19 lebende Ex-Präsident:innen: Ein Rekord aus der Schweiz
Die Schweiz hat viele Ex-Präsident:innen. Was sagt das über die politische Stabilität des Landes aus?
So gut wie nichts. Die sieben Bundesrät:innen wechseln sich jährlich als Bundespräsident:innen ab. Dieses Rotiersystem kann man nicht vergleichen mit den Regierungschef:innen anderer Länder, etwa den Bundeskanzler:innen in Deutschland oder den Premiers in Grossbritannien.
Was auch viele Schweizer:innen beispielsweise nicht wissen: Die Schweizer Bundespräsident:innen sind nie auf «Staatsbesuch».
Nach der Schweizer Verfassung ist der Bundespräsident, die Bundespräsidentin weder Staats- noch Regierungsoberhaupt. Der siebenköpfige Gesamtbundesrat übernimmt diese Aufgaben als Kollegium. Die Präsidentin oder der Präsident leitet die Sitzungen als «primus inter pares» – als erste:r unter gleichen – aber hat dieselben Kompetenzen wie die anderen Regierungsmitglieder.
Die Bundespräsident:innen behalten in ihrer einjährigen Amtszeit auch ihr Departement im Bundesrat. So ist Alain Berset dieses Jahr gleichzeitig Bundespräsident und Innenminister.
Es gilt «Eine:r für alle und alle für eine:n». Das Kabinett macht alles gemeinsam, von der Positionierung zu Gesetzen über das Unterzeichnen von Verträgen bis zum Empfang ausländischer Staatsoberhäupter (obwohl nicht alle Bundesrät:innen immer dabei sind).
Was machen die Bundespräsident:innen denn überhaupt? Bundespräsident Alain Berset leitet dieses Jahr – wie schon seine Vorgänger:innen – die Regierungssitzungen und übernimmt besondere RepräsentationsaufgabenExterner Link, wie die Reden zu Neujahr und dem 1. August, dem Schweizer Nationalfeiertag.
Das Wartespiel
Im Vergleich zu anderen Ländern ist es in der Schweiz relativ einfach, Präsident:in zu werden. Kurz gesagt: Das Parlament wählt die Bundesrät:innen. Als Bundesrät:in wartet man dann einfach, bis man an der Reihe ist. Wenn alle Minister:innen, die zuvor gewählt wurden, bereits einmal Bundespräsident:in waren, kommt man dann dran. Da es sieben Bundesrät:innen gibt, wartet man also maximal sechs Jahre.
Kurios: Alle Schweizer:innen über 18 können sich theoretisch als Bundesrät:innen bewerben. Zudem darf das Parlament auch Personen wählen, die sich gar nicht aufgestellt haben (zum Beispiel Roger Federer, für den es immer wieder Spasskampagnen gibt).
Karl Schenk und Emil Welti waren beide sechs Mal Bundespräsident. Welti war 24 Jahre lang Bundesrat und Schenk hält den Rekord von 31 Jahren, beide in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Nur zwei Mal hat ein gewählter Bundespräsident sein Amt nicht antreten können: Victor Ruffy, gewählt für das Jahr 1870, starb am 29. Dezember 1869. Fridolin Anderwert sollte 1881 Bundespräsident werden, aber die Presse fuhr eine Kampagne gegen ihn. Er beging Suizid an Weihnachten 1880. Zurückgetreten ist noch kein amtierender Bundespräsident. Wilhelm Hertenstein starb 1888 im Amt.
Bisher hatten fünf Frauen das Amt der Bundespräsidentin inne. Ruth Dreifuss war die erste Frau im Amt (im Jahr 1999). Auf sie folgte Micheline Calmy-Rey (2007 und 2011), Doris Leuthard (2010 und 2017), Eveline Widmer-Schlumpf (2012) und Simonetta Sommaruga (2015 und 2020).
Der jüngste Bundespräsident war Jakob Stämpfli, der das Amt 1856 im Alter von 35 antrat. Der älteste war Adolf Deucher, der seine vierte Präsidentschaft 1909 im Alter von 77 Jahren antrat.
Die Wahl der Bundespräsident:in fürs kommende Jahr steht jedes Jahr im Dezember auf der Agenda des Parlaments. Eigentlich geht es dabei darum, die Reihenfolge der Amtszeit einzuhalten und die Person im Vizepräsididium zu bestätigen (die diesjährige Vizepräsidentin Viola Amherd wird Berset am 1. Januar 2024 ablösen).
Die Schweizer Bürger:innen reden bei der Wahl von Bundesrat und Bundespräsident:innen nicht mit.
Solange das Parlament eine:n Minister:in alle vier Jahre wiederwählt (die Chancen dafür stehen hervorragend: Seit 1848 wurden nur vier Bundesrät:innen nicht wiedergewählt), gibt es keine Amtszeitbeschränkung, wie lange man im Kabinett bleiben oder wie oft man Präsident:in sein kann (der Rekord liegt bei sechs Präsidien). Real gibt es aber kaum Bundesrät:innen, die eine dritte Amtszeit absolvieren – der letzte war Kurt Furgler im Jahr 1985.
Werden Sie also in den Bundesrat gewählt, halten Sie sich von Ärger fern, und die Präsidentschaft ist Ihnen praktisch sicher. Nur drei lebende Bundesrät:innen sind nicht Präsident:in geworden: Elisabeth Kopp, die 1984 als erste Frau in den Bundesrat gewählt wurde, trat 1989 nach einem Skandal zurück. Nicht wiedergewählt wurden Ruth Metzler (2003) und Christoph Blocher (2007).
Eine Frage der Perspektive
Die Auflösung des Eingangs gestellten Rätsels: Schweizer Bundespräsident:innen kommen nie zu einem Staatsbesuch, können aber trotzdem zu einem Staatsbesuch empfangen werden. Wie geht das?
Aus Schweizer Sicht muss man – da Präsident:innen ja nicht Staatsoberhaupt sind – von einem präsidialen Besuch sprechen. Doch für das Gastland stelle sich die Situation etwas anders dar, heisst es bei den Schweizer Behörden. Obwohl in der Schweiz keine Person als Staatsoberhaupt gilt, sollten der Präsident oder die Präsidentin den gleichen Stellenwert haben wie seine oder ihre ausländischen Amtskolleg:in.
«Andere Länder können Schweizer Bundespräsident:innen sehr wohl zu einem Staatsbesuch einladen oder zu einem Staatsbesuch empfangen»; diese Formulierungen sind somit korrekt. Es ist jeweils am einladenden Staat zu definieren, ob er zu einem Arbeitsbesuch, einem offiziellen Besuch oder zu einem Staatsbesuch mit den höchsten protokollarischen Ehren einlädt. «Es ist alles eine Frage der Perspektive», schreiben die Behörden.
Heute noch lebende frühere Schweizer Bundespräsident:innen mit Angabe der Amtsjahre
Arnold Koller 1990, 1997
Adolf Ogi 1993, 2000
Kaspar Villiger 1995, 2002
Ruth Dreifuss 1999 (erste weibliche Bundespräsidentin)
Moritz Leuenberger 2001, 2006
Pascal Couchepin 2003, 2008
Joseph Deiss 2004
Samuel Schmid 2005
Micheline Calmy-Rey 2007, 2011
Hans-Rudolf Merz 2009
Doris Leuthard 2010, 2017
Eveline Widmer-Schlumpf 2012
Ueli Maurer 2013, 2019
Didier Burkhalter 2014
Simonetta Sommaruga 2015, 2020
Johann Schneider-Ammann 2016
Frühere Präsident:innen, die momentan im Bundesrat sind:
Alain Berset 2018, 2023
Guy Parmelin 2021
Ignazio Cassis 2022
Frankreich (Präsident): Nicolas Sarkozy, François Hollande
Vereinigte Staaten (Präsident): Jimmy Carter, Bill Clinton, George W. Bush, Barack Obama, Donald Trump
Deutschland (Kanzler:in): Gerhard Schröder, Angela Merkel
Grossbritannien (Premierminister:in): John Major, Tony Blair, Gordon Brown, David Cameron, Theresa May, Boris Johnson, Liz Truss
China (Präsident): Hu Jintao
Russland (Präsident): Vladimir Putin (jetzt aber erneut im Amt), Dmitri Medwedew
Italien (Premierminister): Arnaldo Forlani, Lamberto Dini, Massimo D’Alema, Giuliano Amato, Romano Prodi, Silvio Berlusconi, Mario Monti, Enrico Letta, Matteo Renzi, Paolo Gentiloni, Giuseppe Conte, Mario Draghi
Übertragung aus dem Englischen: Benjamin von Wyl
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