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«Die Zeiten der Abstinenz auf der internationalen Bühne sind vorbei»

Blick von unten in den Himmel und zu mehreren Länderfahnen.
In Zeiten der Globalisierung ist jeder mit jedem verbunden. Die Schweiz gehört zu den am stärksten vernetzten Ländern. Keystone

Wenige Länder sind so vernetzt wie die Schweiz. Eine aktive Aussenpolitik sei deshalb von zentraler Bedeutung für das Land, sagt Christa Markwalder. Die Politikerin ist die neue Präsidentin der Schweizerischen Gesellschaft für Aussenpolitik.

swissinfo.ch: Welches sind die aktuellen aussenpolitischen Herausforderungen der Schweiz?

Christa Markwalder.: Die Welt als Ganzes ist im Umbruch. Nach Jahrzehnten der Demokratisierung der früheren Ostblockstaaten beispielsweise, beobachten wir heute neue autokratische Tendenzen. Die USA erleben eine unstetige, wenn nicht chaotische Präsidentschaft mit Donald Trump. In den Konflikten und Kriegen von heute mischen immer mehr nichtstaatliche Akteure mit und es werden Stellvertreterkriege geführt.

«Es ist heute nicht mehr möglich, Innen- und Aussenpolitik scharf voneinander zu trennen. Diese Trennung wirkt künstlich.»

swissinfo.ch: Wir befinden uns also in einer ziemlich chaotischen Welt, in der sich die Schweiz zurechtfinden und positionieren muss?

C.M.: Ja. Die Schweiz kann sich beispielsweise einbringen, indem sie Genf als internationale Plattform nutzt und Konfliktparteien zusammenbringt. Sie engagiert sich aber nicht nur für Frieden, sondern auch für Wohlstandsentwicklung: Schweizer Unternehmen gehören zu den grossen Direktinvestoren im Ausland, was vor Ort Arbeitsplätze schafft. Bereits gute Arbeit haben wir mit Blick auf unser duales Bildungssystem geleistet, einer Art Exportgut der Schweiz.

swissinfo.ch: Die beste Aussenpolitik sei es, keine Aussenpolitik zu haben. So lautet die Lehre in der Schweiz seit Generationen.

C.M.: Das war noch nie zutreffend und verkennt die vergangene und die heutige Realität. Die Schweiz ist eines der globalisiertesten Länder weltweit. Aus diesem Grund ist eine aktive Aussenpolitik für die Schweiz von zentraler Bedeutung.

swissinfo.ch: Aussenpolitiker seien in der Schweiz «dünn gesät», heisst es auch.

C.M.: Das hat etwas Systemimmanentes. Aussenpolitik ist Querschnittpolitik und deshalb abstrakter als andere Bereiche: Beschäftigt sich jemand vertieft mit Aussenpolitik, stellt das für die Wählerinnen und Wähler in ihrer Wahrnehmung einen weniger konkreten Nutzen dar, als wenn sich eine Parlamentarierin für das Bildungswesen, für Umweltanliegen oder für eine bestimmte Verkehrsinfrastruktur einsetzt.

Christa MarkwalderExterner Link politisiert seit 2003 für die Freisinnig-Demokratische Partei (FDP.Die Liberalen) im Schweizer Parlament. Sie engagiert sich unter anderem in der Aussenpolitischen Kommission (APK), die sie 2010/2011 präsidierte. Markwalder macht sich stark für die bilateralen Beziehungen, beispielsweise mit dem US-Kongress oder dem britischen und ukrainischen Parlament. 2015/2016 war die 42-Jährige Nationalratspräsidentin. Von 2006-2014 präsidierte sie die Neue Europäische Bewegung SchweizExterner Link (Nebs), die sich für eine Mitgliedschaft der Schweiz in der EU einsetzt.

swissinfo.ch: Interessieren sich die Schweizer und Schweizerinnen denn für aussenpolitische Fragen?

C.M.: Sehr. Und sie sind gut informiert. Denn aufgrund unserer direkten Demokratie beschäftigen sich die Stimmbürger und Stimmbürgerinnen regelmässig mit aussenpolitisch relevanten Vorlagen und entscheiden darüber an der Urne.

swissinfo.ch: In der Schweiz hat das Volk also das letzte Wort über aussenpolitische Fragen. Auch deshalb lautet die magische Formel des neuen Aussenministers Ignazio Cassis «Aussenpolitik ist immer auch Innenpolitik».

C.M.: Absolut. Einerseits haben innenpolitische Vorlagen immer häufiger sehr viel mit Aussenpolitik zu tun. Ich denke beispielsweise an die vom Volk anfangs 2017 abgelehnte Unternehmenssteuerreform III und den neuen Vorschlag des Bundesrats, die Steuervorlage 17. Es handelt sich hier nicht einfach um ein innenpolitisches Projekt. Diese Vorlage hängt direkt mit internationalen und europäischen steuerpolitischen Tendenzen zusammen. Andererseits ist der Rückhalt in der Bevölkerung sehr wichtig, um aussenpolitische Ziele zu erreichen: Nur wenn die Bevölkerung beispielsweise an der Urne aussenpolitisch isolierende Initiativen ablehnt, können wir erfolgreiche Aussen-, Wirtschafts- und Standortpolitik machen.

swissinfo.ch: Aber besteht so nicht die Gefahr, dass die Aussenpolitik bloss als Zweigstelle der Innenpolitik gesehen wird?

C.M.: In der heutigen globalisierten Welt ist es einfach nicht mehr möglich, Innen- und Aussenpolitik scharf voneinander zu trennen. Diese Trennung wirkt künstlich.

Eine Frau spricht zu zwei Männern, die nur von hinten und unscharf zu sehen sind.
FDP-Nationalrätin Christa Markwalder setzt sich für eine aktive Aussenpolitik ein. Das sei für die Schweiz von zentraler Bedeutung, sagt sie. Keystone

swissinfo.ch: Bleiben wir noch beim Thema der Globalisierung: Als eine Stärke der Schweizer Aussenpolitik gilt die internationale Vernetzung des Landes.

C.M.: Die Schweiz ist international stark vernetzt, die Zahlen bestätigen das: Täglich passieren beispielsweise Waren und Dienstleistungen im Wert von rund einer Milliarde Franken die Schweizer Grenze. Zudem verzeichnet die Schweiz die höchste Dichte an multinationalen Konzernen pro Kopf. Auch ist die Schweiz aktiv in multilateralen Foren. So weilte ich kürzlich mit einer parlamentarischen Delegation am UNO-Hauptsitz in New York und konnte dort mit unseren Schweizer Vertretern vor Ort über die Prioritäten diskutieren, die sie für Bundesbern in die UNO-Generalversammlung einbringen.

swissinfo.ch: Hat die Schweiz noch andere aussenpolitische Stärken?

C.M.: Eine weitere Stärke ist sicher die Neutralität, so wie wir sie heute interpretieren. Neutralität wird heute nicht mehr mit Passivität gleichgesetzt. Vielmehr verstehen wir sie als aktives Einbringen in Mediationsprozesse und Friedensverhandlungen sowie zur Förderung und zum Schutz von Menschenrechten. Auch ist die Schweiz eine geschätzte Schutzmacht. Daran sieht man, dass das Ansehen und der Respekt gegenüber der Schweiz gross sind – nicht zuletzt auch, weil die Schweiz keine ehemalige Kolonialmacht ist, während der Weltkriege verschont blieb, keine aggressive Aussenpolitik betreibt und keine sogenannte «versteckte Agenda» hat.

«Die Schweiz soll selbstbewusst auftreten. In Verhandlungen gilt es nicht beim Kompromiss zu beginnen, sondern höchstens damit zu enden.»

swissinfo.ch: Mit Blick auf die Beziehungen der Schweiz zur EU kann man als Aussenstehender den Eindruck kriegen, dass es Bern an einer kohärenten aussenpolitischen Strategie fehle.

C.M.: Mit Blick auf die EU wird die Strategie stets den aktuellen Entwicklungen angepasst. Dabei konzentriert man sich jeweils auf das Machbare und weniger auf das Wünschbare. Die Schweiz verfügt aber über eine VerfassungsgrundlageExterner Link für die Aussenpolitik. Diese bringt unsere Werthaltung und unsere Solidarität mit Menschen in armen Ländern zum Ausdruck. Zudem definierte Cassis› Vorgänger Didier Burkhalter die aussenpolitische Strategie 2016-2019Externer Link.

swissinfo.ch: Die SGA feiert heute ihr 50-jähriges Bestehen. Sie übernehmen das Präsidium. Wie sieht die Aussenpolitik aus, für die Sie sich – auch als Parlamentarierin – einsetzen wollen?

C.M.: Nach meinem Verständnis soll die Schweiz ihre Werte im Inland, aber auch gegenüber ihren ausländischen Partnern verteidigen. Sie soll sich einbringen, teilnehmen und ihre Rechte, Möglichkeiten und Chancen wahrnehmen. Die Schweiz soll selbstbewusst auftreten und den helvetischen Charme einbringen. Wir haben viele Stärken und Qualitäten. Diese dürfen wir nicht verstecken. In Verhandlungen gilt es, nicht beim Kompromiss zu beginnen, sondern höchstens damit zu enden.

Die Schweizerische Gesellschaft für AussenpolitikExterner Link (SGA) feiert ihr 50-jähriges Bestehen. Sie engagiert sich seit ihrer Gründung 1968 für eine offene Schweiz, wie sie auf ihrer Internetseite schreibt.

Die überparteiliche und gemeinnützige Organisation will das Interesse an Schweizer Aussenpolitik fördern und sie möglichst breiten Kreisen der Bevölkerung verständlich machen. 

Die SGA organisiert regelmässig Veranstaltungen zu aktuellen aussenpolitischen Themen.

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