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Wieder prekäre Ernährungslage in Nordkorea

Ein Dorf in Nordkorea. Reuters

In Nordkorea gibt es zurzeit zwar keine Hungersnot wie 1995, doch es gibt Anzeichen, dass wieder mehr Menschen Hunger leiden und das Land vor einer neuen Krise stehen könnte. Dies sagte die Chefin des DEZA-Programms in Nordkorea vor Medien in New York.

Katharina Zellweger lebt seit 2006 in Nordkorea und leitet das Kooperationsbüro der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) in der Hauptstadt Pyöngyang.

Bei ihren Besuchen in weiten Teilen des abgeschotteten Landes hat sie in den vergangenen Wochen festgestellt, dass die Menschen wieder stärker unter Mangelernährung leiden.

Die internationale Nahrungsmittelhilfe ist in den letzten Jahren stetig gesunken. Viele Geberländer haben ihre Hilfe eingestellt oder reduziert, weil sie das Regime in Pyöngyang nicht unterstützen wollen.

«Man sieht immer mehr Menschen, die auf der Suche nach Nahrung Wurzeln ausgraben, Gräser und andere essbare Pflanzen suchen.

Oder sie schlagen Bäume und versuchen, auf diesem Boden Mais oder Kartoffeln anzupflanzen», erklärte Zellweger am Montag nach Gesprächen bei der UNO in New York.

Stadt-Land-Graben

Es gebe einen Graben zwischen Land und Stadt, sagt Zellweger. Besonders akzentuiert seien die Probleme – Pyöngyang ausgenommen – in städtischen Regionen. «Dort ist das Leben besonders hart, weil es keine Landflächen gibt, wo die Menschen Nahrungsmittel anpflanzen könnten.»

«Noch ist der Hunger nicht wirklich offensichtlich in den Strassen zu sehen.» Es brauche dafür einen trainierten Blick. Der extrem kalte letzte Winter habe die Situation verschärft. Weil zudem kaum Schnee auf den Feldern lag, habe die Frühlingsernte zusätzlich gelitten, viele Kartoffelsetzlinge seien erfroren.

Weiter erschwert werde die Lage der Landwirtschaft aufgrund des Mangels an Düngemitteln, vor allem seit Südkorea diese Hilfeleistung eingestellt habe. Nur noch China liefere Düngemittel und Treibstoff.

Schweizer Projekte

Die Schweiz ist neben Italien das einzige Land Europas, das in Nordkorea ein bilaterales Hilfsprojekt am Laufen hat. Neben der humanitären Hilfe setzt die Schweiz auf Zusammenarbeit im Landwirtschaftsbereich sowie auf Schulungsprogramme im Ausland. «Dies ist eine Möglichkeit, die Menschen etwas aus ihrer Isolation herauszuführen, sie mit neuen Ideen in Kontakt zu bringen.»

So befinde sich zurzeit eine Gruppe aus Nordkorea an der Universität Basel, wo sie über die europäische Integration informiert würden. Zu dem Programm gehören Besuche in Strassburg und Brüssel, sowie in Genf bei der UNO und dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz.

Steter Tropfen

Die Argumentation der Schweiz ist, dass die Leute, die an solchen Programmen oder Kursen teilnehmen, ihr neues Wissen vielleicht nicht gleich umsetzen können.

«Wir denken, dass von dem Kontakt mit neuen, unbekannten Dingen etwas zurückbleiben und langfristig helfen kann, neue Horizonte zu öffnen.»

Neben den Schulungskursen hat die Schweiz in Pyöngyang eine kleine Business-Schule eröffnet. «Das Angebot ist eine Art «Mini»-MBA», sagt Zellweger, ein Kurs in Wirtschaftsführung. Die Studierenden müssen zum Abschluss einen Test absolvieren und eine Gruppenarbeit abliefern und erhalten dann ein Zertifikat.

Hungriges Kind kennt keine Politik

Natürlich bestehe in Nordkorea grosser Handlungsbedarf, vieles könnte besser werden. «Früher oder später. Auf jeden Fall muss der Wandel von innen kommen.» Es werde lange brauchen und es brauche sehr viel Geduld, unterstreicht Zellweger.

Die politischen Spannungen des Landes mit der internationalen Gemeinschaft erschwerten die Hilfsarbeit. Für Zellweger darf dies aber nicht davon ablenken, dass «ein hungriges Kind keine Politik kennt» – die Hilfe müsse daher weitergehen.

Ob Nordkorea in den kommenden Monaten erneut von einer Hungersnot erfasst werde, sei nicht abzuschätzen. Es sei schlicht nicht möglich, vorauszusagen, wann der Punkt komme, in dem eine Situation der chronischen Mangelernährung in eine akute umschlage.

Die Lebensmittelrationen an die verletzlichsten Teile der Bevölkerung hätten teilweise auf ein Niveau gesenkt werden müssen, das unter dem liege, was es zur Deckung der täglichen Bedürfnisse brauchen würde.

Kleine Zeichen des Wandels

Neben der erneut kritischen Ernährungsmittellage sieht Zellweger aber auch kleine Zeichen des Wandels. «Ich habe über all die Jahre hinweg den Wandel gesehen. Er erfolgt sehr langsam, wenn man nur ein Jahr oder so in Nordkorea verbringt, kann man das nicht sehen.»

Offensichtlich seien diese Zeichen vor allem in Pyöngyang. «Man sieht heute mehr Autos, die Leute tragen vermehrt farbige Kleider.» Auch gebe es wieder Märkte, man sehe auch einige Konsumgüter. Gewisse Leute hätten etwas Geld. Und zudem gebe es heute Mobiltelefone, was die Kommunikation unter den Leuten erleichtere.

Eine sehr eingeschränkte Kommunikation zwar, räumt sie ein, denn ins Ausland telefonieren können die Nordkoreaner bis heute nicht. Und über die Volksaufstände in Nordafrika hatte die offizielle Presse laut Zellweger ein einziges Mal kurz berichtet.

Landwirtschaftsprojekte

Im Zentrum der Schweizer Landwirtschafts-Projekte stehen die biologische Schädlingsbekämpfung, vor allem bei Mais und Kohl. Daneben führt sie Projekte zur Stabilisierung von Land in Hanglagen durch, wo Hänge völlig abgeforstet worden waren, was Bodenerosion nach sich zog.

Bei den Projekten lernen die Leute, wie sie die Hänge stabilisieren und Anbauflächen gewinnen können. Die Projekte erfolgen mit so genannten «Nutzergruppen» (user groups). Die Motivation für die Teilnahme der lokalen Bevölkerung ist, dass die Leute die dort angepflanzten Nahrungsmittel für sich selber nutzen, sie auf Märkten verkaufen oder für Tauschgeschäfte einsetzen dürfen.

Das Engagement der Schweiz in Nordkorea begann 1995 mit der humanitären Hilfe zur Linderung der Hungersnot, von der das Land damals erschüttert wurde.

Später weitete die Schweiz den Einsatz von der humanitären Hilfe auf Entwicklungszusammenarbeit aus und eröffnete 1997 in der Hauptstadt Pyöngyang ein Koordinationsbüro.

Im Zentrum des Einsatzes stehen ein Landwirtschaftsprogramm und Projekte zur Stabilisierung und Bepflanzung von abgeforsteten Hanglagen sowie die Unterstützung der Öffnung nach aussen, unter anderem mit Schulungsprogrammen im Ausland.

Das Budget für das bilaterale Programm der DEZA lag 2010 bei 8,63 Mio. Franken (3,66 Mio. bilaterale Entwicklungszusammenarbeit, 4,97 Mio. humanitäre Hilfe), 2011 waren noch 5,3 Mio. budgetiert (2 Mio. bilaterale Entwicklungszusammenarbeit, 3,3 Mio. humanitäre Hilfe).

Das DEZA-Sonderprogramm in Nordkorea wird nach einem Vorstoss des Parlaments per Ende 2011 eingestellt. Die humanitäre Hilfe wird weitergeführt, und die Schweiz wird ihre Präsenz mit dem DEZA-Büro in Pyöngyang aufrechterhalten.

Bis Ende 2011 sollen die Entwicklungs-Projekte an internationale oder lokale Partner übergeben werden.

Zurzeit sind neben Zellweger zwei weitere Schweizer in dem Büro tätig, sowie sieben lokale Angestellte. Mit wie viel Personal das Büro ab 2012 dotiert sein wird, ist noch offen.

(Quelle: DEZA)

Aufgrund der sinkenden Spendenbereitschaft der internationalen Gemeinschaft konnte das Welternährungsprogramm der UNO (WFP) in den letzten Jahren immer weniger Hilfsgüter an die verletzlichsten Menschen verteilen (Zahlen gerundet):

2008: 136’000 Tonnen (t)

2009: 65’000 t

2010: 55’000 t

2011 (bis Juni): 11’000 t

Gilt als international anerkannte Fachfrau im Bereich humanitäre Hilfe und Entwicklung in Nordkorea. Seit Ende 2006 lebt sie als Leiterin des Deza-Kooperationsbüros in Pyöngyang.

Zuvor hatte sie das abgeschottete Land seit 1995 als Projektleiterin der Caritas immer wieder besucht, bei der sie seit 1978 in Hongkong tätig war.

In Anerkennung ihrer humanitären Arbeit wurde sie 2005 von der südkoreanischen Stiftung Tji Hak-soon mit dem Preis für Gerechtigkeit und Frieden ausgezeichnet. Bischof Tji Hak-Soon war in den 1970er-Jahren ein Vorkämpfer für die Demokratie in Südkorea.

2006 erhielt Zellweger für ihre langjährige Tätigkeit zugunsten der Bevölkerung in Nordkorea die höchste Auszeichnungen des Vatikans für Laien und wurde zur Dame des Heiligen Georg des Grossen (Dame of Saint Gregory the Great) ernannt.

Ab November 2011 hat Katharina Zellweger für ein Jahr ein Forschungstipendium im Korean Studies Program (KSP) der Stanford University in Kalifornien.

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