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Wie weiter nach den «Wahlen der Wut»?

Triumphaler Sieg für Alexis Tsipras von der Linkspartei Syriza. Keystone


Die Linkspartei Syriza hat die Parlamentswahl in Griechenland gewonnen, die absolute Mehrheit jedoch knapp verfehlt. Dieses Resultat sei ein klares Signal nach Brüssel und zeige, so die Schweizer Presse, dass «die Wut der Menschen grösser war als die Angst vor den ungewissen Folgen eines Machtwechsels». Ob Tsipras die Herkulesaufgabe schaffen wird, ist fraglich. 

«Mit Alexis Tsipras wurde auf eine Fata Morgana der Hoffnung gesetzt, auf ein Trugbild, eine vermeintliche Lichtgestalt, die das Land aus der Knechtschaft führt, ihm neuen Reichtum verschafft und jenen Stolz zurückgibt, der mit der Antike unterging, schreibt die Basler Zeitung unter dem Titel «Griechische Agonie».

Tsipras sei nur eine charismatische Projektionsfläche der griechischen Sehnsüchte, der Mann vielleicht auch, der geschickt in die Glut des hellenischen Naivitätspotenzials gepustet habe, damit daraus ein Feuer werde.

«Griechenland hat seine Sehnsucht gewählt dieses Wochenende, und Sehnsucht ist, dass alles so wird, wie es vor der Krise war…», heisst es im BaZ-Kommentar, der am Syriza-Wahlsieg nichts Gutes sieht und Griechenland mit einem langsam sinkenden Schiff vergleicht.

Wahlen in Griechenland

Syriza-Chef Alexis Tsipras ist als Ministerpräsident Griechenlands vereidigt worden. Bei der Zeremonie am Sitz des Staatspräsidenten Karaolos Papoulias in Athen versprach Tsipras am Montag, die Interessen des griechischen Volkes zu wahren. Tsipras verzichtete auf die religiöse Eidesformel. Der 40-Jährige hatte sich zuvor mit der nationalistischen Partei der Unabhängigen Griechen (Anel) auf eine Koalition geeinigt.

Syriza kam bei der Wahl vom Sonntag auf 36,3 Prozent und erhält somit 149 Mandate im neuen Parlament. Die absolute Mehrheit hat die Linkspartei knapp verfehlt.

Syriza-Chef Tsipras bekräftigte seine Aussagen aus dem Wahlkampf, dass er die mit den europäischen Partnern vereinbarten Reformauflagen neu verhandeln will. Mit dem Wahlergebnis gebe es ein klares Mandat für ein Ende des zerstörerischen Sparprogramms, sagte er. Tsipras hatte den Bürgern Griechenlands einen Schuldenschnitt und ein Ende der Sparmassnahmen versprochen.

Die Troika aus Europäischer Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF), die Griechenland mit 240 Milliarden Euro vor dem Kollaps gerettet hatten, sei Geschichte, sagte er.

Bruch mit dem alten «Gefälligkeitsstaat»

Laut Der Bund und Tages-Anzeiger haben die Griechen die Konfrontation gewählt, weil sie wütend und empört seien, «dass ihre persönlichen Opfer in fünf langen Krisenjahren offenbar weitgehend umsonst waren. Weil Griechenland nicht wirklich vorangekommen ist. Weder mit den inneren Reformen des Staats noch mit dem Neuaufbau der Wirtschaft, was besonders tragisch ist angesichts einer Arbeitslosigkeit von gut 25 Prozent».

Die 240 Milliarden Euro teure Griechenlandrettung sei eben leider noch nicht zu jener Erfolgsgeschichte geworden, die sich Bundeskanzlerin Angela Merkel so sehr gewünscht habe. Der Grund dafür, so Bund und Tagi weiter: «Gute Ratschläge von aussen nützen nur wenig, wenn die verlangten Reformen in den Händen derer liegen, die für das alte Schlamassel massgeblich mitverantwortlich sind. Deshalb schenkten nun so viele Griechen den neuen Gesichtern und den unverbrauchten, aber auch unerfahrenen Leuten der Linken ihr Vertrauen.»

Ob Tsipras die Hoffnungen all jener Wähler erfüllen könne, werde deshalb nicht allein davon abhängen, ob er in Berlin und Brüssel eine schöne «Kolotumba», einen Purzelbaum, schlage, um Griechenlands Verbleib in der Eurozone mit neuen Kreditlinien abzusichern. «Für die Zukunft des Landes ist mindestens so bedeutend, dass die Wahlsieger den Bruch mit dem alten Gefälligkeitsstaat wagen. Nur so kann es ein neues Griechenland geben.»

Auch ein Resultat jahrzehntelanger Misswirtschaft

Im Unterschied zu den letzten Wahlen vom Juni 2012 sei diesmal der Wunsch nach Wandel und nach einer unverbrauchten Kraft grösser gewesen als die diffusen Ängste vor einem Ausschluss des Landes aus der Euro-Zone, heisst es in der Neuen Zürcher Zeitung. Die Angstkampagne der Regierung habe ihre Wirkung verfehlt.

«Doch die schrille Rhetorik, die zu jedem griechischen Wahlkampf gehört, ist das eine, etwas anderes ist die Realität. Tsipras macht es sich einfach, wenn er Griechenland allein als Opfer des Spardiktats der westlichen Geldgeber hinstellt und verkündet, die Athen aufgezwungene Austeritätspolitik habe die griechische Gesellschaft zerstört.» Die Krise sei vor allem auch das Resultat der jahrzehntelangen eigenen Misswirtschaft, betont die NZZ.

«Eine der Wurzeln des Übels ist der aufgeblähte, ineffiziente und teure öffentliche Sektor. Jahrzehntelang diente der Staat als üppige Futterkrippe, an der sich die Klientel der jeweiligen Regierungspartei labte. Ganze Generationen sind im Glauben aufgewachsen, dass der Staat es schon richten werde und dass die Staatsbetriebe der wahre Reichtum des Landes seien. Ohne eine Entschlackung des öffentlichen Sektors kann das Land nicht saniert werden. Doch ist gerade bei den Linken die Staatsgläubigkeit tief verwurzelt.»

Der Wahlsieger habe der eigenen Bevölkerung trotz dem gewaltigen Schuldenberg viel versprochen. «Ob die Rezepte von Tsipras Linderung bringen werden, ist fraglich. Sie könnten das Land auch in ein noch grösseres Elend stürzen», warnt eine skeptische NZZ.

Die Last des Wahltriumphs

Der Ministerpräsident in spe sei nicht zu beneiden, schreibt die Neue Luzerner Zeitung. «Denn die utopischen Sozialprogramme, die er im Wahlkampf versprach, sind nicht finanzierbar. Tsipras muss Abstriche machen. Die Finanzlage in Athen ist prekär. Griechenland braucht ein drittes Rettungspaket, sonst droht spätestens im Sommer die Insolvenz.» Neue Hilfsgelder seien aber mit neuen Spar- und Reformauflagen verbunden, so die NLZ. «Je schneller Tsipras diese Realität erkennt, desto besser für ihn und sein Land.»

Laut der Westschweizer Zeitung Le Temps zeigt die Wahl zuerst einmal «den Willen einer von der Krise zermürbten Bevölkerung, ihr Schicksal wieder selber in die Hand zu nehmen. Die Wahl kommt zu einem Zeitpunkt, wo auf dem ganzen Kontinent der Bedarf nach ökonomisch-sozialem Sauerstoff spürbar ist.» Die Griechen hätten gewählt. «Jetzt muss das Griechenland der abtrünnigen Syriza sagen, was es will.»

Für La Liberté bleibt die Frage offen, ob diese Wahl die Griechen vereint oder die Befürchtungen der Reichen, dieser berühmt-berüchtigten «Oligarchie», verstärkt, die bereit seien, in Richtung andere Horizonte zu segeln, um ihre Privilegien zu bewahren.

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