Wenn die erzwungene Rückkehr zum Albtraum wird
Asylsuchende können nur ausgeschafft werden, wenn sie in ihrer Heimat vor Gefängnis und Folter sicher sind. Doch die Lagebeurteilungen der Behörden sind umstritten, wie zwei Fälle von Tamilen zeigen, die nach ihrer Rückschaffung in Sri Lanka verhaftet wurden.
Vor kurzem hat die Schweiz zwei tamilische Asylsuchende nach Sri Lanka zurückgeschafft. Dort wurden sie prompt verhaftet und landeten im Gefängnis, wie das Bundesamt für Migration (BFM) Anfang September publik machte.
Die Gründe für die Inhaftierungen sind nicht bekannt. Gemäss BFM ist ebenfalls nicht bekannt, ob die beiden Tamilen misshandelt wurden. Nichts desto trotz erntete die Bundesbehörde seitens von Menschenrechts-Organisationen heftige Kritik.
Die Schweizer Botschaft in Colombo hat Kontakt zumit den Behörden von Sri Lanka aufgenommen, um genauere Informationen zu erhalten. Solange keine Klarheit herrscht, hat das BFM Rückschaffungen von Tamilen nach Sri Lanka vorläufig ausgesetzt.
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«Nur die Spitze des Eisbergs»
Für Hans Peter Roth, der seit fast 20 Jahren Migranten in Rechtsfragen berät, sind diese Fälle keine Überraschung. «Ich habe solche Fälle erwartet. Seit 2010 wurden etliche Tamilen zurückgeschafft, die gefährdet waren. Insofern sind die Fälle die Spitze des Eisbergs.»
Roth verfolgt schon länger das Schicksal der nach Sri Lanka zurückgeschafften Personen. «Ich hatte aber nie Beweise, sondern nur indirekte Hinweise, die auf Misshandlungen hindeuteten», sagt er gegenüber swissinfo.ch. Seit der Niederlage der tamilischen Befreiungsarmee LTTE (Liberation Tigers of Tamil Eelam) im Jahr 2009 habe sich die Situation nicht verbessert. «Vielmehr gibt es Hinweise, dass der Völkermord auf struktureller Ebene weitergeht, mit Landenteignungen, Vertreibungen und Zerstörungen von Tempeln.»
Die zwischen Oktober 2011 und September 2013 publizierten Menschenrechtsberichte sowie das UNO-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) zeigen sich sehr beunruhigt in Bezug auf die Einhaltung der Rechte von Minderheiten, die Situation von Journalisten und Menschenrechtlern sowie generell von Personen, die der Zugehörigkeit zur LTTE verdächtigt werden, wie Christopher McDowell sagt. Der Professor an der City University von London hat ein Buch über die Diaspora der Tamilen in der Schweiz geschrieben.
Krieg ist zu Ende, Gewalt geht weiter
Gemäss Sprecherin Céline Kohlprath verfolgt man im BFM die Entwicklung in Sri Lanka sorgfältig. Beim Monitoring stütze sich das Bundesamt unter anderem auf Informationen und Erkenntnisse des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA) und auf die Richtlinien des UNHCR vom 21. Dezember 2012 sowie auf Länderberichte anderer europäischer Staaten.
Am Prozess der Lagebeurteilung sind auch die Schweizer Botschaften im jeweils betroffenen Land beteiligt. «Davon hängt es am Ende ab, ob die Behörden eine Rückschaffung für vertretbar halten oder nicht», sagt Denise Graf, Expertin für Asylfragen bei Amnesty International (AI).
In einigen Ländern werden auch Menschenrechtsorganisationen wie AI beigezogen. Beispielsweise in der Türkei. «Dort funktioniert dieses System recht gut. Aber das ist nicht überall der Fall. Es gab daher in Vergangenheit wiederholt Kritik an den Lagebeurteilungen, da sie auf unkorrekten Angaben basierten», hält Graf fest. Das Ergebnis solcher Untersuchungen hänge häufig auch von der Sensibilität der mir den Recherchen beauftragten Personen ab.
Im Falle von Sri Lanka wird der Entscheid der Schweiz zur Rückführung von 267 Personen zwischen März 2011 und Juli 2013 – nach dem offiziellen Ende des Bürgerkriegs – von Menschenrechtsorganisationen kritisiert. «Das BFM kam zur Auffassung, dass sich die Lage stabilisiert hat. Tatsächlich waren die Kämpfe zu Ende. Aber in der Beurteilung durch das BFM wurden die Menschenrechtssituation und die Gefahrenlage für rückgeschaffte Asylbewerber nicht ausreichend berücksichtigt», lautet die Kritik von Denise Graf.
Für Hans Peter Roth steht die Beurteilung der Lage von Seiten des Bundesamtes für Migration für Sri Lanka denn auch «in riesigem Kontrast zu Berichten der renommiertesten NGO». In der Tat haben Menschenrechtsorganisationen dokumentieren können, dass zurückgeschaffte Tamilen seit 2012 in ihrer Heimat gefoltert werden. Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) kritisiert, «dass das Bundesamt für Flüchtlinge gleichwohl seine Praxis der Rückschaffung fortgesetzt hat».
«Wegweisungen waren zumutbar»
BFM-Sprecherin Céline Kohlprath weist diese Kritik zurück. «Das BFM untersucht immer jedes Asylgesuch individuell und prüft stets in jedem Einzelfall, ob eine gesuchstellende Person in Sri Lanka konkret gefährdet ist. Selbstverständlich werden gefährdete Personen nicht nach Sri Lanka rückgeführt, sondern vorläufig aufgenommen.»
Das BFM beruft sich in seiner Praxis auch auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. In einem Grundsatzurteil vom November 2011 zu Risikogruppen und zur Zulässigkeit und Zumutbarkeit des Vollzugs der Wegweisung kam das Gericht zur Überzeugung, dass die Rückschaffung nach Sri Lanka in alle Landesteile grundsätzlich zumutbar sei, mit Ausnahme der nördlichen Region Vanni, der letzten Bastion der tamilischen Befreiungs-Tiger.
Ebenfalls lässt das BFM gemäss Kohlprath aktuellste Erkenntnisse aus einem umfangreichen Grundsatzurteil des britischen Upper Tribunals vom 5. Juli 2013 in seine Entscheidpraxis einfliessen. Dieses Gericht hatte die Praxis und Legalität der Rückschaffungen bestätigt, aber den Kreis der gefährdeten und daher nicht rückführbaren Personen auf politische Aktivisten und Kriegszeugen ausgeweitet.
Wenn Personen, die aus der Schweiz in ihre Heimat zurückgeschafft werden, dort Misshandlungen ausgesetzt sind, können sie den Rechtsweg gegen die Schweiz beschreiten.
Darauf weist Beat Meiner hin, Generalsekretär der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH).
«Sie können sich wegen Verstosses der Menschenrechts-Konvention an das UNO-Ausschuss gegen Folter oder an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wenden», so Meiner gegenüber swissinfo.ch
In Bezug auf Bürger aus Sri Lanka sind momentan elf Fälle hängig: Acht beim UNO-Ausschuss gegen Folter und drei beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, wie die Gesellschaft für bedrohte Völker in einem Bericht vom 2.September 2013 schreibt.
Die Beschwerdeführer machen geltend, dass die Schweiz die Rückführungsprinzipien beziehungsweise das Gebot der Nichtrückführung verletzt habe, da sie nach ihrer Rückschaffung nach Sri Lanka einer Gefahrensituation ausgesetzt seien.
Dossiers neu geprüft
Aufgrund der eingangs erwähnten Fälle hat das Bundesamt für Migration nicht nur entschieden, die Rückschaffungen nach Sri Lanka vorläufig auszusetzen, sondern alle Dossiers von Personen, die nach Sri Lanka rückgeführt werden sollen, einer nochmaligen sorgfältigen Prüfung zu unterziehen. «Im Fokus wird dabei insbesondere stehen, ob sich eine Person im Ausland, speziell in der Schweiz, politisch exponiert hat», sagt Céline Kohlprath.
«Für zurückgewiesene tamilische Asylbewerber bleibt die Situation in Sri Lanka ein hohes Risiko», hält Christopher McDowell in einer schriftlichen Stellungnahme gegenüber swissinfo.ch fest. Seiner Meinung nach ist es korrekt, die Rückschaffungen vorläufig zu sistieren.
Gemäss mehreren Nichtregierungs-Organisationen ist dieser Entscheid aber ungenügend. Amnesty International, die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH), die Gesellschaft für bedrohte Völker und weitere Organisationen verlangen ein definitives Ende für Rückschaffungen nach Sri Lanka. Ihrer Ansicht nach sollte man auch den nach Kriegsende zwischen Bern und Colombo ausgehandelten Vertrag zur Wiederaufnahme von Flüchtlingen aussetzen.
«Das Abkommen steht in Widerspruch zum Prinzip, Flüchtlinge nicht in Länder auszuschaffen, in denen Folter praktiziert wird», schreiben die NGO in einer gemeinsamen Medienmitteilung. Denise Graf doppelt nach: «Mit einem Land, das die Menschenrechte so schwerwiegend verletzt wie Sri Lanka, lässt sich ein solches Abkommen gar nicht abschliessen.»
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)
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