2023: Gerichte fällen wichtige Klimaentscheide
Wird es einer Gruppe Seniorinnen gelingen, den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte davon zu überzeugen, dass die Schweizer Klimapolitik ihrer Gesundheit schadet? Diese in Strassburg eingereichte Klage, eine Abstimmung in der Schweiz und die UNO-Klimakonferenz in Abu Dhabi gehören zu den Höhepunkten des Jahres.
Das Jahr 2023 hat gerade erst begonnen. Aber es ist bereits auf dem besten Weg, eines der heissesten Jahre aller Zeiten zu werden. Das schätzt der Nationale Wetterdienst des Vereinigten Königreichs.
Um die Silvesternacht herum erreichten die Temperaturen in mehreren Regionen Europas Rekordwerte. Die Skigebiete in der Schweiz hatten mit Schneemangel zu kämpfen.
Wird dies auch das Jahr des Wendepunkts im Kampf gegen die Klimakrise sein? Wir blicken auf Daten und Ereignisse, die sich in der Schweiz und weltweit als entscheidend erweisen könnten.
Seniorinnen vs. die Schweiz
Der Verein «KlimaSeniorinnen Schweiz»Externer Link wirft den Schweizer Behörden vor, eine Klimapolitik mit unzureichenden Zielen und Massnahmen zu verfolgen, die das Recht auf Leben älterer Frauen verletze. Laut einigen StudienExterner Link ist diese Bevölkerungsgruppe am stärksten durch den Klimawandel und besonders durch Hitzewellen gefährdet.
«Dies ist ein wichtiges Anliegen nicht nur für die Schweiz, sondern für die ganze Welt.»
Norma Bargetzi-Horisberger, «KlimaSeniorinnen Schweiz»
Das Bundesgericht, die höchste juristische Instanz der Schweiz, wies die Klage der Seniorinnen ab. 2020 wandte sich der Verein deshalb an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Strassburg. Dieser beschloss, den Fall weiterzuverfolgen.
Ab dem 29. März 2023 wird es eine öffentliche Anhörung vor der Grossen Kammer des EGMR geben. Sie ist den schwerwiegendsten Fällen vorbehalten. Es wird erwartet, dass ein Urteil noch vor Ende des Jahres gefällt wird.
«Wir haben sechs Jahre lang daran gearbeitet und erwarten nun, dass wir gewinnen», sagt Norma Bargetzi-Horisberger, Mitglied des Komitees «KlimaSeniorinnen Schweiz», gegenüber SWI swissinfo.ch.
«Dies ist ein wichtiges Anliegen nicht nur für die Schweiz, sondern für die ganze Welt. Wenn wir gewinnen würden, wäre das ein Präzedenzfall mit internationalen Auswirkungen», sagt Bargetzi-Horisberger.
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Ein Urteil zugunsten der Klägerinnen würde die Schweiz dazu zwingen, sich ehrgeizigere Klimaziele zu setzen. So müsste beispielsweise die Reduzierung der Emissionen bis 2030 von 50 auf 61% im Vergleich zu den Werten von 1990 erhöht werden.
Auf internationaler Ebene werden die Beratungen der 17 Richterinnen und Richter der Grossen Kammer des EGMR «eine tiefgreifende Wirkung auf Gerichte in der ganzen Welt haben, da ihre Ergebnisse die Entscheide in anderen Gerichtsverfahren beeinflussen werden», so Kelly Matheson, Expertin für Klimaprozesse bei der Anwaltskanzlei «Our Children’s Trust», wie der Guardian berichtetExterner Link.
Indonesierinnen und Indonesier vs. Holcim
Der Schweizer Verein war der erste, der Menschenrechts- und Umweltfragen vor den EGMR brachte. Es ist jedoch nicht der einzige Fall, der vor Gericht gekommen ist. Die Zahl der Rechtsstreitigkeiten zum Klimawandel hat sich zwischen 2017 und 2020 fast verdoppelt. Inzwischen sind weltweit mehr als 2000 Verfahren zum Klimawandel bei Gerichten anhängig.
Dazu gehört auch eine in der Schweiz eingereichte Klage gegen Holcim, den weltweit grössten Zementhersteller. Letztes Jahr verklagten vier Einwohnerinnen und Einwohner der indonesischen Insel Pari das multinationale Unternehmen mit Sitz in Zug wegen der jahrelangen CO2-Emissionen und seines Beitrags zum Anstieg des Meeresspiegels.
Dies ist das erste Verfahren in der Schweiz gegen ein Unternehmen wegen seiner Auswirkungen auf das Klima. Die Bewohnerinnen und Bewohner der Insel Pari haben bis Ende Januar 2023 Zeit, ihren Fall dem Zuger Kantonsgericht für die nächste Etappe des Zivilprozesses vorzulegen.
Dabei geht es um weit mehr als die Entschädigung, welche die Klagenden von Holcim fordern (rund 3500 Franken pro Person). Wie im Fall der «KlimaSeniorinnen» würde ein positives Urteil einen gewichtigen Präzedenzfall für ähnliche Streitfälle in der Schweiz und anderswo schaffen.
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Ein Bericht über alle Berichte
Richterinnen und Richter in aller Welt werden sich bei ihrem Urteil auch auf die Zusammenfassung des Sechsten Berichts des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderungen (IPCC) stützen können, der Ende März veröffentlicht wird.
Es handelt sich um eine Bewertung der neusten wissenschaftlichen und sozioökonomischen Informationen über die Klimakrise. Das Dokument richtet sich an politische Entscheidungstragende und wird die Ergebnisse der Berichte der drei IPCC-Arbeitsgruppen sowie der seit 2018 veröffentlichten Sonderberichte ergänzen.
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Konferenz zum Klimawandel
Vom 30. November bis 12. Dezember 2023 wird in Abu Dhabi die nächste UNO-Klimakonferenz (COP28) stattfinden.
In der Hauptstadt der Vereinigten Arabischen Emirate werden Unterhändlerinnen und Unterhändler von Staaten aus aller Welt die Konturen des neuen globalen Fonds festlegen müssen, der arme Länder für Verluste und Schäden infolge der Klimakrise entschädigen soll.
Er wurde auf der COP27 im ägyptischen Sharm El-Sheikh beschlossen. Dabei geht es vor allem um die Frage, welche Länder in den Fonds einzahlen müssen und wer ihn verwalten soll. Die Schweiz hätte andere Hilfsmechanismen bevorzugt. Sie hat noch nicht entschieden, ob sie sich an dem Fonds beteiligen wird.
Die Verringerung der Emissionen aus Nahrungsmittel- und Agrarsystemen im Einklang mit dem Ziel, die globale Erwärmung auf 1,5 °C zu begrenzen, wird ebenfalls erstmals auf der COP28 erörtert werden.
Zudem liegt der Vorschlag auf dem Tisch, aus allen fossilen Brennstoffen auszusteigen. Doch dies wird kaum die Unterstützung des wahrscheinlichen COP28-Präsidenten Sultan Al-Jaber finden. Er ist Minister für Industrie und Technologie der Emirate und vor allem der Chef der nationalen Ölgesellschaft.
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Gletscher an der Urne
In der Schweiz wird dieses Jahr der zweite Teil des Pilotprogramms «Anpassung an den Klimawandel» abgeschlossen. Es umfasst 50 Projekte zur Verringerung von Klimarisiken und zur Verbesserung der Anpassungsfähigkeit.
Darüber hinaus soll ein Früherkennungs- und Dürrewarnsystem eingerichtet werden, das es ermöglicht, eine kritische Situation mehrere Wochen im Voraus vorherzusagen. So sollen beispielsweise die Bewässerung von Kulturen geplant oder Alternativen zur Rheinschifffahrt gefunden werden können.
Doch wohl erst die Volksabstimmung über den Gegenvorschlag zur so genannten «Gletscher-Initiative» wird die Aufmerksamkeit voll auf die Klimakrise fokussieren. Der indirekte Gegenvorschlag des Parlaments, gegen den erfolgreich das Referendum ergriffen wurde, sieht vor, mit Milliardeninvestitionen die Klimaneutralität bis 2050 zu erreichen.
Entgegen dem ursprünglichen Initiativtext beinhaltet der Gegenvorschlag aber kein vollständiges Verbot fossiler Energieträger. Das Schweizer Stimmvolk wird voraussichtlich am 18. Juni zur Abstimmung aufgerufen werden.
Übertragung aus dem Italienischen: Christian Raaflaub
Übertragung aus dem Italienischen: Christian Raaflaub
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