Wenn sich Mediatoren auf die Füsse treten
Der Grossteil von Konflikten wird nicht mehr mit militärischen Mitteln gelöst, sondern durch Mediation am Verhandlungstisch. Gemäss einer Studie aber birgt die ständige Zunahme von Mediatoren auch Gefahren und kann sogar kontraproduktiv für Friedensprozesse sein.
«Manchmal ist es wie ein Wettlauf um den Friedensnobelpreis», meint Rachel Gasser, Expertin für Mediationsfragen und Mitarbeitern der Schweizer Stiftung für Frieden Swisspeace. Immer mehr Akteure suchten eine Möglichkeit, um sich als Mediatoren bei Friedensprozessen zu betätigen.
Gemäss Gasser ist diese Tendenz grundsätzlich positiv, «denn jeder setzt sich im Rahmen seiner Kompetenzen für den Frieden ein». Und doch führe diese Entwicklung mittlerweile zu ernsthaften Problemen. Denn es bestehe ein zunehmender und problematischer Wettbewerb zwischen internationalen und regionalen Organisationen.
«Wenn dieses Problem nicht ernsthaft angegangen wird, können ganze Friedensprozesse scheitern», schreibt Rachel Gasser in ihrer im Februar 2013 publizierten Studie «A crowded field: competition and coordination in international peace mediation” (Starkes Gedränge: Wettbewerb und Koordination in der internationalen Mediation für Frieden).
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Eine neue Komplexität
Dabei erweist sich die Mediation als wirksames Instrument: In den letzten 20 Jahren konnten 80 Prozent der Konfikte durch Fazilitation und Mediation beigelegt werden.
Gemäss dem Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) wurden zwischen 2001 und 2008 nur fünf Konfliktfälle mit einer militärischen Intervention beendet, während in 17 Fällen die Mediation erfolgreich war.
Mit dem Ende des Kalten Krieges hat sich indes die Natur der Konflikte verändert. Normalerweise stehen sich nicht mehr zwei Staaten gegenüber, sondern eine Regierung und eine Rebellenorganisation, oder verschiedene bewaffnete Gruppen, die sich in einem Land oder auch grenzüberschreitend bekämpfen.
Als Folge dieser Entwicklung hat sich laut EDA auch die Mediation verändert. Früher ging es in erster Linie darum, einen Waffenstillstand zu erreichen und die Sicherheitslage zu verbessern. Inzwischen sind die Mediationen wesentlich komplexer geworden. Es geht auch um Fragen von Föderalismus, lokaler Autonomie sowie Verteilung von Macht und Reichtum.
«Man arbeitet an einer nachhaltigen Friedensgestaltung, indem neben den politischen Führern auch Vertreter der Zivilgesellschaft miteinbezogen werden, etwa lokale Gemeinschaften, Frauen oder Opfer der Konflikte», hält Gasser fest, die zurzeit den Friedensprozess in Myanmar, dem ehemaligen Burma, begleitet.
Immer mehr Beteiligte
Gemäss Gasser hat die steigende Zahl von Teilnehmern an einer Konfliktlösung auch zu einer Zunahme an Mediatoren geführt.
Zu den wichtigsten Mediatoren auf internationaler Ebene gehören die Vereinten Nationen (UNO), die Europäische Union (2012 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet), die Afrikanische Union, Grossmächte (wie die USA) und Nichtregierungs-Organisationen (NGO). Dazu kommen noch Kleinstaaten wie Norwegen und die Schweiz.
Laut Gasser sind in den letzten Jahren zahlreiche internationale Organisationen und NGO, aber auch neue Länder wie Katar, Finnland oder die Türkei in den unterschiedlichsten Regionen der Welt als Mediatoren aufgetreten.
Seit 1992 sei die Zahl der Konfliktlösungen global gesunken, aber die Zahl der Mediatoren in Konfliktfällen markant gestiegen, heisst es in einer an der Universität Basel erarbeiteten Studie von David Lanz. Dies sei eine Folge der zunehmenden Globalisierung nach dem Ende des Kalten Krieges sowie der zunehmenden internationalen Anerkennung von Mediation bei der Konfliktlösung.
David Harland, Direktor des Zentrums für humanitären Dialog in Genf, bestätigt, dass bei Mediationen immer neue Akteure auftauchen. «Das ist eigentlich eine gute Nachricht, denn es zeigt, dass Mediation gute Ergebnisse gebracht hat. Aber es führt auch zu Problemen: Immer mehr Drittparteien werden aktiv und manchmal treten sie sich gegenseitig auf die Füsse», sagte Harland in einem Interview mit der Tageszeitung «Le Temps.
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Vergessene Konflikte
Handeln aus Eigeninteresse
Es gibt drei Gründe für diesen zunehmenden Wettbewerb zwischen Mediatoren in Vermittlungsprozessen. «Die unterschiedlichen Interessen der Staaten, die Auseinandersetzungen zwischen Organisationen mit übergeordneten Interessen und die Meinungsverschiedenheiten zu Prinzipien und Werten bei der Konfliktlösung in der internationalen Politik», sagt Gasser, die sich intensiv mit drei Konflikten in Afrika befasst hat (Sudan, Kenia, Madagaskar).
Immer mehr Länder bieten ihre Vermittlungsdienste jenen Staaten an, mit denen sie privilegierte Beziehungen pflegen. Daher haben sie ein eigenes Interesse daran, den jeweiligen Konflikt zu beenden. So kommt es zu parallelen Friedensinitiativen, um den Prozess der Konfliktlösung kontrollieren zu können.
Aufschlussreich ist gemäss Gasser der Fall Sudan: «1999 lancierten Ägypten und Libyen eine gemeinsame Friedensinitiative, die in direktem Wettbewerb zum Konfliktlösungsprozess stand, der von der Organisation GAD – einer intergouvernementalen Entwicklungsorganisation in Südafrika – aufgegleist worden war.»
Diese Initiative gründete in der Angst Ägyptens und Libyens, dass die nationalen Interessen gefährdet sein könnten. Die damalige Regierung Mubarak befürchtete, dass eine Abstimmung über das Selbstbestimmungsrecht des Südsudans – wie von GAD vorgeschlagen – einen Konflikt um das Wasser des Nils aulösen würde. Gaddafi seinerseits wollte enge Kontakte zum damaligen Ministerpräsidenten des Sudans pflegen.
Die Schweiz ist ein wichtiges Land für die Mediation in internationalen Konfliktfällen. Der wichtigste Grund dafür ist die Neutralität des Landes. Die Schweiz ist nicht einem Block zugehörig (EU, NATO, etc.). Zudem hat die Schweiz keine koloniale Vergangenheit, ist föderalistisch organisiert, mehrsprachig und multikulturell.
Seit 2000 war die Schweiz an mehr als 20 Friedensverhandlungen in 15 Ländern beteiligt, darunter in Nepal, Sri Lanka, Georgien, Sudan, Uganda, Kolumbien, Mexiko und Somalia.
Der Schweizer Beitrag an Mediationen kann verschiedene Formen haben. So kann die Schweiz direkt an Verhandlungen teilnehmen oder Experten für Teams stellen, welche von den Vereinten Nationen oder anderen Organisationen aufgeboten werden.
Die Schweiz fungiert auch als neutraler Verhandlungsort für Konfliktparteien. 1985 trafen sich beispielsweise US-Präsident Reagan und Sowjet-Leader Gorbatschow zu Gesprächen in Genf.
Im Falle einer Mediation kooperiert das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten sehr eng mit Nichtregierungs-Organisationen (NGO), wie etwa das Zentrum für humanitären Dialog in Genf oder die englische Organisation Conciliation Resources.
Problematisch erweist sich laut Gasser beim Wettbewerb zwischen der UNO und regionalen Organisationen die Überschneidung von Mandaten. So verfügen in Madagaskar sowohl die UNO als auch die Afrikanische Union und die Gemeinschaft für die Entwicklung Südafrikas über einen Mediationsauftrag. Alle drei Akteure wollten den Friedensprozess positiv beeinflussen. Und doch kam es zu langwierigen Diskussionen, wodurch dieser Prozess gebremst wurde.
Zusammenarbeit verbessern
Um solche negativen Folgen bei einem gehäuften Autreten von Mediatoren zu umgehen oder zu vermeiden, dass Konfliktparteien sich Mediatoren suchen, die nur ihnen selbst genehm sind, formulieren die Autoren der genannten Studie einige Empfehlungen.
«Man könnte im Sinne einer Hierarchisierung einen Hauptmediator bestimmen. Dieser könnte dann weitere Aufgaben für besondere Fragestellungen an weitere Mediatoren verteilen. Falls es nötig sein sollte, könnte der Hauptmediator neue Mediatoren aufbieten und solche ausschliessen, die sich nicht im Sinne der Hauptmediation als nützlich erweisen», heisst es in der Studie.
Der Leader muss von der internationalen Gemeinschaft anerkannt sein, von den Konfliktparteien und der durch einen Konflikt betroffenen Bevölkerung. Rachel Gasser verweist als Beispiel auf die Rolle von Kofi Annan in Kenia: «Als ehemaliger UNO-Generalsekretär besass er über die nötige Autorität, um alle Versuche, sich mit parallelen Friedensprozessen in seine Mediation einzuschalten, zurückzuweisen.»
Eine weitere Möglichkeit der Kooperation sieht vor, dass die unterschiedlichen Akteure in koordinierter Weise zusammenarbeiten. Es wird ein gemeinsames Ziel erarbeitet, und die unterschiedlichen Aufgaben werden entsprechend verteilt. In diesem Fall geht es gemäss der Swisspeace-Mitarbeiterin um eine «Einheit der Intention».
Die Koordination zwischen den einzelnen Mediationspartnern hält Gasser aber nicht für die ideale Lösung. «Wenn die Konfliktparteien lieber Krieg als Frieden haben, wird auch die raffinierteste Koordination keine Erfolge zeitigen.»
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)
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