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Was tun die Schweizer Kobalt-Händler gegen Kinderarbeit?

Keystone

Die Rohstoffkonzerne Glencore und Trafigura gehen unterschiedliche Wege, um die Situation von Kleinschürfern im Kongo zu verbessern. NGOs zeigen sich skeptisch.

In jeder Elektroautobatterie stecken acht Kilogramm Kobalt. Über 70% des zunehmend benötigten Metalls werden im Südosten der Demokratischen Republik Kongo (DRK) abgebaut. Doch die grosse Mehrheit der Schürfer ist bei keinem Minenunternehmen angestellt: Etwa 250’000 Kongolesen, darunter viele Kinder, bauen mit baren Händen oder bestenfalls mit primitiven Hilfsmitteln das kobalthaltige Gestein ab.

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Da es kaum Gelände gibt, auf denen Kleinschürfer legal arbeiten können, dringen im Umland der Stadt Kolwezi Tausende in die Konzessionen der grossen Minenbetreiber ein. Dabei kommt es immer wieder zu Gewalt und tödlichen Unfällen. Im Juni 2019 starben über 40 Menschen in einer vom Schweizer Rohstoffkonzern Glencore kontrollierten Konzession.

Rohstoffhändler ändern ihre Strategie

Im Dezember 2019 hat eine US-Advokatur im Namen von 13 kongolesischen Familien bei einem Gericht in Washington D.C. eine Sammelklage gegen amerikanische Tech-Unternehmen eingereicht. Apple, Alphabet, Dell, Microsoft und Tesla würden wissentlich Kobalt verwenden, das durch „erzwungene Kinderarbeit“ gewonnen werde, lautet der Hauptvorwurf.

Die Klage könnte den Trend verstärken, dass Rohstoffhändler wie auch Tech-Unternehmen ganz auf Kobalt von Kleinschürfern verzichten. Glencore, das den Kobaltmarkt dominiert, verfolgt eine solche Strategie, um nicht mehr mit Kinderarbeit in Verbindung gebracht zu werden.

«Firmen stehlen sich aus der Verantwortung»

Doch verschiedene Nichtregierungsorganisationen (NGOs) sind der Ansicht, dass dies die Situation vor Ort verschlimmern würde. «Für die Menschen in Kolwezi gibt es kaum Alternativen zum Bergbau», sagt Emmanuel Umpula Nkumba, Direktor der kongolesischen Organisation African Resources Watch (AfreWatchExterner Link).

Chantal Peyer von der schweizerischen Organisation Brot für AlleExterner Link, die schon seit Jahren über die Tätigkeiten der Rohstoffkonzerne in der DRK recherchiert, sagt: «Boykott ist immer eine schlechte Antwort. Unternehmen, die Material aus informellen Minen generell ablehnen, stehlen sich aus der Verantwortung.»

Trafigura startete dreijähriges Pilotprojekt

Als ein vielversprechender Versuch, unternehmerische Verantwortung wahrzunehmen, nennt Peyer ein Pilotprojekt von Trafigura. Der grosse Rohstoffhändler mit Hauptsitzen in Singapur und Genf hat 2018 in einem Dreijahresvertrag vereinbart, das gesamte Kobalt zu kaufen, das der Minenbetreiber Chemaf abbaut.

Das von Dubai aus kontrollierte Unternehmen betreibt in der Nähe von Kolwezi die Mutoshi-Mine. Trafigura stand vor dem Problem, wie es mit den mehr als 5000 informellen Bergarbeitern umgehen sollte, die illegal in einem Teil des Geländes arbeiteten. Immer wieder starben dort Menschen, weil Tunnel einstürzten.

Im Rahmen des Pilotprojekts wurde ein Gebiet eingezäunt, der Zutritt nur erwachsenen Mitgliedern einer bestimmten Kooperative gewährt. Mit Baggern wurde die oberste Erdschicht abgetragen, um gefährliche Schächte zu vermeiden. Die Arbeiter waren mit Schutzhelmen und Overalls ausgestattet und es gab sanitäre und medizinische Einrichtungen. Die Kooperative verpflichtete sich, das gesamte Kobalt an Chemaf zu verkaufen.

Mehr Sicherheit und Gesundheit?

Wegen der Covid-19-Epidemie hat Chemaf die Mutoshi-Mine Ende März bis auf weiteres geschlossen – auch das teilmechanisierte Gebiet für die informellen Schürfer. Einige Monate zuvor veröffentlichte Trafigura eine externe Studie zum Pilotprojekt.

Die unabhängigen Autoren der Studie kritisieren, dass Chemaf bereits vor der Krise einige vereinbarte Leistungen aus wirtschaftlichen Gründen ausgesetzt habe (zerschlissene Sicherheitsausrüstung sei nicht mehr ersetzt, die Arbeiter seien verspätet bezahlt worden).

Doch grundsätzlich sei das Pilotprojekt ein gutes Modell dafür, wie die Arbeitsbedingungen von Kleinschürfern verbessert werden können, so die Studie: Diese hätten von mehr Sicherheit, Gesundheit und Produktivität profitiert. Alle, besonders aber Frauen, hätten in der geschützten Situation mehr als früher verdient – unter anderem, weil sie weniger Transport- und Gesundheitskosten gehabt hätten.

AfreWatch bleibt skeptisch

Nkumba von AfreWatch widerspricht: «Die Sicherheitslage hat sich zwar verbessert, aber es gibt weder wirtschaftliche noch soziale Vorteile für die Arbeiter.» Die Kooperative sei stark mit Chemaf verbandelt und könne gar keinen fairen Preis aushandeln, sagt Nkumba: «Chemaf macht den grossen Gewinn.»

James Nicholson, Leiter Unternehmensverantwortung bei Trafigura, bezeichnet Nkumbas Kritik als unfair: «Aus wirtschaftlicher Sicht ist es logisch, dass Chemaf der Kooperative einen Preis zahlt, der etwas unter demjenigen im lokalen Markt liegt. Letztlich fördert Chemaf die Sicherheit und das Wohlergehen der Arbeiter mit viel Geld.» Es sei eine Win-Win-Situation, wodurch das Modell sozial und wirtschaftlich nachhaltig werde.

Dennoch war schon vor der Covid-19-Krise fraglich, ob das Projekt weitergeführt wird. «Die Entscheidung liegt bei Chemaf», sagt Nicholson. Würde Trafigura den Abnahmevertrag mit Chemaf auch verlängern, falls der Minenbetreiber das Projekt definitiv abbricht? Dazu gibt es aus Genf keinen Kommentar.

Peyer von Brot für Alle teilt die Fundamentalkritik von AfreWatch nicht: «Trafigura versucht zumindest, das Richtige zu tun und in eine nachhaltige Lieferkette zu investieren.» Doch auch sie fordert, dass die Kleinschürfer in der Mutoshi-Mine den marktüblichen Preis erhalten sollten.

Firmen interessieren sich für «Mutoshi-Modell»

Die internationale NGO PactExterner Link, die das Projekt im Auftrag von Trafigura beaufsichtigt, kommt zu ähnlichen positiven Schlussfolgerungen wie die externe Studie. Stephanie Shumsky, die verantwortliche Programmmanagerin, sieht in dem Ansatz viel Potenzial.

Dass auf der ganzen Welt Millionen Menschen auf handwerklichen Bergbau angewiesen sind, sei eine Tatsache, die von Kobalt-Verarbeitern vermehrt anerkannt werde: «Manche dieser Unternehmen sind bereit, solches Material zu akzeptieren, wenn es verantwortungsvoll und sicher produziert wurde.» So sind gemäss Shumsky «andere grosse Bergbauunternehmen» daran interessiert, das «Mutoshi-Modell», selbst zu erproben.

Glencore fährt eigene Strategie

Glencore gehört nicht zu den Interessenten.  Das macht Anna Krutikov, Leiterin «Nachhaltige Entwicklung» am Hauptsitz im Kanton Zug, deutlich: «Wir kaufen oder verarbeiten keine Materialien, die aus dem handwerklichen Bergbau stammen. Als industrieller Minenbetreiber können wir unsere Lieferkette frei von Risiken wie Kinderarbeit oder schlechten Arbeitsbedingungen halten.» Das Unternehmen ist mit rund 15’000 Beschäftigten einer der wichtigsten Arbeitgeber und Steuerzahler der Region.

«Niemand sollte in einer handwerklichen Mine bei Lebensgefahr arbeiten müssen», sagt Krutikow. «Deshalb arbeiten wir mit über 140 lokalen Kooperativen zusammen, um die wirtschaftliche Diversifizierung voranzutreiben, damit die Menschen eine Alternative zum handwerklichen Bergbau haben und sich eine nachhaltige Lebensgrundlage, etwa in der Landwirtschaft, aufbauen können.»

Daneben hat Glencore zusammen mit einer internationalen NGO und lokalen Kirchen ein Freizeitprogramm für Schulkinder aufgezogen. «Durch unsere Schulferienlager haben wir im Jahr 2018 über 9000 Kinder und ihre Eltern erreicht», sagt Krutikov. «Die Kinder erhielten Mahlzeiten und Schulmaterial; es gab Diskussionen über Kinderrechte, die Bedeutung von Bildung und die Risiken im handwerklichen Bergbau.»

NGOs kritisieren: «Auch Staat tut zu wenig»

Peyer von Brot für Alle ist von dem Ansatz nicht überzeugt: «Glencore müsste eigentlich wissen, dass es derzeit kaum Alternativen zum artisanalen Bergbau gibt – schliesslich dringen Kleinschürfer ja auch immer wieder in die Minen von Glencore ein.» Peyer begrüsst jegliche Förderung anderer Einkommensquellen – doch Glencores Projekte seien «marginal und isoliert».

Nkumba von Afrewatch ergänzt: «Viele Eltern bringen nicht einmal das Schulgeld zusammen. Wie sollen dann durch ein Ferienlager Kinder aus den Minen in die Schule gebracht werden?»

Peyer und Nkumba sind sich einig: Am besten wäre es, Minenbetreiber wie Glencore oder Chemaf gäben die Gebiete, die sich nicht mehr für einen industriellen Abbau eignen, an die Allgemeinheit ab.

Allerdings müsste dann auch der kongolesische Staat deutlich mehr Verantwortung wahrnehmen – besonders seit er durch ein neues Bergbaugesetz mehr Lizenzgebühren und Steuergelder zur Verfügung hat. Doch, so Peyer und Nkumba: die Regierung tue noch immer zu wenig, um den Kleinschürfern geeignete Gelände zur Verfügung zu stellen, oder um die Wirtschaft in der Region zu diversifizieren.

Eine Version dieses Artikels ist im deutschen entwicklungspolitischen Magazin «welt-sichten»Externer Link erschienen.

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