100 Jahre Kommunismus in China ist für Europas Linke kein Grund zum Feiern
China plant in diesem Jahr grosse Feierlichkeiten zum 100-jährigen Bestehen der Kommunistischen Partei. In der Schweiz, Frankreich oder Grossbritannien hält die Linke Distanz zu Peking.
Die Schweizer Kommunistinnen und Kommunisten werden diesen Sommer nicht nach Peking fliegen, wie sie in der Vergangenheit oft nach Moskau gereist sind. Während sich in China die Behörden darauf vorbereiten, des ersten nationalen Parteikongresses im Jahr 1921 zu gedenken, distanzieren sich die Schweizer Linksaussen von der Partei.
«Dieses China, das eine expansionistische Marktwirtschaft und Politik betreibt, ist weit davon entfernt, die Bestrebungen der «Parti ouvrier et populaire»Externer Link (POP) meines Kantons widerzuspiegeln», sagt Julien Gressot, Parlamentarier der Stadt La Chaux-de-Fonds.
Die POP und PdA (Partei der Arbeit) hat in der Schweiz zehn kantonale Sektionen: Neuenburg, Waadt, Genf, Wallis, Jura, Tessin, Bern, Zürich, Basel-Stadt, St. Gallen. Jene des Kantons Neuenburg ist die aktivste.
In den Neuenburger Jurahügeln erfreut sich diese Ausprägung der Kommunistischen Partei der Schweiz, die 1940 vom Bundesrat (Landesregierung) verboten wurde, wachsender Beliebtheit. Im Kanton Neuenburg zählt die POP inzwischen rund 350 Unterstützende.
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Die Mitgliederzahlen steigen seit 2019, vor allem durch das Aufkommen von feministischen und Pro-Klima-Bewegungen. Die PdA der SchweizExterner Link zählt zwischen 1000 und 1200 Mitglieder.
Auch im Kanton Waadt verzeichnet die Partei seit etwa zwei Jahren einen gewissen Erfolg. «Das gab es in 12 Jahren noch nie», betont das Sekretariat der kantonalen Sektion. Das Gleiche gilt für die Deutschschweiz, wo vor zwei Jahren in Basel eine PdA-Sektion reaktiviert wurde.
Politiker unter Beobachtung
Und einige ihrer Mitglieder sind derzeit in kommunalen Führungsgremien aktiv, wie etwa der Vize-Stadtpräsident von La Chaux-de-Fonds, Théo Bregnard.
Fünfzehn Kilometer weiter, in Le Locle, ist ein anderer «Popist» seit fast 25 Jahren am Ruder: Denis de la Reussille, der auch in die grosse Kammer des Schweizer Parlaments (Nationalrat) gewählt wurde, trat damit in die Fussstapfen seines Vaters Charles.
Letzterer war im Alter von 18 Jahren der PdA beigetreten, kurz nachdem diese 1944 gegründet worden war.
«Die Themen der damaligen Kampagnen waren die Verbesserung der Alters- und Hinterbliebenenversicherung, Familienzulagen, drei Wochen Urlaub und das Frauenstimm- und -wahlrecht», erinnert sich Charles de la Reussille im Buch «Erinnerungen eines beliebten Popisten, Eishockeyspielers und Reisenden»Externer Link des Journalisten Robert Nussbaum.
Ende der 1980er-Jahre stellte die Schweizer Bevölkerung mit Erstaunen fest, dass mehr als 900’000 Bürgerinnen und Bürger von den staatlichen Stellen vor allem wegen ihrer politischen Zugehörigkeit fichiert worden waren (Fichenskandal).
Auch Charles de la Reussille hatten die Behörden observiert. Als der Politiker seine Fiche einsehen konnte, stellte er fest, dass darin Kontakte zu «Kommunisten aus La Chaux-de-Fonds» erwähnt wurden. «Man nannte mich einen Kommunisten, aber ich war und bin ein Popist. Die POP hat nie die Diktatur des Proletariats, das Ziel der ‹echten kommunistischen Parteien›, in ihre Statuten aufgenommen», sagt der Kämpfer der ersten Stunde.
«Ursprünglich bestand die POP aus Antifaschisten und enttäuschten Mitgliedern der Sozialdemokratischen Partei, die damals das Verbot der Kommunistischen Partei in der Schweiz mitgetragen hatte. Ein absolut undemokratischer Entscheid», sagt Stadtparlamentarier Gressot.
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Inspiration für die Linke
Der Historiker Pierre Jeanneret ist Autor von Studien über die Arbeiterbewegung. Laut dem Experten fand die POP bereits zu Zeiten wieder Zulauf, als deren Exponenten «sich von Moskaus Leine lösten». Er erwähnt dabei etwa die Bedeutung des Waadtländer Popisten Josef Zisyadis in der Schweiz während der 1990er- und frühen 2000er-Jahre.
Der damalige Nationalrat war omnipräsent und durchsetzungsfähig. Jeanneret hält fest, dass popistische Initiativen auch heute noch als «Ansporn» für die gesamte Linke dienen würden.
«Die Idee für einen Mindestlohn wurde in den Reihen der POP geboren», sagt der Historiker. «Heute setzt sich die Partei für die Armen der Gesellschaft ein, für Supermarkt-Kassiererinnen, Verkäuferinnen, Gastronomiepersonal, usw.»
Für die Schweizer Popisten scheinen die Feiern zu hundert Jahren chinesischem Kommunismus in weiter Ferne zu sein. Trotz der Spuren, welche die maoistischen Bewegungen in der Schweiz hinterlassen haben.
Zum Beispiel wurde Nils Andersson, der in der Schweiz als Sohn eines schwedischen Vaters geboren wurde, Mitte der 1960er-Jahre aus der Schweiz ausgewiesen, weil er Schriften zugunsten der leidenden Bevölkerung in Algerien und Vietnam veröffentlicht hatte.
Andersson hatte sogar eine französische Version der Gedanken des «Grossen Vorsitzenden» Mao herausgegeben. Heutzutage seien die Bewegungen, die diese Doktrin noch verteidigten, «sehr unbedeutend», sagt Jeanneret.
Grossbritannien: In treuer Freundschaft
Trotzdem lässt das kommunistische China nicht ganz Europa gleichgültig. Die Kommunistische Partei GrossbritanniensExterner Link (CP), die ebenfalls gerade ihren 100. Geburtstag gefeiert hat, will ihren alten Freundschaften treu bleiben. Allerdings mit ein paar Anpassungen.
«Früher haben wir uns immer solidarisch mit dem chinesischen Volk gegenüber der Fremdherrschaft verhalten. Aber seit den 1960er- und 1970er-Jahren bildeten sich ernsthafte Differenzen über den Weg in die Zukunft heraus», sagt CP-Parteisekretär Robert Griffiths.
«In Grossbritannien sehen wir, dass der Kapitalismus den ökologischen, kulturellen und politischen Fortschritt abgewürgt hat. China aber verlässt sich jetzt auf die Wirtschaft, um seine Massenarmut zu beseitigen.»
Die CP verzeichnete auch einen Anstieg der Mitgliederzahlen im Jahr 2020 und schöpfte die Reihen einer Labour-Partei ab, die seit den letzten Wahlen 2019 am Rand des Zusammenbruchs steht.
Die Partei entstand aus dem Zusammenschluss der marxistischen und sozialistischen Bewegungen im Jahr 1920. Sie zählt heute etwas mehr als tausend Mitglieder in England, Schottland und Wales. «Seit unserem letzten Kongress im Jahr 2018 verzeichneten wir einen Anstieg der Anmeldungen um 30%», sagt Griffiths.
Auf dem Schild der Kommunistischen Partei steht noch immer die unumstössliche Doktrin: «Arbeiter aller Länder, vereinigt euch…». Für die Zeit nach dem Brexit streben die CP-Mitglieder eine Gesellschaft an, in der Produktion, Vertrieb und Handel zum Nutzen aller geplant werden. Ein Programm, das «die revolutionäre Umgestaltung der Gesellschaft und das Ende des Kapitalismus» erfordert.
Frankreich: Einem Ideal verpflichtet
Die Kommunistische Partei FrankreichsExterner Link (PCF) feiert ebenfalls ihre 100 Jahre. Ende Dezember 1920 hatte der Kongress der französischen Sektion der Sozialistischen Arbeiter-Internationale in Tours die Kommunistische Internationale ins Leben gerufen, ein Jahr später dann die PCF.
«Wir sind 100 Jahre alt geworden, weil wir uns die Verbundenheit mit unserem Ideal bewahrt haben», sagte Parteisekretär Fabien Roussel kürzlich gegenüber der Tageszeitung Libération. «Wir sind revolutionär und antikapitalistisch geblieben, aber mit Respekt vor dem demokratischen Leben.» Es sind «Rote», die wegen der Klimakrise jetzt etwas mehr grün gefärbt sind. Kein Wort jedoch über die in Peking geplanten Feierlichkeiten.
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