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Lega dei Ticinesi: Von der Protest- zur Machtpartei

Zwei Männer halten zusammen eine Zeitung in der Hand und lachen.
Haben gut lachen: Boris Bignasca (Sohn des verstorbenen Lega-Gründers Giugliano Bignasca) und sein Onkel Attilio Bignasca (Ex-Koordinator der Lega dei Ticinesi) im März 2015 in Lugano. © Keystone / Ti-press / Samuel Golay

Die populistische Regionalbewegung "Lega dei Ticinesi" dürfte bei den anstehenden Kantonswahlen im Tessin erneut gewinnen. Mit ihrer anti-europäischen Politik und dem Motto "Zuerst die Tessiner" kommt sie beim Wahlvolk an, verfügt sogar über eine Mehrheit im Regierungsrat. Ein Wahlprogramm für die Legislatur 2019-2023 sucht man indes vergebens.

Tessiner Kantonswahlen

Am 7. April 2019 erneuern die Tessinerinnen und Tessiner die Kantonsregierung (Regierungsrat – fünf Sitze) und das Parlament (Grosser Rat – 90 Sitze). Mit 27,6 Prozent der Wählerstimmen konnte die Lega dei Ticinesi bei den Regierungsratswahlen von 2015 zwei Regierungsräte stellen. Die FDP folgte mit 26,25 Prozent Wählerstimmen, was nur für einen Regierungsrat reichte.

Die CVP erreichte 17,54 Prozent, was ihr auch einen Sitz in der Kantonsregierung sicherte, genauso wie der SP, die mit 14,81 Prozent den fünften Regierungssitz erhielt. Die SVP kandidierte auf einer eigenen Liste der «Rechten», welche 4,51 Prozent der Stimmen machte, weniger als die Grünen mit 6,5 Prozent.

Aus den Wahlen für den Grossen Rat (90 Sitze) ging die FDP als stärkste Fraktion hervor (24), gefolgt von Lega (22), CVP (17), SP (13), Grünen (6), Die Rechte (5), MpS + KP (2) sowie Montagna Viva (1). Die Lega hat sich für die Wahlen im April 2019 das Ziel gesetzt, auch in der Legislative die wählerstärkste Partei sein zu wollen.

Der Kanton Tessin ist ein Sonderfall in der Schweiz. Nicht nur, weil er der einzige (ausschliesslich) italienischsprachige Kanton der Schweiz ist, sondern auch weil er mehrheitlich von einer populistischen Partei regiert wird. Seit dem Jahr 2011 stellt die regionale Anti-EU-Bewegung Lega dei Ticinesi zwei von fünf Regierungsräten (Kantonsregierung).

Gemäss einer von der Corriere-del- Ticino-Gruppe veröffentlichten Umfrage sieht es danach aus, dass die Lega ihre beiden Mandate im Regierungsrat am kommenden 7. April bei den kantonalen Gesamterneuerungswahlen (Exekutive und Legislative) verteidigen kann. Der resolute Justizdirektor Norman Gobbi, 2015 SVP-Bundesratskandidat, und der introvertierte Bau- und Umweltdirektor Claudio Zali würden demnach bestätigt. FDP, CVP und SP müssen sich erneut mit einem Sitz begnügen.

Die soziale Rechte

Die Lega dei Ticinesi als Regionalbewegung ist ein einzigartiges Phänomen, weil es sie nur im italienischsprachigen Kanton Tessin gibt. In Bern stellt sie zwei Nationalräte (von 200), ist folglich eine Mini-Formation. Um etwas mehr Einfluss zu haben, sind die beiden Leghisten der Fraktion der grossen rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP) beigetreten.

Dies ist kein Zufall. Denn in gewisser Weise gleicht die Lega der SVP, mit der sie denn auch für die Kantonswahlen im Tessin eine Listenverbindung eingeht. Sie versteht sich als «Partei des kleinen Mannes», hat aber im Vergleich zur SVP eine sozialere Ader. Giuliano Bignasca, der 2013 verstorbene Gründer der Lega dei Ticinesi sagte stets: «Wir sind die soziale Rechte.» Ein Zustupf für AHV-Rentner war denn auch stets Teil des Lega-Programms.

Auf gesamtschweizerischer Ebene ist die Lega ein Unikum geblieben, weil ihre Existenz – wie erwähnt – an den Kanton Tessin gebunden ist. Eine ähnliche, aber wesentlich kleinere Bewegung findet sich in Genf mit der Gruppe Mouvement Citoyens Genevois Externer Link(MCG), die auch gegen Grenzgänger aus dem Nachbarland mobil macht. Eine diffuse, manchmal explizite Fremdenfeindlichkeit verbindet die Lega mit der Bewegung MCG.

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Populistisch und «sovranistisch»

In vielen Aspekten gleich die Lega dei Ticinesi anderen populistischen oder «sovranistischen» Bewegungen, die in ganz Europa entstanden oder stark geworden sind. In Italien bilden die Lega Nord sowie die Fünf-Sterne-Bewegung (M5S), die als Protest gegen den etablierten Parteienapparat antraten, mittlerweile eine Regierungskoalition. Die harte Linie von Italiens Vizepremier Matteo Salvini gegenüber Migranten und Asylsuchenden wird von Vertretern der Tessiner Lega klar geteilt.

Eine Besonderheit der Tessiner Lega ist das gänzliche Fehlen von Parteistrukturen. Seit dem Tod von Giuliano Bignasca gibt es keinen Präsidenten mehr, sein Bruder Attilio hat seine Funktion als Koordinator aufgegeben. Ein kleiner Kreis von politischen Amtsträgern wie Staatsräte und Nationalräte, die so genannten «Collonelli» (Offiziere), treffen wichtige Entscheidungen hinter verschlossenen Türen.

Linke unter Druck

Während die anti-europäische Lega im Schulterschluss mit der SVP Rückenwind hat, schwächelt im Tessin die Linke – ähnlich wie in Italien. Gemäss Wählerumfragen scheint es am kommenden 7. April nicht ausgeschlossen, dass die SP ihren einzigen Regierungsratssitz verliert.

Das ist eine Horrorvision für die Tessiner Genossen, die seit 1922 ununterbrochen in der Tessiner Kantonsregierung einsitzen. Sie kämpfen nun um jede Stimme, erhalten sogar Sukkurs von linken Freisinnigen, die der Meinung sind, dass auf einen Sozialdemokraten in der Regierung nicht verzichtet werden kann.

Befürchtet wird ein schwarzer Sonntag wie bei der SP des Kantons Luzern im Jahr 2015. Dort flogen die Sozialdemokraten nach 56 Jahren aus der Kantonsregierung. Seither hat der Kanton Luzern eine rein bürgerliche Regierung.

«Ein ähnliches System gibt es vielleicht nur noch bei der Freiheitspartei von Geert Wilders in den Niederlanden», sagt Politikwissenschaftler Oscar Mazzoleni, Direktor des Zentrums für Regionalstudien an der Universität Lausanne. Tatsächlich kennt etwa die Fünf-Sterne-Bewegung in Italien eine basisdemokratische Abstimmung via Internet. Auch bei der Lega Nord finden interne Wahlen statt.

Kein Legislaturprogramm

Durchaus bezeichnend ist im Zusammenhang mit den anstehenden Kantonswahlen im Tessin das Fehlen eines Partei- beziehungsweise Legislaturprogramms. Während die FDP, CVP, SP und auch die Grünen auf ihren Internet-Seiten Parteiprogramme und Zielsetzungen aufgeschaltet haben, sucht man ein analoges Programm bei der Lega vergebens. Giuliano Bignasca nannte Parteikongresse und Delegiertenversammlungen stets «ein unnötiges Blabla».

Solange die Lega Protestpartei war, waren ihre Forderungen klarer. «Inzwischen ist die Lega ein vollständiger Teil des Parteiensystems geworden», meint Oscar Mazzoleni. Von der Oppositionsbewegung ist sie zu einer Bewegung geworden, die selbst viel Macht hat. Sie hat ihre Statthalter in gewissen Stellungen positioniert. Der Wahlkampf der Lega ist denn auch sehr auf einzelne Personen und Politiker ausgerichtet.

Im Wahlvolk kommt die Lega je nach politischer Ausrichtung unterschiedlich an. Bei der Linken und den Bürgerlichen hat sie schlechte Karten, allerdings wird sie längst nicht mehr so hart kritisiert wie früher. Lega-Unterstützer sind hingegen davon überzeugt, dass die Lega die einzige Partei ist, welche die Einheimischen schützt und die Souveränität des Landes verteidigt.

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