«Der Präsident der ASO verfolgt eine sozialistische Agenda»
Die Schweizerische Volkspartei SVP hat in der ablaufenden Legislatur oft und klar gegen die Interessen der Auslandscheizer-Organisation (ASO) votiert. Dies zeigt eine Auswertung von swissinfo.ch. SVP-Nationalrat Claudio Zanetti, der im ASO-Rat sitzt, nimmt Stellung.
swissinfo.ch: Claudio Zanetti, unsere Auswertung zeigt, dass ihre Partei die Interessen der Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer nur schlecht vertreten hat. Ärgert sie das?
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Wer sich hinter die Bürgerinnen und Bürger im Ausland stellte – und wer nicht
Claudio Zanetti: Sie haben nur die offensichtlichsten Interessen der Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer analysiert – also jene der ASO. Die Ausweitung des automatischen Informationsaustausches zum Beispiel fehlt in Ihrer Auswertung. Dort waren wir von der SVP als einzige dagegen, weil dieser Austausch nicht im Interesse der im Ausland lebenden Schweizerinnen und Schweizer sein kann. Für Auslandschweizer in gewissen Ländern führt der Informationsaustausch zu Problemen. Ja, er kann sogar eine echte Gefahr darstellen. Da handelte die ASO im Interesse des Fiskus, und nicht im Interesse der eigenen Mitglieder.
swissinfo.ch: Sie werfen der ASO vor, sie habe gar nicht die Interessen der Auslandschweizer und Auslandschweizerinnen vertreten?
C.Z.: In der Regel vertritt die ASO natürlich die Interessen ihrer Mitglieder. Es gibt aber gewichtige Ausnahmen. Der Präsident der ASO, Remo Gysin, verfolgt eine stramm sozialistische Agenda. Darum ist bei den Ergebnissen der swissinfo.ch-Analyse auch die Übereinstimmung mit den Sozialdemokraten am grössten. Wir von der SVP vertreten hingegen die Meinung, das für die Fünfte Schweiz nicht gut sein kann, was für die Erste bis Vierte Schweiz schlecht ist, etwa die ungebremste Zuwanderung oder das Rahmenabkommen. Ordnungspolitische Grundsätze haben für uns Vorrang.
«Jede Auslandschweizer-Stimme kostet viel Geld. Bezahlt von den Steuern der Wohnbevölkerung.»
swissinfo.ch: Warum sind Sie gegen E-Voting?
C.Z.: Wir leben in der Ära der elektronischen Kriegsführung. Bei E-Voting wüssten wir nie, ob ein Abstimmungsresultat stimmt oder nicht. Dieser Zweifel macht jedes Resultat angreifbar. Das schwächt die Demokratie. Zudem kostet jede Auslandschweizer-Stimme viel Geld. In Zürich betrugen die Kosten bereits vor Jahren über 30 Franken, bezahlt vom Steuergeld der Wohnbevölkerung.
swissinfo.ch: Service Publique ist nie gratis. Reut Sie das Geld?
C.Z.: Wir könnten es uns schon leisten. Doch der grösste Teil der Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer lebt in Europa oder den USA, wo der Postweg kein Problem darstellt. Wenn sie in der Schweiz ganz abgelegen wohnen, dann haben sie auch nicht wie in Zürich alle sieben Minuten ein Tram vor der Haustür. Das sind selbst gewählte Umstände. Deswegen können wir nicht die ganze direkte Demokratie verwundbar machen, wo wir heute nicht verwundbar sind.
swissinfo.ch: Aber wir haben hier eine Infrastruktur, welche die Peripherie versorgt. Die Verfassung sagt, dass alle Schweizerinnen und Schweizer die gleichen Rechte haben. Gilt das für Sie nicht?
C.Z.: Gleichberechtigung kann nicht überall und absolut gelten. Auch das Bundesgericht fordert Gleichberechtigung nach Massgabe der Gleichheit und legitimiert Ungleichbehandlung nach Massgabe der Ungleichheit. Wenn Sie jemanden mit Wohnsitz Himalaya leicht anders behandeln als einen Zürcher, verletzen Sie doch nicht dessen Rechte. Er hat seinen Wohnsitz ja selbst gewählt. Da sehe ich keine Diskriminierung.
swissinfo.ch: Mit der Selbstbestimmungsinitiative, der Zuwanderungsinitiative und demnächst mit der Begrenzungsinitiative nimmt die SVP die Personenfreizügigkeit unter Dauerbeschuss. Fällt diese weg, stehen Schweizer und Schweizerinnen, die im EU/Efta-Raum leben, vor einer ungewissen Zukunft. Warum nimmt die SVP darauf keine Rücksicht?
C.Z.: Dass die Schweizerinnen und Schweizer im Ausland davon betroffen wären, ist eine Behauptung, für mich ein Scheinargument. Die Schweiz ist attraktiv und stark, das weiss auch die EU. Sie sagt zwar die Personenfreizügigkeit sei ihre grösste Errungenschaft. Dabei wissen alle, dass sie deren grösstes Problem ist. Als Schweizer möchte ich bestimmen können, wer in die Schweiz darf, und wen wir nicht reinlassen. An der Preisgabe dieses Rechts können auch Auslandschweizer kein Interesse haben.
«Wenn man einen Sozialstaat auf unserem Niveau behalten will, kann man nicht gleichzeitig die volle Personenfreizügigkeit gewähren. Das sollten auch die Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer begreifen.»
Wenn man einen Sozialstaat auf unserem Niveau behalten will, kann man nicht gleichzeitig die volle Personenfreizügigkeit gewähren. Das sollten auch die Auslandschweizer begreifen, es geht da immerhin auch um deren Sozialkassen. Sie wollen ja auch ihre Pensionskassen und Krankenkassen in der Schweiz haben können.
swissinfo.ch: Ist das nicht legitim?
C.Z.: Doch. Und es bedeutet: Wir machen in der Schweiz etwas besser als andere Länder. Also muss man dies schützen. Das machen wir, auch im Interesse der Auslandschweizer.
swissinfo.ch: Dazu gehören gerade auch die Ergänzungsleistungen. Ihre Partei wollte, dass Heimkehrer zehn Jahre warten müssen, bis sie Anrecht auf diese Existenzsicherung erhalten hätten. War das nicht unsolidarisch?
C.Z.: Ich weiss, ASO-Präsident Remo Gysin redete gar von einer Zweiklassen-Schweiz. Die gibt es tatsächlich: Es gibt jene, die einzahlen, und jene, die Geld erhalten. Man könnte nun sagen, bleiben wir solidarisch, mindestens mit allen Schweizern. Aber doch nicht auch noch mit der ganzen Welt! Wenn man ordnungspolitisch das Richtige tut, muss man auch mal Nein sagen, selbst wenn es schmerzt.
swissinfo.ch: Selbst wenn Sie die Interessen von Schweizer Bürgerinnen und Bürgern im Ausland torpedieren?
C.Z.: Selbstverständlich. Die beste Regierung ist nicht die, die immer nachgibt und Geld verteilt. Ein Verband wie die ASO darf manchmal kurzfristig handeln. Er muss seine Forderungen aufstellen. Wir als Partei müssen aber langfristig denken und für alle schauen.
swissinfo.ch: Und so nimmt die SVP auch in Kauf, dass ihr ein gewichtiges Elektorat den Rücken zukehrt?
C.Z.: Das müsste noch überprüft werden. Ich gehe davon aus, dass unser Einsatz für die Schweiz auch von Auslandschweizerinnen und Auslandschweizern geschätzt und honoriert wird.
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