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Wie viel und welche Politik braucht die Volksschule?

Leistung und Disziplin sollen laut SVP in Zukunft mehr zählen. Keystone

Die Schule als Wahlkampfthema: Die Volkspartei setzt sich ein für eine konservative Volksschule mit mehr Ordnung und Disziplin. Beat W. Zemp, Zentralpräsident des Dachverbands der Schweizer Lehrerinnen und Lehrer, nimmt Stellung zu den Forderungen.

Mit ihrer Forderung nach einer strengeren Schule fügt die rechtskonservative Schweizerische Volkspartei (SVP) ihrem Hauptwahlkampfthema Ausländer ein weiteres zugstarkes Vehikel für die Parlamentswahlen 2011 hinzu.

Die heutige Schule ist nach der Meinung von SVP-Nationalrat Ulrich Schlüer geprägt durch zu wenig Leistungsbereitschaft, Qualität, Disziplin und Ordnung und durch zu viel «Formularitis».

Im Grundlagenbericht «Der Weg zur leistungsorientierten Volksschule» erklärt er den integrativen Unterricht als gescheitert. Leistung müsse mit Noten bewertet werden. Die Erziehung sei Sache des Elternhauses, nicht der Schule. Diese müsse sich auf die Vermittlung von Schulstoff konzentrieren.

Auch andere Parteien machen die Bildungspolitik zum Wahlkampfthema. Die Christlichdemokratische Volkspartei (CVP) hatte schon im Sommer einem Bildungspapier zugestimmt. Sie bereitet Vorstösse zur Lehrerbildung und zur Stärkung der Kernkompetenzen vor.

Auch die Freisinnig-Demokratische Partei (FDP.Die Liberalen) will prüfen, ob sie die Debatte auf nationaler Ebene führen will.

swissinfo.ch: Die SVP setzt sich ein für eine konservative Volksschule mit mehr Disziplin und Ordnung. Unterstützt der Dachverband der Schweizer Lehrerinnen und Lehrer (LCH) diese Forderungen?

Beat.W. Zemp: Ohne Disziplin und Ordnung ist kein wirksamer Unterricht möglich in der Schule. Das bedeutet aber nicht, dass Schülerinnen und Schüler während acht Stunden auf ihren Bänken still sitzen und dem Lehrer zuhören müssen, wie das in den 1950er-Jahren des letzten Jahrhunderts der Fall war.

Es braucht eine gute Mischung verschiedener Lernformen. Und dazu gehören neben einem guten Frontalunterricht eben auch soziale Lernformen, zum Beispiel in Gruppen, oder auch selbstgesteuerte Lernphasen. Wichtig ist, dass die Lehrperson solche Lernprozesse steuern kann und die Lernleistungen regelmässig überprüft.

swissinfo.ch: «Formularitis» ist ein grosser SVP-Kritikpunkt am heutigen Schulsystem. Ist es nicht so, dass sich sehr viele Lehrpersonen über einen in den letzten Jahren unglaublich gewachsenen «Papierkrieg», über eine «Weisungsflut» der Erziehungsbehörden beschweren?

B.W.Z.: Tatsächlich hat der «Papierkrieg» zugenommen. Die Ursachen dafür sind aber vielfältig. Da gibt es einerseits die Tendenz, alle Probleme mit Reglementen zu lösen. Das geht dann von juristischen Haftungsfragen bis hin zum Umgang mit Kleidern oder mit dem Kruzifix im Schulzimmer…

Andererseits verlangen aber auch viele Eltern eine immer genauere Dokumentation von Zeugnisnoten, die dann rekurssicher sein müssen.

Und schliesslich führen auch Schulreformen, die vielen Evaluationen, Umfragen und Erhebungen zu mehr administrativer Arbeit des Lehrpersonals. Wir brauchen hier auf jeden Fall eine Klärung, was noch möglich ist an Schulreformen und Evaluationen, damit der «Papierkrieg» nicht weiter zunimmt.

swissinfo.ch: Die SVP möchte die Teilzeitarbeit an den Schulen reduzieren oder gar abschaffen. Was meint der LCH dazu?

B.W.Z.: Ein Teilzeitarbeits-Verbot an Schulen ist reines Wunschdenken. Und es würde sich ja vor allem gegen die Frauen richten, die Beruf und Familie unter einen Hut kriegen müssen oder wollen.

Die SVP legt hier aber zu Recht den Finger auf einen wunden Punkt: Wir brauchen wieder mehr Vollzeitstellen an unseren Schulen, und wir brauchen auch wieder mehr Männer in diesem Beruf. Dazu müssen wir aber nicht die Teilzeitlehrerinnen vertreiben, sondern den Beruf auch für Männer wieder attraktiver machen.

In den nächsten zehn Jahren werden 30’000 Lehrerinnen und Lehrer pensioniert, und wir sind um jede geeignete Person froh, die in diesen Beruf einsteigt und ihm treu bleibt.

swissinfo.ch: Im Gegensatz zu allen anderen Parteien möchte die SVP in den Kindergärten mehr Mundart vermitteln. Sie ist gegen frühen Sprachunterricht. Wie sehen Sie das?

B.W.Z.: Da bin ich klar der Meinung, dass sowohl Mundart wie auch Hochdeutsch im Kindergarten gesprochen werden soll.

Die Mischung muss man aber nicht genau auf Prozente festlegen, denn die Kindergärtnerin weiss am besten, welche Mischung für die jeweilige Klasse richtig ist.

Das hängt nämlich sehr von der Zusammensetzung einer Klasse ab und von den bereits vorhandenen Sprachkompetenzen der Kinder.

swissinfo.ch: Die Volkspartei macht sich auch stark für eine unternehmerische Freiheit des Lehrpersonals bei der Gestaltung ihres Unterrichts. Verhindern dies die aktuellen Lehrpläne oder der Lehrplan 21?

B.W.Z.: Lehrpläne geben die zu erreichenden Ziele und Kompetenzen vor. Es ist dann die Aufgabe der Lehrperson, den Unterricht so zu gestalten, dass die vorgegebenen Ziele möglichst gut erreicht werden.

Hier gilt die Methodenfreiheit für die Lehrerinnen und Lehrer, das wird auch im Lehrplan 21 so sein. Umstritten ist zur Zeit noch, wie weit die Lehrmittelfreiheit gehen darf. Das ist noch nicht ausdiskutiert.

swissinfo.ch: Die interkantonale Vereinbarung über die Harmonisierung der obligatorischen Schule, das so genannte Harmos-Konkordat, ist der SVP offensichtlich ein Dorn im Auge. Weshalb ist das Ihrer Meinung nach so?

B.W.Z.: Wenn man sich die SVP-Plakate mit den weinenden Kindern bei den letzten Abstimmungskämpfen um Harmos in den Kantonen Basel-Landschaft und Solothurn anschaut, dann stört die SVP vor allem das Obligatorium des zweijährigen Kindergartens. Dabei gehen heute ja schon weit über 90% freiwillig in den Kindergarten, und das ganz ohne zu weinen.

Aber die SVP möchte offenbar auch keinen Ausbau der Tagesstrukturen an den Schulen. Kinder sollen ausschliesslich zu Hause betreut und erzogen werden. Das entspricht meines Erachtens aber nicht den heutigen Bedürfnissen vieler Familien. Denken Sie nur an die Alleinerziehenden oder auch an Familien, in denen beide Eltern arbeiten müssen.

swissinfo.ch: Was für Signale zur Bildungspolitik kommen von den anderen grossen Parteien?

B.W.Z.: Fast alle Parteien haben in den letzten zwei Jahren Positionspapiere zur Bildung verabschiedet. Die einen setzen mehr auf Wettbewerb zwischen den Schulen, die anderen wollen mehr Umwelterziehung oder Wertevermittlung. Man kann sagen, die Schule ist immer mehr zum Spielball der Politik geworden.

Wir werden Anfang September 2011, also noch vor den Nationalratswahlen, einen nationalen Tag der Bildungspolitik in Bern durchführen und dann der Frage nachgehen, wie viel und welche Politik die Schule braucht. Eingeladen sind dann natürlich alle Parteien, auch die SVP.

Die Partei ortet im Volksschulwesen eine von Formularlawinen ohne Ende geprägte «Bürokratie-Wüste», die den Lehrpersonen fast alle Freiheit raube, mit ihrer Persönlichkeit, den pädagogischen Fähigkeiten und Überzeugungskraft den Unterricht ausgerichtet auf die vor ihnen sitzende Klasse mit je eigenem Charakter zu gestalten.

«Feindbild Autorität»: Die Partei sieht eine klassenkämpferisch motivierte Unterhöhlung der Autorität durch die «Achtundsechziger Schulreform». Das soll anders werden.

«Reformitis»: Die SVP macht eine «Reform-Hektik» aus. Es geht ihrer Meinung nach vor allem darum, ohne Berücksichtigung der Qualität die Volkschulen aller Kantone zu vereinheitlichen. Sie ortet auch einen Drang zu internationaler Anpassung.

Ganz gegen den Strich gehen der Partei das Harmonisierungs-Projet «Harmos» und der Lehrplan 21, der von den Deutschschweizer Kantonen gemeinsam erarbeitet wird.

– Eltern sind für die Erziehung verantwortlich, die Schule für die Ausbildung.
– Schluss mit der «Reformitis».
– Der Lehrer hat eine Führungsaufgabe.
– Disziplin und Ordnung bilden die Basis für den Lernerfolg.
– Lernziele müssen gesetzt werden und der Lernerfolg gemessen werden.
– Gute Hochdeutsch-Kenntnisse sind Voraussetzung.
– Der integrative Unterricht ist gescheitert.
– Lehrmittel auf Lernziele ausrichten.
– Klar umrissene Fächer statt unscharf umschriebener Unterrichtsbereiche.
– Noten ja, kein Notenersatz.
– Keine Teilzeit-Lehrende mehr.

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