Wenn sich Entwicklungshilfe mit Big Business einlässt
Die Schweizer Regierung will bei ihrer Hilfe in ärmeren Teilen der Welt vermehrt mit grossen Unternehmen zusammenarbeiten. Die Erfahrungen anderer Länder zeigen, dass sie dabei vorsichtig agieren sollte.
«Die Kartoffel muss nach Afrika!», sagte ein deutscher Staatssekretär 2013, als Deutschland ein Hilfsprojekt ankündigte. Dessen Ziel war, den Anbau europäischer Kartoffelsorten in Subsahara-Afrika zu fördern.
Die so genannte «Kartoffel-Initiative Afrika»Externer Link führte zu Stirnrunzeln. Der Anbau europäischer Kartoffelsorten erfordere eine massive Düngung, argumentierten nichtstaatliche Hilfsorganisationen. Einmal an die Kartoffeln gewöhnt, würden diese Kleinproduzenten zu deren Anbau eine ständige Versorgung mit Saatgut und Dünger benötigen.
Beobachter fragten sich, wer bei dem von europäischen Steuerzahlenden finanzierten Hilfsprojekt mehr zu gewinnen habe: die Empfänger, oder eher die Agrarunternehmen, die Ausbildung, Saatgut, Maschinen, Pestizide und Düngemittel bereitstellen?
Vor dieser Frage stehen jetzt auch Schweizer Regierungsvertretende, wenn sie entscheiden müssen, wie sie mit ihrer neuen Strategie der internationalen Zusammenarbeit voranschreiten wollen. Die Vorteile der Zusammenarbeit mit multinationalen Unternehmen liegen auf der Hand: Geberregierungen profitieren von Unternehmensgeldern, Fähigkeiten, Technologie und Grösse.
Gleichzeitig zeigen aber auch Geschichten wie die Kartoffel-Initiative Afrika, dass es man mit Vorsicht vorgehen sollte. Diese war Teil der German Food Partnership, die 2012 mit grossem Tamtam gestartet worden war. Etwa 30 Privatunternehmen sollten einen Teil des Projektbudgets übernehmen und ihr Fachwissen und ihre Ausrüstung in ärmere Länder einbringen. Damit soll zur Verbesserung der Ernährung und der Einkommen der Bauern in den Entwicklungsländern beigetragen werden.
Während einige Projekte weitergeführt werden, scheint die Partnerschaft seitdem stillschweigend ad acta gelegt worden zu sein. Dies nach heftiger Kritik von den NGO, die ihr vorwarfen, ein Instrument zur Öffnung der Märkte für europäische Agrarunternehmen zu sein.
«Wenn man Armut und Hunger bekämpfen will, muss man die Armen und Hungernden unterstützen und nicht den Agrarunternehmen helfen, Geschäfte zu machen», sagte Marita Wiggerthale, Expertin für Ernährungssicherheit bei Oxfam Deutschland, in einem InterviewExterner Link, in dem sie die Partnerschaft kritisierte.
Einigen Berichten zufolge stiegen die Erträge der Bauern. Es gibt aber auch Hinweise daraufExterner Link, dass diese bei Saatgut und Dünger zunehmend von multinationalen Konzernen abhängig wurden. Laut Wiggerthale verkaufte der deutsche Chemieriese Bayer in einem Projekt in Kenia dank Schulungen über 20% mehr Pestizide an Kleinbauern.
Eine Lücke füllen
Die Debatte darüber, wie stark der Privatsektor in die Entwicklungszusammenarbeit einbezogen werden sollte, läuft seit Jahrzehnten. Doch in jüngster Zeit harzt es mit der öffentlichen Kontrolle solcher Geschäfte.
Regierungen mussten ihre Ausgaben für Entwicklungshilfe vor immer skeptischeren Wahlberechtigten rechtfertigen. Indem sie multinationale Konzerne einbeziehen, können sie die Kosten für Entwicklungszusammenarbeit senken und gleichzeitig Lob dafür ernten, den einheimischen Industrien neue Chancen zu eröffnen.
Führende Persönlichkeiten bei den Vereinten Nationen, der Weltbank und anderen internationalen Organisationen wandten sich auch an den privaten Sektor, um fehlende Mittel auszugleichen.
«Fast alle versuchen, mehr mit dem privaten Sektor zu machen, auch weil es einen Bedarf an nachhaltigeren Lösungen gibt und nicht nur an kurzen, einmaligen Projekten», sagt Melina Heinrich-Fernandes. Sie arbeitet seit über zehn Jahren im Bereich der Entwicklung des privaten Sektors. «Der Privatsektor kann Projekte weiterführen, wenn die Hilfe eingestellt wird.»
Heinrich-Fernandes ist stellvertretende Koordinatorin des Geberkomitees für «Enterprise Development» DCED, einer Gruppe von Geldgebern, die Wissen darüber austauscht, wie man effektiver mit dem Privatsektor zusammenarbeiten kann.
Sie sagt, dass fast alle der 24 Geberagenturen, mit denen sie zusammenarbeite, das Engagement des Privatsektors zu einem Kernbestandteil ihrer künftigen Hilfsstrategie gemacht hätten. «Bei den Debatten geht es weniger darum, ob man mit dem privaten Sektor zusammenarbeiten soll, sondern vielmehr darum, wie man es effektiv angehen kann», sagt sie.
Auch die Schweiz machte dies in ihrer jüngsten Strategie der internationalen Zusammenarbeit 2021-2024Externer Link, die im Februar verabschiedet wurde, zu einer Top-Priorität. In Zukunft solle «das Potenzial des Privatsektors (…) besser genutzt» werden, heisst es dort.
Die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) teilte swissinfo.ch mit, dass sie die Anzahl der Kooperationen und das Finanzvolumen ihres Projektportfolios mit dem Privatsektor erhöhen werde. Derzeit liegt dieses bei rund 5%.
Gleichzeitig beeilten sich multinationale Unternehmen, die neue Wachstumsbereiche suchen, ihre Präsenz auf den Märkten in den Entwicklungsländern auszubauen. Die Teilnahme an staatlichen Hilfsprojekten ist für sie kein Problem: Hilfsorganisationen helfen, Bedingungen zu schaffen, die es ihnen erleichtern, vor allem in politisch instabilen Regionen Geschäfte zu machen.
Hilfe nur unter Bedingungen
Doch die Flut von Projekten und die in den letzten Jahren immer enger werdenden Beziehungen zwischen Hilfsorganisationen und multinationalen Unternehmen bereiten vielen NGO Sorgen. «Die Regierungen subventionieren effektiv den privaten Sektor und leiten knappe Entwicklungsgelder weg von jenen Ländern und Sektoren, die sie am meisten brauchen», sagt María José Romero, eine Managerin der Eurodad-Gruppe, einem Netzwerk europäischer NGO mit Sitz in Brüssel.
Sie verweist auf jüngste ZahlenExterner Link, die zeigen, dass ein Grossteil der Hilfe, die verwendet wird, um mehr private Mittel anzuziehen, für Länder mit mittlerem Einkommen wie Brasilien, Serbien und die Türkei bestimmt sei. Diese seien für Unternehmen attraktiver als die am wenigsten entwickelten Länder.
Romero zeigt sich auch besorgt, dass zu viel gemeinsame Hilfe für die Geschäftsinteressen der Geberländer Gefahr laufe, lokale Lösungen für lokale Bedürfnisse zu vernachlässigen und die Abhängigkeit von der entwickelten Welt zu verstärken. Eurodad habe festgestellt, es werde jetzt mehr Hilfe unter der Bedingung geleistet, dass lokale Gruppen Ausrüstungen oder Lieferungen aus dem Geberland kaufen würden.
Im Jahr 2018 knüpften die Geberländer fast 20% der bilateralen Hilfe an Lieferanten aus dem eigenen Land, gegenüber 15,4% im Jahr zuvor. Die USA übertrafen dies bei weitem, denn rund 40% der Hilfe waren an inländische Lieferanten gebunden.
«Warum sollte die Hilfe dazu verwendet werden, dem Privatsektor grundsätzlich bei der Expansion in verschiedene Märkte zu helfen?», fragt Daniel Willis, ein Manager für Politik und Kampagnen bei Global Justice Now, einer britischen Interessenvertretung für Entwicklungshilfe.
«Ich bin voll und ganz davon überzeugt, dass der private Sektor in irgendeiner Weise eine positive Rolle spielen könnte», sagt er. «Es ist nur so, dass der private Sektor oft nicht wirklich eine positive Rolle spielen will.»
Einige Entwicklungsagenturen wie jene der Niederlande schrecken nicht davor zurück, zu versuchen, Türen für niederländische Unternehmen zu öffnen. So unterzeichneten die niederländische und die äthiopische Regierung 2018 einen Vertrag mit Royal PhilipsExterner Link über 40 Millionen Euro, der dem niederländischen Unternehmen für Gesundheitstechnologie den Bau einer Kardiologie-Klinik in Addis Abeba sicherte.
In Grossbritannien verärgerte die Regierung Aktivistinnen und AktivistenExterner Link, weil es Anzeichen dafür gibt, dass ihre Hilfsagenda von wirtschaftlichen Interessen bestimmt wird. Die Regierung verteidigte diesen Schritt als eine pragmatischere Verwendung von Hilfsgeldern.
In Schweden hingegen legt die Agentur für internationale Entwicklungszusammenarbeit (Sida) Wert darauf, die Hilfe nicht an einen bevorzugten Marktzugang für schwedische Unternehmen zu knüpfen. Bei der Umsetzung arbeitet sie fast immer mit einer NGO oder einer UNO-Agentur zusammen.
Ein Grund für diesen Ansatz: «Die Werte hinter der Hilfe sind Solidarität und die Verantwortung der reichen Länder, sich für eine nachhaltige Welt einzusetzen, und nicht die Förderung des schwedischen Privatsektors», sagt Maria Stridsman, stellvertretende Direktorin für Partnerschaft und Innovation bei Sida, gegenüber swissinfo.ch.
Was viele nichtstaatliche Organisationen auch beunruhigt, ist die Art und Weise, wie sich Geberländer, darunter auch die Schweiz, mit Finanzinstrumenten wie Garantien quasi in Banken verwandeln. So würden sie ein gewisses Risiko des Markteintritts von den Unternehmen auf die öffentlichen Kassen verlagern. Dadurch bestehe die Gefahr, dass sich die Empfängerländer weiter verschulden würden, wenn Projekte scheitern, sagt Romero.
Es gibt keinen Konsens darüber, wie Hilfsgelder verfolgt werden können, die über private Kanäle ausgegeben werden. Trotzdem zeigen einige Zahlen, dass Mischfinanzierungs-Geschäfte, bei denen öffentliche Gelder verwendet wurden, um privates Kapital anzuziehen, von rund 70 im Jahr 2007 auf über 500 im Jahr 2018 angestiegen sind.
Veränderung von innen
Die Geberländer versuchen, einen Teil der Kritik abzuwehren, indem sie selektiver darüber entscheiden, mit welchen Unternehmen sie zusammenarbeiten, und Sektoren wie Tabak- oder Waffenhersteller von der Liste der möglichen Partnerfirmen ausschliessen. Dennoch können sich die Geberländer noch immer in ethisch fragwürdigen Geschäften wiederfinden.
So zogen etwa die Verbindungen der Schweizer Regierung zu Nestlé auch wegen dessen jahrelanger aggressiver Vermarktung von Säuglingsnahrung und der Ausübung von Druck auf lokale Wasserquellen den Zorn auf sich. Nestlé ist eines von rund 30 Unternehmen, die sich an der mit neun Millionen Franken von der Schweizer Regierung ins Leben gerufenen Schweizer KakaoplattformExterner Link beteiligen. Die Initiative soll der Schweiz helfen, ihren gesamten Kakaobedarf aus nachhaltigen Quellen zu importieren.
Heinrich-Fernandes vom DCED sagt gegenüber swissinfo.ch, die Hilfswerke würden an Richtlinien arbeiten, um sicherzustellen, dass die Unternehmenspartner die Standards einer verantwortungsvollen Geschäftstätigkeit einhalten würden. Sie merkt jedoch an, dass dies bei solch komplexen globalen Lieferketten eine Herausforderung sei.
«Keine Organisation ist perfekt – auch nicht die Unternehmen. Sollten Geldgeber einfach davon absehen, sich mit ihnen zu befassen?», fragt sie. «Oder sollten sie mit ihnen zusammenarbeiten und ihnen helfen, sich zu verbessern?»
Geberagenturen wie Sida argumentieren, dies sei genau einer der Gründe, mit Unternehmen zusammenzuarbeiten: Nämlich, um bei der Änderung von Praktiken zu helfen und ihnen bewusst zu machen, dass Themen wie Geschlechtergleichstellung und Zugang zu sauberem Trinkwasser von Bedeutung seien.
Willis von Global Justice Now ist jedoch nicht überzeugt. «Ich denke, es kommt auf die Frage an, wofür deren Meinung nach Entwicklungshilfe ist», sagt er gegenüber swissinfo.ch. «Wir würden argumentieren, dass sie zuallererst die Ungleichheit bekämpfen und kostenlose Bildung und Gesundheitsversorgung bieten sollte. Der Privatsektor ist nicht sehr gut darin, diese Dinge auf gerechte und integrative Weise zu tun», sagt er.
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