationalen Agenda steht, soll dies möglich machen.

Ob die Debatte um dieses Schlagwort am Nachhaltigkeitsgipfel vom 20. – 22. Juni in Rio konkrete Massnahmen zur Folge haben wird, ist zumindest fraglich, denn bereits bei den Vorverhandlungen zu Rio+20 zeigte sich, dass unter Green Economy nicht alle dasselbe verstehen und unterschiedliche Zielvorstellungen haben.

Für den Schweizer Wirtschaftsdachverbandes economiesuisse bildet die Kombination aus wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Faktoren die Grundlage für eine grüne Wirtschaft. Dank Green Economy soll die Wirtschaft weiter wachsen – bei geringerer Umweltbelastung und kleinerem Ressourcenverbrauch. Das tönt verlockend, aber ist dieses Ziel auch umsetzbar?

Ressourcen-Effizienz

Urs Näf, stellvertretender Leiter im Bereich Infrastruktur, Energie und Umwelt bei economiesuisse ist überzeugt, dass Wohlstand möglich ist, ohne mehr Ressourcen zu verbrauchen. «Deshalb müssen Wirtschaftswachstum und Umweltbelastung entkoppelt werden», sagt er gegenüber swissinfo.ch.» Will heissen, die Belastung der Umwelt muss abnehmen, auch wenn Bevölkerung und Wirtschaft weiter wachsen.

Ansätze dazu sieht er etwa in der qualitativen Verbesserung des Arbeitsprozesses, den neuen Technologien, der Energieeffizienz und der Nutzung erneuerbarer Energien an Stelle dreckiger Energieträger wie Kohle oder Schweröl.

Auch für Franz Perrez, Schweizer Delegationsleiter in Rio und Chef der Abteilung Internationales im Bundesamt für Umwelt BAFU, ist Green Economy mehr als nur ein Schlagwort: «Ihr Anteil an der gesamten Wirtschaft nimmt zu, ein Beispiel dafür ist Cleantech Switzerland, ein Zusammenschluss von exportorientierten Cleantech-Firmen. Aber auch weltweit investieren immer mehr Unternehmen in Green Economy.»

Als kleines, ressourcenarmes Land sei die Schweiz auf effiziente Technologien angewiesen, sagt Hans-Peter Egler, Leiter Handelsförderung beim Staatssekretariat für Wirtschaft Seco.

«Wir sind ein gutes Beispiel dafür, wie man mit diesen Herausforderungen umgehen kann. Dank Cleantech-Technologien arbeiten wir mit Partner-Ländern, insbesondere Entwicklungsländern, zusammen.» Vor allem in Ländern wie Indonesien, China und Indien sei das Interesse für eine nachhaltigere Zukunft gross, so Egler.

Knallharte Wirtschaftspolitik

Im Vorfeld des Gipfels macht sich die Schweiz stark für eine umfassende «Green-Economy-Roadmap». Die internationale Gemeinschaft soll sich auf konkrete Ziele und Massnahmen für eine grüne Wirtschaft einigen und so die nachhaltige Entwicklung und Armutsbekämpfung gemeinsam anpacken.

Entwicklungs- und Schwellenländer stehen der Grünen Wirtschaft allerdings skeptisch gegenüber. Der Süden befürchtet, die Industrieländer könnten höhere Umweltstandards einführen, um ihre eigenen Märkte zu schützen.

«Viele Entwicklungsländer sehen in der grünen Wirtschaft neue Handelsbarrieren, ohne deren Potential wirklich zu erkennen.» sagt Hans-Peter Egler vom Seco.

Laut Jürg Buri, dem Geschäftsführer der Schweizerischen Energiestiftung, geht es in Rio nicht in erster Linie um Klimapolitik, sondern um Wirtschaftspolitik auf globaler Ebene. «Die technologieführenden OECD-Länder wollen scharfe Umweltstandards, um die Billigländer wie China, Brasilien und Indien von ihren Märkten fernhalten zu können.

Für Buri ist eine grüne Wirtschaft, die auf Wachstum baut, ein Rohrkrepierer in sich. Es brauche den Mut, dieses Wachstumsgebot zu beseitigen und auf Kreislaufwirtschaft zu setzen, die schonend mit Ressourcen umgehe und anfallende Abfälle wieder verwerte.

Bedenken und Vorbehalte herrschen aber auch bei den Industrieländern. So sieht sich der Norden vermehrt durch billige Umwelttechnologien aus dem Süden, zum Beispiel aus China, bedroht.

Urs Näf von economiesuisse bangt etwa um die Konkurrenzfähigkeit von Ländern wie der Schweiz: «Es darf jedenfalls nicht sein, dass es für gewisse Länder quasi ein Recht darauf gibt, in Sachen Green Economy nichts machen zu müssen und damit ein soziales und Öko-Dumping zu begehen, nur damit sie wettbewerbsfähiger sind.»

Grüne Landwirtschaft

Eine Schlüsselfunktion an der Konferenz in Rio nimmt die Landwirtschaft ein, eine der grössten Umweltsünderinnen überhaupt. Grüne Technologien reichten nicht aus, um Umweltprobleme zu lösen und Armut und Hunger zu bekämpfen, hält das Hilfswerk Swissaid fest.

«Die Schweiz setzt in Rio zu einseitig auf die Umweltaspekte und anerkennt die Bedeutung der Armutsbekämpfung und das Recht auf Entwicklung in Entwicklungsländern zu wenig», sagt Tina Goethe, Agrarexpertin bei Swissaid. Das führe zu einem Konfrontationskurs, der keine Fortschritte bringe.

«Grüne Wirtschaft kann ein hilfreiches Konzept sein, ist aber im Vergleich zum Konzept der nachhaltigen Entwicklung verkürzt, weil es Wirtschaft und Ökologie im Titel trägt, die soziale Entwicklung aber völlig übersieht.»

Goethe setzt auf die Politik und hofft, dass in Rio die Wachstumsstrategie überdacht und anerkannt wird, dass es einen Kurswechsel braucht. «Immer mehr, immer schneller produzieren – dieses Modell muss hinterfragt werden. Denn Wachstum und Nachhaltigkeit liegen in einem gewissen Grad im Widerspruch.»

Keinen Widerspruch darin sieht der Schweizer Delegationsleiter Perrez, im Gegenteil. «Wachstum und Nachhaltigkeit brauchen einander. Der einzige Weg, Armut in der Welt zu überbrücken und Entwicklung und Wachstum für alle zu garantieren, ist, dies auf nachhaltiger Basis zu tun.»

Bundespräsidentin Eveline Widmer-Schlumpf und
Umweltministerin Doris Leuthard werden die Schweiz an der UNO-Nachhaltigkeits-Konferenz «Rio+20» vertreten. Diese findet vom 20. bis 22. Juni im brasilianischen Rio de Janeiro statt.

Widmer-Schlumpf wird an der Eröffnung teilnehmen, vor der Plenarversammlung eine Rede halten und sich an den Verhandlungen auf Präsidentenstufe beteiligen. Leuthard nimmt ebenfalls an den Verhandlungen teil.

20 Jahre nach der ersten Nachhaltigkeits-Konferenz in Brasilien trifft sich die Staatengemeinschaft vom 20.-22. Juni in Rio de Janeiro zum Gipfel Rio+20.

Ziel der Konferenz ist es, möglichst konkrete Vereinbarungen zu treffen, wie die Weltwirtschaft vorangetrieben und gleichzeitig die Umwelt geschützt werden kann.

Die Schweiz schlägt einen umfassenden internationalen Fahrplan für eine grüne Wirtschaft vor (Green Economy Roadmap). Sie erhält Unterstützung insbesondere von der EU.

Mehrere Entwicklungsländer zeigen sich gegenüber dem Konzept der grünen Wirtschaft skeptisch. Sie möchten die Verhandlungen primär auf Armutsbekämpfung und Entwicklung konzentrieren.

Einig sind sich die Staaten, dass es eine effiziente Institution braucht, um in der UNO die Umsetzung und Weiterentwicklung der Nachhaltigkeits-Agenda zu unterstützen und steuern. Die Schweiz hat in diesem Zusammenhang die Schaffung eines globalen Nachhaltigkeitsrates vorgeschlagen.

Der International Chamber of Commerce (ICC) definiert Green Economy als eine «Wirtschaft, in der Wachstum und Umweltverantwortung Hand in Hand gehen, sich gegenseitig stärken und so den sozialen Fortschritt unterstützen.

Handel und Industrie übernehmen eine entscheidende Rolle, indem sie marktfähige Produkte, Prozesse, Dienstleistungen und Lösungen anbieten, die für den Übergang zu einer Green Economy erforderlich sind».

Als Cleantech, das zu Green Economy gehört, bezeichnet man eine Ressourcen schonende und nachhaltige Art des Wirtschaftens.

Unter Cleantech werden diejenigen Technologien, Herstellverfahren und Dienstleistungen zusammengefasst, die zum Schutz und zur Erhaltung der natürlichen Ressourcen und Systeme beitragen.

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