Sorgt Westschweiz für ein Ja zur Energiestrategie?
Obwohl das Nein-Lager zunimmt, wird das Schweizer Stimmvolk das Energiegesetz am 21. Mai wahrscheinlich annehmen. Das Gesetz strebt den mittelfristigen Ausstieg aus der Atomenergie an. Wäre am 29. April abgestimmt worden, hätten 56% ein Ja in die Urne gelegt. Vor allem in der Westschweiz ist die Zustimmung immer noch hoch. Das zeigt die zweite Trendumfrage des Instituts gfs.bern im Auftrag der SRG SSR.
Das revidierte Energiegesetz verbietet einerseits den Bau neuer Atomkraftwerke und legt Referenzwerte für die Förderung neuer erneuerbarer Energien wie Wind- und Solarkraft fest. Und es sieht eine Unterstützung der Wasserkraftwerke vor, weil dieser wichtigste Stromproduzent wegen der tiefen Preise auf dem europäischen Markt unter Druck geraten ist.
Nein-Seite legt zu
Im Vergleich zur ersten Trendumfrage von Mitte März nahm die Zustimmung für die Vorlage ab und die Ablehnung zu. Damals hätten 61% Ja und 30% Nein gesagt, 9% wären noch unentschlossen gewesen. Der Abstimmungskampf hat die Stimmabsichten bei einem Teil der Befragten in Bewegung gesetzt. Ende April wären nur noch 56% dafür, 37% dagegen und 7% unschlüssig gewesen.
Der Trend geht in den letzten Tagen vor der Abstimmung Richtung Nein, aber nicht so stark, als dass die Vorlage kippen könnte. Das Nein-Lager hat einen erheblichen Rückstand aus der Startphase.
Das Forschungsinstitut gibt sich vorsichtig und betont, dass es sich bei seinen Zahlen nicht um Prognosen handle, sondern «Stand der Dinge am 29. April» sei.
Weil Energiefragen in der Schweiz immer wieder vors Volk kommen, ist die Meinungsbildung fortgeschritten. Es sei nicht unmöglich, dass die Mehrheitsverhältnisse durch bestimmte Ereignisse zwischen dem 29. April und 21. Mai noch verändert würden. Aber laut gfs.bern bleibt die «Annahme des Energiegesetzes die wahrscheinlichere Variante».
In den Sprachregionen hätte überall ein Ja resultiert. Am deutlichsten wäre es mit 74% in der Romandie ausgefallen. Die Vorlage sei in den deutschsprachigen Medien zwar präsenter gewesen aber kritischer beurteilt worden als in der Westschweiz, erklärt das Institut. In der italienischsprachigen Schweiz hätten 54% bestimmt oder mehrheitlich Ja gesagt. Die Deutschschweiz wäre mit 49% nur relativmehrheitlich dafür gewesen.
Überzeugende Argumente auf beiden Seiten
Die Umfrage zeigt, dass die Argumente der Befürworter und jene der Gegner bei ihren jeweiligen Lagern gut ankamen. Populärste Botschaft der Ja-Seite ist laut gfs.bern jene über die zukunftsträchtigen Arbeitsplätze, die mit erneuerbaren Energiequellen geschaffen würden. Mehrheitlich überzeugt sind die Befragten auch vom Argument, dass es sinnvoll sei, einheimische erneuerbare Energiequellen statt Atom- oder Kohlestrom aus dem Ausland zu nutzen.
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Auf der Nein-Seite scheint die Botschaft zu überzeugen, dass das neue Gesetz für zusätzliche Bürokratie sorgen werde. Das wirksamste Argument der Nein-Seite scheint aber jenes über die damit verbundenen Mehrkosten.
Eine wichtige Rolle spielt Energieministerin Doris Leuthard, die den Ausstieg aus der Atomenergie wenige Tage nach dem Reaktorunglück von Fukushima ankündigte und die Energiestrategie 2050 verantwortet. Ihre hohe Glaubwürdigkeit in der Bevölkerung scheint den Befürwortern in die Hände zu spielen.
Den Parteilinien entlang
Die Meinungen der Basis scheinen weitgehend mit der Parteilinie übereinzustimmen. Die Wählenden der Sozialdemokratischen Partei (SP) und der Grünen Partei (GPS) sind am deutlichsten für das revidierte Energiegesetz. SP und GPS kämpfen am dezidiertesten für einen Atomausstieg. Auch die befragten Wählenden der Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP), die sich für einen mittelfristigen Ausstieg ausspricht, sagten Ende April eher deutlicher als im März Ja zur Vorlage.
Verändert hat sich das Abstimmungsverhalten vor allem bei den Parteiungebundenen und zum Teil bei den Wählern der Freisinnig-demokratischen Partei (FDP.Die Liberalen). Deren Basis scheint in der Energiefrage genauso gespalten zu sein, wie die Elite.
Klar ablehnend ist die Haltung der Wähler der Schweizerischen Volkspartei (SVP). Sie hat sich in der zweiten Umfrage noch verstärkt.
Die Umfrage
Die 1. Welle der SRG-SSR-Trendbefragung wurde vom Institut gfs.bern im Auftrag der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG SSR) durchgeführt, zu der auch swissinfo.ch gehört.
Zwischen dem 20. und 31. März 2017 wurden 1203 repräsentativ ausgewählte Stimmberechtigte telefonisch befragt. Der Stichprobenfehler liegt bei +/- 2,9% Prozentpunkten.
Aus datenschutzrechtlichen Gründen haben die Befrager keinen Zugang zu den Koordinaten der Auslandschweizer und –schweizerinnen.
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