«Wir halten den Druck im Bereich Ökologie aufrecht»
Erfolg der Energiestrategie und die Normalisierung der Beziehungen zwischen der Schweiz und der Europäischen Union: Dies sind die zwei Prioritäten der Grünen Partei der Schweiz für die kommende Legislatur. Ein Gespräch mit der Co-Präsidentin Adèle Thorens.
Im Bereich Ökologie «sind die Dinge in Bewegung», bekräftigt die Waadtländer Nationalrätin Adèle Thorens, die seit 2012 zusammen mit ihrer Berner Kollegin Regula Rytz an der Spitze der Grünen steht. Aber «man muss den Druck aufrecht erhalten», damit die Energiewende kein frommer Wunsch bleibe, unterstreicht die Politikerin.
swissinfo.ch: Bei den letzten eidgenössischen Wahlen 2011 konnte ihre Partei nicht vom Fukushima-Effekt profitieren und verlor 5 Mandate im Nationalrat. Macht es heute, wo alle Parteien «etwas Ökologie betreiben», noch Sinn, «Grün» zu sein?
Adèle Thorens: Aber sicher. Betrachtet man nur die Umweltfragen, so haben wir zwei Rollen zu spielen. Die erste ist, Druck zu machen, zum Beispiel im Nuklearbereich. Das Paket Energiestrategie 2050Externer Link enthält sehr gute Aspekte. So wurde beschlossen, dass wir keine neuen Atomkraftwerke mehr bauen werden, dass wir mehr in erneuerbare Energien investieren werden. Aber es wurde keine Begrenzung für die Lebensdauer der alten Kernkraftwerke festgelegt. Die Dinge sind zwar in Gang gekommen, es braucht jedoch eine Partei, die den Druck aufrecht erhält.
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Die Grüne Partei und die 5. Schweiz
Zum zweiten haben wir eine Rolle als Pionierin. In unserer Volksinitiative für eine grüne Wirtschaft – auf welche die Regierung mit einem Gegenvorschlag reagierte – sprechen wir von Kreislaufwirtschaft, von Wiederverwertung von Materialien, von Öko-Design und programmierter Obsoleszenz. Gewisse unserer Kolleginnen und Kollegen wissen nicht einmal, worum es dabei geht. Doch ich bin überzeugt, in zehn Jahren werden alle wissen, worum es bei diesen Themen geht, und wir werden bis dann auch Gesetze in diesen Bereichen erlassen haben.
swissinfo.ch: Wenn Sie zwei Prioritäten Ihrer Partei für die kommende Legislaturperiode nennen müssten, welche wären dies?
A.T.: Im Bereich Umwelt ist es der Erfolg der Energiestrategie. Wahrscheinlich werden wir das Paket vor Ende der Legislaturperiode verabschieden, aber es besteht immer das Risiko eines Referendums. Zudem: Falls keine Eckdaten für die Stilllegung der Atomkraftwerke festgelegt werden, wie das der Fall zu sein scheint, so wird unsere Atomausstiegs-InitiativeExterner Link zur Abstimmung kommen, die verlangt, dass die Kernkraftwerke nach 45 Jahren vom Netz genommen werden müssen.
Eine ökologisches Steuerreform ist der zweite Pfeiler der Energiestrategie, für die wir kämpfen. Es geht darum, die externen Kosten [zum Beispiel die Auswirkungen auf die Umwelt] einzubeziehen in die Energiepreise. Dies würde dazu führen, dass die Energiewende rascher voran kommt, weil die erneuerbaren Energieträger damit viel wettbewerbsfähiger würden.
Unsere zweite Priorität ist die Aufrechterhaltung der Bilateralen Abkommen und die Normalisierung der Beziehungen zwischen der Schweiz und der Europäischen Union nach der Abstimmung vom 9. Februar 2014 [Initiative «gegen die Masseneinwanderung»].
swissinfo.ch: Welche Entwicklung sehen Sie für dieses Europa-Dossier?
A.T.: Es gibt zwei Optionen. Entweder gelingt es, die Bilateralen mit der EU aufgrund eines flexiblen Anwendungsgesetzes zu bewahren, oder es kommt zu einer weiteren Abstimmung. Das erste Szenario ist nicht ausgeschlossen, es gibt Handlungsraum, den man ausschöpfen kann. Dazu würde es ein Paket von Massnahmen brauchen. Erwähnen kann man jene Massnahmen, die der Bundesrat bereits vorgeschlagen hat, wie den erleichterten Zugang für Frauen auf den Arbeitsmarkt, oder eine bessere Integration der Leute, die älter sind als 50 Jahre. Oder, wie Avenir Suisse vorgeschlagen hat, die Festlegung mittelfristiger Ziele zur Steuerung der Migration, mit dafür vorgesehenen Sanktionen, wenn die Wirtschaft diese Ziele nicht erreicht.
Die Grüne Partei der Schweiz wurde 1983 gegründet. Sie ging aus einem Zusammenschluss verschiedener Umwelt-Bewegungen aus den 1970er-Jahren hervor.
Mit Daniel Brélaz, heute Stadtpräsident von Lausanne, war 1979 erstmals ein grüner Abgeordneter ins eidgenössische Parlament gewählt worden.
Bei den eidgenössischen Wahlen von 1983 hatten die Grünen – die sich zu dem Zeitpunkt unter dem Namen «Föderation der grünen Parteien der Schweiz (GPS) zusammengeschlossen hatten – 1,7% der Stimmen und 3 Sitze im Nationalrat erhalten.
2007 hatte die Partei das beste Resultat ihrer Geschichte verbuchen können: 9,6% der Stimmen, 20 Sitze im Nationalrat und 2 im Ständerat. 2011 mussten sie erneut einen Rückgang einstecken: 8,4% der Stimmen und 5 Sitze weniger im Nationalrat.
Die zweite Option ist eine neue Abstimmung. Ich denke, dies ist die wahrscheinlichere Variante. Sei es, weil die eine oder andere Partei gegen das Anwendungsgesetz das Referendum ergreifen dürfte, sei es, weil es uns nicht gelingt, ein Gesetz auszuarbeiten, das kompatibel ist mit den Bilateralen Abkommen, und man erneut eine Anpassung der Verfassung in Betracht ziehen würde. So käme es zu einer Abstimmung, die – so hoffe ich – die Fortsetzung des bilateralen Wegs bestätigen würde.
swissinfo.ch: Die Energiestrategie 2050 stösst in Wirtschaftskreisen teilweise auf Kritik, weil sie für Unternehmen zusätzliche Kosten nach sich ziehen würde. Zudem sprechen Sie von einer ökologischen Steuerreform. All dies in einer Periode, die bereits vom starken Franken geprägt ist. Ist all dies nicht etwas viel für die Wirtschaft?
A.T.: Die Energiestrategie ist für die Schweiz von Nutzen, denn sie wird uns ermöglichen, weniger Energie zu verbrauchen und Innovationen zu fördern, vor allem im Bereich der erneuerbaren Energien.
Was die ökologische Besteuerung angeht, hängt alles vom System ab, das man wählt. Wir setzen uns ein für einen Ausbau der CO2-Steuer, die bereits auf Erdöl erhoben wird. Es ist eine Abgabe, die es bereits seit mehreren Jahren gibt und die gut funktioniert. Die Einnahmen fliessen zurück an die Bevölkerung und die Unternehmen.
Wir möchten, dass dieses System ausgeweitet wird auf Benzin und auf Elektrizität aus nicht erneuerbaren Quellen. Das System ermöglicht auch Ausnahmen, zum Beispiel für energieintensive Unternehmen, die sehr empfindlich sind, was die internationale Wettbewerbsfähigkeit betrifft – immer vorausgesetzt, diese Firmen setzen Massnahmen um, um ihre Energieeffizienz zu verbessern.
Ökologische Besteuerung ist nur dann hart, wenn es für die Bereiche, welche die Steuer im Visier hat, keine Alternativen gibt. Das Ziel dieser Art Besteuerung ist in der Tat, dass die Leute ihr Verhalten ändern, nicht dass sie mehr zahlen müssen. Das System, für das wir uns einsetzen, belohnt effiziente und innovative Unternehmen.
swissinfo.ch: Welche Rezepte haben Sie, um gegen die Auswirkungen des starken Franken zu kämpfen?
A.T.: In allererster Linie sind wir der Ansicht, dass es ein Fehler ist, die Löhne senken zu wollen, oder Steuergleichgewichte zerschlagen zu wollen. Dies würde neue Probleme schaffen, darunter die Schwächung der Kaufkraft der Bevölkerung.
Im Gegenteil, jetzt ist der Moment, zu investieren, vor allem in Innovation und Spitzenleistungen, unsere einzigen Trümpfe. Mit den Negativzinsen kann die öffentliche Hand derzeit sehr günstig Kredite aufnehmen. Die Energiestrategie und eine grüne Wirtschaft schaffen lokal Arbeitsplätze und Mehrwert. Statt 10 Milliarden Franken pro Jahr zum Kauf von fossiler Energie aus dem Ausland auszugeben, könnte man diese Gelder in der Schweiz investieren.
swissinfo.ch: In den letzten Jahren hat der Islam für viele Schlagzeilen gesorgt – Schleier, Radikalisierung, Terrorismus. Welchen Platz sollte die muslimische Religion in der Schweizer Gesellschaft einnehmen?
A.T.: Die erste Herausforderung ist, Religion und Terrorismus nicht zu vermischen, und nicht zu vergessen, dass das Phänomen des Extremismus alle Religionen betrifft. Es lässt sich nicht von der Hand weisen, dass der Islam heute in einer Krise steckt. Aber in der Schweiz haben wir eine muslimische Gemeinde, die ihren Glauben friedlich lebt. Diese Menschen müssen ihr spirituelles Leben fortführen können, ohne stigmatisiert zu werden, und sie müssen miteinbezogen werden in den Kampf gegen extremistische und gewalttätige Auswüchse.
Man könnte sich auch die Frage stellen nach der Anerkennung der muslimischen Religion, die – wie weitere Religionen – in der Schweiz nicht auf die gleiche Art anerkannt wird wie das Christentum. Diese Art der Anerkennung geht einher mit einer Reihe von Gesetzen, aber auch Pflichten, zum Beispiel was die Transparenz angeht oder die Ausbildung der Imame. Diese müssten dazu beitragen, den Dialog und den Respekt zwischen religiösen Praktiken zu fördern, sowie den Respekt für unsere Kultur und unsere Gesetze.
(Das Interview wurde im März 2015 geführt)
(Übertragung aus dem Französischen: Rita Emch)
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