Bevölkerung und Parlament uneins über ausdrückliche Zustimmung
Die Schweizerinnen und Schweizer sind der Meinung, dass das Prinzip der ausdrücklichen Zustimmung der beste Weg ist, um sexuelle Gewalt zu bekämpfen. Dies ergab eine Umfrage des Instituts gfs.bern für Amnesty International. Die Lösung, die bereits von 13 Ländern übernommen wurde, überzeugt das Parlament jedoch nicht.
Derzeit reicht es nicht aus, eine sexuelle Handlung explizit abzulehnen. Die Justiz bestraft eine Vergewaltigung nicht, wenn das Opfer nicht durch Gewalt oder Drohungen dazu gezwungen wurde. Alle sind sich einig, dass das Gesetz geändert werden muss, aber die Lösung ist umstritten.
Fast 45% der vom Institut gfs.bern befragten Personen bevorzugen das Prinzip der ausdrücklichen Zustimmung oder «nur ein Ja ist ein Ja». Dies geht aus einer Umfrage hervorExterner Link, welche die Nichtregierungs-Organisation Amnesty International Schweiz am Dienstag vorgestellt hat.
Konkret würde dies bedeuten, dass jemand wegen Vergewaltigung verurteilt werden könnte, der oder die eine sexuelle Handlung mit einer Person vorgenommen hat, die dazu nicht explizit eingewilligt hat.
Das Ablehnungsprinzip oder «Nein heisst Nein» erhielt nur 27% der Stimmen aller Befragten. Diese Lösung sieht vor, dass Vergewaltigung unter der Bedingung bestraft wird, dass das Opfer seine Ablehnung zum Ausdruck gebracht hat.
Nur eine kleine Minderheit (13%) ist zudem der Meinung, dass der derzeit geltende Grundsatz der Nötigung angemessen ist. Fast 15% der Befragten gaben keine Antwort oder haben keine Meinung zu dieser Frage.
Noch immer problematische Einstellungen
Die Umfrage von gfs.bern zeigt, dass die Unterstützung für das Prinzip der ausdrücklichen Zustimmung unter Frauen, Jugendlichen oder LGBTIQ-Personen (lesbisch, schwul, bisexuell, transgender, queer und intersexuell) besonders hoch ist. Dies sind auch die Personengruppen, die sich selbst am stärksten der Gefahr sexueller Gewalt ausgesetzt sehen.
Obwohl das Gesetz noch nicht geändert wurde, hat die Schweizer Bevölkerung das ausdrückliche Einverständnis bereits in ihr Sexualleben integriert, wie die Umfrage ebenfalls zeigt: 81% der Einwohnerinnen und Einwohner des Landes geben an, Rücksicht zu nehmen und sich der Zustimmung ihres Partners oder ihrer Partnerin zu versichern.
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Problematische Verhaltensweisen und Einstellungen bestünden jedoch weiterhin, meist bei Männern, betont Chloé Jans, eine der Autorinnen der Studie. Beispielsweise interpretiert fast jeder Fünfte eine einmal in der Vergangenheit gegebene Zustimmung auch als Zustimmung zu einem aktuellen Geschlechtsverkehr. Jeder Zehnte hält es auch unter bestimmten Umständen für akzeptabel, mit seiner Partnerin oder seinem Partner Sex zu haben, ohne dass diese oder dieser dem zugestimmt hat.
Parlament bevorzugt Ablehnungsprinzip
Im Jahr 2019 hatte eine von Amnesty International in Auftrag gegebene Umfrage die Öffentlichkeit auf das Ausmass des Problems aufmerksam gemacht. Sie enthüllte, dass eine von fünf Frauen bereits mindestens einmal nicht eingewilligte sexuelle Handlungen erlitten hat. Heute ist die Mehrheit (58%) der Befragten der Meinung, dass das Parlament handeln müsse.
Dies ist auch die Forderung der NGO. «Das Sexualstrafrecht muss auf den Realitäten und Bedürfnissen der Menschen basieren, die am stärksten von sexueller Gewalt bedroht sind. Die Schweiz erwartet ein Sexualstrafrecht, das auf dem Prinzip der Zustimmung basiert», sagt Alexandra Karle, Direktorin von Amnesty International Schweiz.
Dies ist jedoch derzeit nicht die vom Parlament bevorzugte Lösung. Der Ständerat (kleine Kammer) wird sich in der Sommersession dazu äussern. Seine Kommission für RechtsfragenExterner Link – wie auch der BundesratExterner Link – lehnt es aber ab, das Zustimmungsprinzip einzuführen. Sie zieht das Modell «Nein heisst Nein» vor. Damit würde das Element des Zwangs wegfallen, aber das Opfer müsste immer noch seine Ablehnung zum Ausdruck bringen.
Diese Option berücksichtigt jedoch nicht die neuesten wissenschaftlichen Studien. Diese zeigen, dass sich die Opfer in 70% der Fälle in einem Zustand der SchockstarreExterner Link befanden und nicht in der Lage waren, entsprechend zu reagieren.
Andere Länder wagten den Schritt
Das Prinzip der ausdrücklichen Zustimmung ist bereits in 13 Staaten Realität, darunter Deutschland, Luxemburg, Belgien, das Vereinigte Königreich und Schweden. Hat dieser Paradigmenwechsel zu einer wirksamen Bekämpfung von sexueller Gewalt geführt? «Bisher gibt es nur wenige Studien, welche die Auswirkungen dieser neuen Gesetze untersucht haben», sagt Cyrielle Huguenot, Verantwortliche für Frauenrechte bei Amnesty Schweiz.
Schweden hat jedoch eine ausführliche Evaluation durchgeführtExterner Link, welche die positiven Auswirkungen der Einführung der einvernehmlichen Lösung hervorgehoben hat. «Die Evaluation hat unter anderem gezeigt, dass die Zahl der Personen, die es wagen, eine Anzeige zu erstatten, seit dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes im Jahr 2018 signifikant gestiegen ist», sagt Huguenot.
(Übertragung aus dem Französischen: Christian Raaflaub)
(Übertragung aus dem Französischen: Christian Raaflaub)
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