Schweiz will weiterhin reiche Ausländer anziehen
Das Schweizer Stimmvolk und praktisch alle Kantone lehnen die Abschaffung der Pauschalbesteuerung von reichen Ausländern ab. Während die Befürworter von einem Achtungserfolg sprechen, sind die Gegner froh, dass die Steuerhoheit der Kantone nicht angetastet wurde.
Die Volksinitiative «Schluss mit den Steuerprivilegien für Millionäre» kam am Abstimmungssonntag an den Urnen lediglich auf 40,8% Zustimmung. Die Stimmbeteiligung lag bei 48%.
«Die Kantone bleiben frei, selber über die Pauschalbesteuerung von Ausländern auf ihrem Territorium zu entscheiden. Das entspricht unserer föderalistischen Kompetenzordnung und Tradition», sagte Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf am Abend vor dem Medien.
Mit der Erhöhung der Anforderungen für die Pauschalbesteuerung per 1. Januar 2016 habe man bereits die nötigen Schritte eingeleitet, was das Stimmvolk auch honoriert habe, betonte die Vorsteherin des Finanzdepartements.
«Solange andere Staaten wie England, Monaco und Belgien pauschale Besteuerung haben, wird es keinen Druck von aussen geben, der uns verpflichtet, irgendwelche Änderungen vorzunehmen», antwortete sie auf eine Frage, ob internationaler Druck das Thema bald wieder auf die Agenda bringen könnte.
Trotz des Neins zur Initiative zeigten sich die Initianten in einer ersten Reaktion zufrieden. Markus Bischoff, Zürcher Kantonsrat der Alternativen Liste, sprach gegenüber Radio und Fernsehen SRF von einem «beachtlichen Resultat».
Mehr als 30 mal E-Voting
Anlässlich der eidgenössischen Volksabstimmung vom 30. November 2014 haben 12 Kantone erneut Versuche mit der elektronischen Stimmabgabe durchgeführt.
Seit dem ersten Versuch mit der elektronischen Stimmabgabe vom 26. September 2004 wurde der elektronische Stimmkanal allein bei eidgenössischen Urnengängen 31 Mal eingesetzt. Hinzu kommen zahlreiche Versuche auf kantonaler und kommunaler Ebene.
Die Kantone Genf und Neuenburg haben am 30. November 2014 neben ihren Auslandschweizerinnen und -schweizern auch wieder Inlandschweizer Stimmberechtigten die elektronische Stimmabgabe angeboten.
Die anderen zehn Kantone (Bern, Luzern, Freiburg, Solothurn, Basel-Stadt, Schaffhausen, St. Gallen, Graubünden, Aargau und Thurgau) haben sich auf Auslandschweizerinnen und -schweizer beschränkt.
Von den rund 170’000 Stimmberechtigten, die ihre Stimme bei diesem Urnengang via Internet hätten abgeben können, haben 27’586 ihre Stimme elektronisch eingelegt.
In den zwölf Kantonen haben bis zu 67,88% der effektiv stimmenden Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer per Internet abgestimmt. Die 170’000 zugelassenen Stimmberechtigten entsprechen rund 3% des gesamtschweizerischen Elektorats.
«Wir haben es geschafft, das Thema der Steuergerechtigkeit aufs nationale Parkett zu bringen», sagte Bischoff. Durch die Initiative sei eine breite Diskussion ausgelöst worden.
Die Steuerhoheit der Kantone und der Föderalismus hätten wohl den Ausschlag für das klare Nein zur Initiative gegeben, hiess es von Seiten der Sozialdemokratischen Partei (SP).
«Die klare Niederlage der Linken ist ein starkes Zeichen der Solidarität gegenüber den Bergregionen und der lateinischen Schweiz», twitterte Christophe Darbellay, Präsident der CVP.
Der Präsident der kantonalen Finanzdirektoren (FDK), Peter Hegglin, sieht im Nein zur Pauschalsteuer-Initiative eine Bestätigung des eingeschlagenen Wegs. Einen Grund für die Ablehnung sieht der Christlichdemokratische Zuger Finanzdirektor darin, dass die Voraussetzungen für die Besteuerung nach dem Aufwand jüngst vom Parlament auf 2016 verschärft worden sind.
Pascal Broulis, freisinnig-liberaler Regierungsrat des Kantons Waadt, in dem die meisten reichen Ausländer pauschal besteuert werden, erklärte, es sei «naiv gewesen, zu meinen, die reichen Pauschalbesteuerten wären in der Schweiz geblieben».
Die Initianten hielten die in zahlreichen Kantonen praktizierte Pauschalbesteuerung reicher Ausländerinnen und Ausländer für eine ungerechte und ungerechtfertigte Privilegierung vermögender Personen.
Einzig das Stimmvolk des Kantons Schaffhausen mochte dieser Argumentation folgen und sagte – wenn auch sehr knapp mit 51% – Ja zur Initiative. Schaffhausen hat dieses Steuerprivileg auf kantonaler Ebene bereits abgeschafft, wie auch der Kanton Zürich, wo die eidgenössische Vorlage nur knapp abgelehnt wurde.
Im Kanton Bern lehnten die Stimmberechtigten im Oberland die Volksinitiative überdurchschnittlich hoch ab. Im Kreis Obersimmental-Saanen, in dem sich der Nobelskiort Gstaad befindet, sagten gar 85,9% Nein.
Die Ausgangslage
Wer Ausländer ist, viel Geld besitzt oder verdient, in der Schweiz lebt aber hier nicht seiner Erwerbstätigkeit nachgeht, kann in verschiedenen Kantonen von einer pauschalen Besteuerung profitieren.
Gegenwärtig werden über 5600 ausländische Staatsangehörige ohne Erwerbseinkommen in der Schweiz lediglich aufgrund ihres Aufwands besteuert (so genannte «Besteuerung nach dem AufwandExterner Link«), und nicht gemäss ihres effektiven Einkommens und Vermögens. In der Regel beläuft sich der Steuerbetrag auf den siebenfachen Mietwert ihrer Wohnung.
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Abstimmungsresultate 30.11.2014
Mit 1396 Fällen Ende 2012 leben die meisten pauschalbesteuerten Personen im Kanton Waadt, gefolgt vom Kanton Wallis mit 1274 und dem Tessin mit 877 Personen. Genf zählt 710 Pauschalbesteuerte, Graubünden 268 und Bern deren 211. Es sind also hauptsächlich lateinischen und die Gebirgskantone, die Reiche mit Steuerprivilegien anlocken.
Kantonale Abstimmungen
Im Kanton Genf wurde auch auf kantonaler Ebene über die Abschaffung der Pauschalbesteuerung reicher Ausländer abgestimmt. Das Stimmvolk schickte die Initiative wie auch einen Gegenvorschlag zur Verschärfung der Besteuerung nach Aufwand deutlich bachab.
Im Kanton Schaffhausen hatte eine Initiative gefordert, dass die reichsten Einwohnerinnen und Einwohner mehr Steuern bezahlen sollen. Auch diese wurde abgelehnt, wenn auch knapper.
Da diese prozentual tiefere Steuerbeträge zahlen müssen als durchschnittliche Schweizer Steuerzahler, sorgt das Thema immer wieder für heisse Köpfe. Einige Kantone sind denn auch vorgeprescht und haben die Pauschalbesteuerung auf ihrem Terrain abgeschafft: Zürich, Basel-Stadt, Basel-Landschaft, Schaffhausen und Appenzell Ausserrhoden besteuern nicht mehr pauschal. In fünf weiteren Kantonen, St. Gallen, Thurgau, Luzern, Nidwalden und Bern, wurde die Abschaffung dieses Systems zwar verworfen, allerdings wurden die Bedingungen verschärft.
Die Initiative
Die von der Zürcher Kleinpartei Alternative Linke (AL) eingereichte Volksinitiative «Schluss mit den Steuerprivilegien für Millionäre (Abschaffung der Pauschalbesteuerung)» hatte die Abschaffung der pauschalen Besteuerung reicher Ausländer in der gesamten Schweiz gefordert.
Nach Aufwand besteuerte Ausländerinnen und Ausländer hätten deshalb künftig wie alle übrigen Steuerpflichtigen gemäss ihrem Einkommen und Vermögen besteuert werden sollen.
Unterstützung hatte die Initiative von linken und grünen Parteien sowie von Gewerkschaften erhalten, während bürgerliche und rechte Parteien, der Bundesrat und eine Mehrheit des Parlaments diese abgelehnt hatten.
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Was die Pauschalsteuer der Schweiz einträgt
«Mehr Gerechtigkeit»
Das Initiativkomitee wollte mit der Pauschalbesteuerung eine Ungerechtigkeit abschaffen, weil diese Ausländer gegenüber Schweizern privilegiere. Das heutige System sei undemokratisch, denn die Pauschalbesteuerung verstosse in krasser Weise gegen den Grundsatz, dass jeder nach seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit Steuern zahlen solle.
Zudem sei die Abschaffung der Besteuerung nach Aufwand «verkraftbar und reisst kein Loch in die Staatskasse». In jenen Kantonen, welche die Pauschalbesteuerung abgeschafft hätten, sei es zu keinen negativen Auswirkungen auf den kantonalen Finanzhaushalt gekommen.
«Standortattraktivität stärken»
Der Bundesrat sieht in der Pauschalbesteuerung ein Instrument zur Stärkung der Standortattraktivität der Schweiz. Zudem sei die Aufwandbesteuerung für einige Kantone und Gemeinden «von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung» und habe dort eine lange Tradition.
Das Komitee gegen die Initiative hatte hohe Steuerausfälle befürchtet. 2012 hätten die Pauschalbesteuerten fast 700 Millionen Franken an Steuern bezahlt. Würden diese Einnahmen wegfallen, müssten der Mittelstand und kleine und mittelgrosse Unternehmen für die Ausfälle aufkommen. Dies hätte auch Arbeitsplätze gefährdet.
Für eine Annahme der Initiative wäre neben dem Volksmehr auch eine Mehrheit der Kantone nötig gewesen. Deshalb scheiterte die Initiative auch am genannten Ständemehr: Einzig der Kanton Schafhausen stimmte dem Volksbegehren zu.
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