Widerstand gegen AKW-Mühleberg auch im Ausland
Das Atomkraftwerk Mühleberg elektrisiert auch die AKW-Gegner in den Nachbarländern. Am schärfsten ist der Widerstand gegen Mühleberg in Vorarlberg. Eine Stilllegung des Berner AKW würde den Druck auf alte Kernkraftwerke im In- und Ausland erhöhen.
Wenn nicht massiv in die Instandhaltung investiert werde, müsse das AKW Mühleberg bis Juni 2013 stillgelegt werden, lautete der Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts von Ende letzter Woche.
Der Berner Energiekonzern BKW wehrt sich vor Bundesgericht gegen dieses Urteil. Das Werk stilllegen käme laut BKW teuer: 400 Millionen Franken Abschreibungen, 200 Millionen Rückstellungen und jährliche Einbussen von 50 Millionen Franken.
Das würde die Betreibergesellschaft nicht in die Knie zwingen, aber schwächen, und ihr auch Geld für Investitionen entziehen. Deshalb will sie am AKW festhalten, solange dieses «sicher und wirtschaftlich» betrieben werden könne.
Vorarlberg fordert Stilllegung
Die Klage aufrechterhalten, bis das AKW Mühleberg stillgelegt ist, damit droht das österreichische Bundesland Vorarlberg. Das Land an der Grenze zur Schweiz gilt als besonders Atom-kritisch.
Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts in der Schweiz mache klar, welches Gefährdungspotenzial von Mühleberg ausgehe, sagte der österreichische Landeshauptmann Markus Wallner gegenüber Vorarlberger Medien. Deshalb habe man – parteiübergreifend – eine Klage gegen das AKW Mühleberg in Auftrag gegeben.
Das Eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) habe das Gesuch noch nicht erhalten und könne deshalb keine Stellung nehmen, heisst es in Bern.
«Bei einem möglichen Unfall kann die Vorarlberger Bevölkerung rasch und intensiv betroffen sein», sagt der mit der Klage beauftragte Linzer Rechtsanwalt Christian Hadeyer gegenüber swissinfo.ch. Das wollen die Vorarlberger mit einer Studie des Bundesumweltamts über die Ausbreitung von Radioaktivität beweisen.
Die Sicherheitsfrage des AKW-Mühleberg werde in Vorarlberg stark diskutiert, «vor allem seit bekannt wurde, dass eine Baugleichheit besteht mit dem Katastrophen-Reaktor in Fukushima und man vor Augen geführt bekommen hat, welche Gefahrenquellen es gibt».
Nicht nur gegen Mühleberg, auch gegen das deutsche Kernkraftwerk Gundremmingen hat Vorarlberg rechtliche Schritte unternommen. Und Christian Hadeyers Anwaltskanzlei führt – im Auftrag eines andern Bundeslandes, nämlich Oberösterreich, – auch ein Verfahren gegen das tschechische Atomkraftwerk Temelin durch.
Österreich importiert Atomstrom
Der österreichische Widerstand gegen Atomkraftwerke hat Tradition. Das östliche Nachbarland der Schweiz hatte sich 1978 mit knapper Mehrheit entschieden, dass das erste und bereits fertiggestellte AKW in Zwentendorf niemals betrieben werden soll. Das wuchtigste Nein zu Zwentendorf kam auch damals aus Vorarlberg. Im gleichen Jahr wurde in Österreich ein Atomsperrgesetz verabschiedet.
Das Land hat selber nie eine einzige Kilowattstunde Atomstrom produziert, importiert allerdings rund 6 Prozent seines Eigenverbrauchs aus Atomkraftwerken seiner Nachbarländer. Umweltorganisationen sprechen sogar von 20 Prozent.
Genugtuung bei französischen Aktivisten
Auch Frankreichs Aktivisten haben die Ereignisse beim helvetischen Nachbarn aufmerksam verfolgt. «Wir haben den Gerichtsentscheid mit Genugtuung zur Kenntnis genommen», sagt André Hatz, Mitglied des Vereins «Stopp Fessenheim».
«Es erstaunt mich nicht, dass Rekurse eingereicht wurden, denn wir kennen die Macht der Nuklearlobby. Ich kann die Vereine und die Bevölkerung nur ermutigen, standfest zu bleiben im Kampf für eine Stilllegung des AKW Mühlebergs bis 2013», so André Hatz.
In Frankreich konzentrieren sich die Gegner der Atomkraft auf das AKW Fessenheim, das älteste und umstrittenste im Land. Der trinationale Atomschutzverband TRAS, dem auch mehrere Gemeinden im Norden der Schweiz angehören, hatte gegen den Entscheid der französischen Nuklearsicherheitsbehörde (ASN) zugunsten einer Betriebsverlängerung des AKW geklagt.
Die Klage war im März 2011 vom Verwaltungsgericht in Stassburg abgewiesen worden. «Der Fall war fast gleich wie Mühleberg, abgesehen vom Urteil», sagt ASN-Chef Florien Kraft gegenüber swissinfo.ch.
Die grenzüberschreitende Thematik sei im betroffenen Dreiländereck Deutschland, Frankreich und Schweiz schnell erkannt worden, sagt der ASN-Vertreter. «Unsere Beziehungen mit der Schweiz sind sehr eng. Die Behörden tauschen seit 1989 Informationen aus, und wir führen gegenseitige Inspektionen durch.»
Französischer Inspektor in Mühleberg
Im Dezember 2011 inspizierte ein Inspektor der ASN das AKW Mühleberg. «Ich kann mich nicht über die Sicherheit der Kernkraftwerke in der Schweiz äussern», sagt Florian Kraft. «Aber wenn uns etwas beunruhigt, so würden wir es signalisieren. Der Entscheid, Mühleberg abzuschalten, wurde aufgrund subtiler Kriterien getroffen, die den Inspektoren nicht unbedingt auffallen.»
Das beträchtliche Alter der Kernkraftwerke Mühleberg (40) und Fessenheim (34) mache sie verletzlicher und biete den Gegnern mehr Angriffsfläche. «Die Alterung ist auch auf internationaler Ebene ständiges Thema», bestätigt Kraft.
Wenn Mühleberg tatsächlich bis 2013 stillgelegt würde, nähme der Druck auf Fessenheim zu. «Seitdem Deutschland den Ausstieg aus der Atomkraft bis 2022 bekannt gegeben und die Schweiz neue Projekte gestoppt hat, sind die Atomkraft-Gegner auch in Frankreich zahlreicher geworden», bestätigt der ASN-Vertreter.
Atomkritisches Freiburg im Breisgau
Die süddeutsche Stadt Freiburg ist nicht erst seit Fukushima bekannt für ihre atomkritische Haltung. Sie ist offiziell Mitglied des trinationalen Atomschutzverbands TRAS .
Über den Rechtsstreit um eine Betriebsverlängerung von Mühleberg hätten die Medien im süddeutschen Raum zwar auch ausführlich berichtet, sagt Dieter Wörner, Leiter des Freiburger Umweltschutzamts, gegenüber swissinfo.ch. Aber die Bevölkerung sorge sich viel mehr noch um die Sicherheit des nur 25 Kilometer entfernten AKW Fessenheim.
Nach der Reaktorkatastrophe in Fukushima hatte der Gemeinderat geschlossen die Stillegung des Kernkraftwerks auf der französischen Seite des Rheins gefordert.
Anfang März 2012 hat das Bundesverwaltungsgericht aufgrund einer Beschwerde von AKW-kritischen Anwohnern entschieden, dass die offenen sicherheitstechnischen Fragen zum AKW Mühleberg eine unbefristete Betriebsbewilligung nicht rechtfertigten.
Eine solche hatte das Eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) erteilt.
Die Sicherheitsaspekte seien «zu gewichtig, als dass ihre Behebung bloss durch die übliche laufende Aufsicht gesichert werden kann», begründete das Verwaltungsgericht den Entscheid.
Mitte März legte die BKW, die Betreibergesellschaft des AKW Mühleberg, beim Bundesgericht Beschwerde gegen den Entscheid ein.
Es bestünden zum Beispiel Unklarheiten, ob bis Ende der befristeten Bewilligung im Juni 2013 ein neues Gesuch schon beurteilt sein müsse. Unklar sei auch, welche behördlichen Gutachten massgebend seien.
Die BKW als Betreibergesellschaft des AKW Mühleberg muss bis zum 31. März 2012 dem Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorat (Ensi) den Beweis erbringen, dass das AKW Mühleberg und der Staudamm am Wohlensee neuen, strengeren Erdbebenstandards genügen.
Falls Mühleberg den Erdbeben-Beweis erbringen kann, folgt im Oktober 2012 die nächste Prüfung. Dann wird das Ensi mitteilen, ob es mit dem Langzeitbetrieb des AKW einverstanden ist.
Dabei wird auch das Instandhaltungskonzept für die schon seit langem festgestellten Risse im Kernmantel überprüft.
Ist das Ensi mit der Lösung nicht zufrieden, erhält die BKW eine neue Frist für Nachbesserungen.
AKW-Gegner kritisieren insbesondere auch diese immer wieder gewährten neuen Fristen.
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