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Zersiedelungs-Initiative deutlich abgelehnt

Zersiedelte Landschaft
In der Schweiz wird intensiv gebaut. Keystone

Doch keine Einfrierung der Bauzonen: Die Zersiedelungs-Initiative ist mit 63,7 Prozent abgelehnt worden. Alle Kantone sagten Nein. Die Stimmbeteiligung lag bei knapp 38 Prozent. Das liegt deutlich unter dem Durchschnitt.

Rund 1’291’000 Stimmende sagten Nein zu einem revidierten Bundesverfassungsartikel gegen die Zersiedelung, 737’000 sprachen sich dafür aus. Am deutlichsten war das Nein im Wallis, gefolgt von zahlreichen Deutschschweizer Ständen.

In der Westschweiz und im Tessin sowie in urbanen Regionen war die Ablehnung tendenziell weniger gross.
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Bundesrat zeigte sich erleichtert

Der Bundesrat ist erleichtert über den Volksentscheid. An einer Medienkonferenz sagte Umweltministerin Simonetta Sommaruga, die Initiative hätte die Zersiedelung verstärkt, statt gebremst. «Mit der Initiative hätte sich die Bautätigkeit in Gebiete verlagert, wo es heute noch grössere Baulandreserven hat.» In den Städten hätte sich laut der Bundesrätin der Druck auf die Mieten erhöht.

«Das Nein zur Zersiedelungs-Initiative ist für den Bundesrat kein Nein zum Landschaftsschutz», sagte Sommaruga. Ein grosser Teil der Bevölkerung teile die Anliegen der Initiative. Die Bevölkerung lehne aber die Instrumente der Initiative ab und vertraue darauf, dass die Behörden das geltende Raumplanungsgesetz konsequent umsetzten.

Sprich: Kantone und Gemeinden müssten nun zu grosse Bauzonen verkleinern. «Und der Bund schaut genau hin», so die Bundesrätin.

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Enttäuschte Initianten

Für Luzian Franzini von den Jungen Grünen, Co-Präsident der Zersiedelungsinitiative, ist das Resultat zwar enttäuschend. Es gebe aber auch Erfolge zu verbuchen: «So haben wir eine wichtige und spannende Diskussion angestossen», sagte er. Franzini sieht viel Arbeit auf sich zukommen. «Wir werden uns weiterhin aktiv in die Diskussionen um das Raumplanungsgesetz einbringen.»

Der Zürcher SP-Nationalrat Thomas Hardegger vom Pro-Komitee sieht im Raumplanungsgesetz Mängel und Fehlanreize: «Der Landverschleiss wird weiter gefördert. Eine Korrektur oder eine Ergänzung ist dringend notwendig.»

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Insbesondere bei der Erarbeitung der nächsten RPG-Revision müsse darauf geschaut werden, dass die Bauzonen am richtigen Ort seien: «Wir haben 80’000 Wohnungen am falschen Ort, die leer stehen, und auf der anderen Seite gibt es in den Städten kaum Wohnraum», sagte er. 

Die Initiative sei nötig gewesen, weil das Moratorium für Einzonungen auslaufe, sagte der Grüne Luzerner Nationalrat Michael Töngi vom Pro-Komitee. Die Mietpreise wären im Fall einer Annahme der Initiative nicht gestiegen. «Wir werden die Gegner daran erinnern, dass sie sich im Abstimmungskampf für tiefere Mieten eingesetzt haben», sagte er.

Gegner erleichtert

Für den Berner FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen ist angesichts des deutlichen Resultats klar, dass die Verfechter der Initiative nun keine Forderungen zu stellen haben. «Die Leute wollen keinen Entwicklungsstopp», sagte er. Die Initianten hätten nicht bedacht, dass die heutigen Baulandreserven vor allem im Grünen seien. «Gerade dort wäre der Druck enorm gestiegen, zu bauen.»

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«Die Vorlage hat zwar ein legitimes Ziel verfolgt, dies jedoch mit zu radikalen und letztlich kontraproduktiven Mitteln», schreibt der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse. Zum Schutz des Bodens setze der Verband stattdessen auf das existierende, griffige Raumplanungsgesetz.

Für den Walliser CVP-Nationalrat Thomas Egger vom Co-Präsidium des gegnerischen Komitees hat sich einmal mehr gezeigt, dass das Stimmvolk keine radikalen Initiativen mehr wolle, die dann nicht umgesetzt werden könnten.

Volksbegehren Nummer 194 ist vom Tisch

 Erst 22 Volksbegehren sind seit der Einführung des Initiativrechts 1891 angenommen worden. Das ist ein bisschen mehr als zehn Prozent. Die Zersiedelungsinitiative ist nun das 194. Volksbegehren, das vom Souverän abgelehnt wurde.

Das Abstimmungsresultat sei auch ein Resultat für die Landschaft: «Mit dem Raumplanungsgesetz versucht man schon, die Zersiedelung zu bremsen», sagte Egger. Dieser Weg sei vorgespurt und nun bestätigt worden. Das Raumplanungsgesetz werde aber ein Dauerbrenner bleiben. «Es wird einen Riesenkampf geben mit den Gemeinden, wenn es darum geht, Bauzonen zurückzuzonen», sagte er weiter.

Für den Freiburger FDP-Nationalrat und Bauernverbandspräsidenten Jacques Bourgeois ist die Initiative zu extrem gewesen. «Die wirtschaftliche Entwicklung des Landes wäre eingefroren worden», sagte er. Es sei aber auch klar, dass die Schweizerinnen und Schweizer gegen die Zersiedelung kämpfen wollten, um die Lebensqualität beizubehalten. Die Instrumente dafür seien vorhanden. Jetzt müsse bei der Umsetzung weitergemacht werden.

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Schweizer Presse mahnt

«Der Volksentscheid ist richtig – und doch gefährlich», titelt der Tages-AnzeigerExterner Link. Das wuchtige Nein könnte instrumentalisiert werden, befürchtet die Tageszeitung. Zum Beispiel in der Debatte des Parlaments über die aus den Fugen geratene Bauerei ausserhalb der Bauzonen.

Zwar befürwortet der Tages-Anzeiger grundsätzlich das Nein des Stimmvolkes. Bauzonen einzufrieren erscheine wenig sinnvoll. Zumal das heute geltende Raumplanungsgesetz es sogar ermögliche, Bauzonen aufzuheben. Doch die Initianten hätten recht damit, dass insgesamt zu viel gebaut werde, so der Tages-Anzeiger.

Auch die Neue Zürcher ZeitungExterner Link befürchtet, dass sich die Initiative als Bumerang für den Landschaftsschutz herausstellen könnte: Im Streit um das Bauen ausserhalb der Bauzonen spiele das deutliche Nein zur Zersiedelungs-Initiative jenen in die Hände, die möglichst grosse Hintertüren öffnen wollten.

Die Westschweizer Zeitung Le TempsExterner Link kommentiert, das Abstimmungsresultat sei nicht als Zeichen der Gleichgültigkeit gegenüber der Zersiedelung zu lesen, sondern als Vertrauensvotum gegenüber den Behörden, dass diese die Instrumente des revidierten Raumplanungsgesetzes richtig anwendeten. Es sei zu früh gewesen, ein Scheitern des Raumplanungsgesetzes zu verkünden und schon wieder auf das Thema zurückzukommen.

Junge Grünen wollten Ausdehnung stoppen

Die Jungen Grünen wollten die Ausdehnung der Bauzonen in der Schweiz stoppen, um Natur und Landschaft zu schützen. Unterstützt wurden sie von mehreren Umweltschutz-Organisationen, der Kleinbauern-Vereinigung und den Jungsozialisten. Der Umgang mit Boden sei in der Schweiz verschwenderisch, argumentierten die Initianten.

Bundesrat und Parlament lehnten die Initiative ab. Die Gegner der Initiative argumentierten, das kürzlich revidierte Raumplanungsgesetz sei ausreichend. 

Die Revision des RaumplanungsgesetzesExterner Link bezweckt, dass zu grosse Bauzonen verkleinert und bestehende Baulandreserven besser genutzt werden, um Landverschleiss und Bodenspekulation zu bremsen. Die neue Gesetzgebung schreibt vor, dass die Baureserven maximal den vorhersehbaren Bedarf der nächsten 15 Jahre decken darf. Gemeinden mit grösseren Baureserven müssen diese reduzieren.

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Zersiedelung in der Schweiz

Sechs von zehn Gebäuden in der Schweiz sind Einfamilienhäuser. Jährlich wird in der Schweiz eine Fläche in der Grösse der Stadt Basel bebaut. 

Formal machen die von Gebäuden, Strassen oder anderen Infrastrukturen bedeckten Landteile nur 7,5% des Staatsgebiets aus, was im Vergleich zu anderen Ländern nicht sehr viel ist. Doch die Berge machen fast 70% der Schweiz unbewohnbar. Im Mittelland sind 16% des Bodens verbaut.

Eidgenössische Volksinitiative ‹Zersiedelung stoppen – für eine nachhaltige Siedlungsentwicklung (Zersiedelungsinitiative)›

Die Zersiedelungs-Initiative wollte Art. 75 der Schweizer Bundesverfassung folgendermassen ändern:

4 Bund, Kantone und Gemeinden sorgen im Rahmen ihrer Zuständigkeiten für günstige Rahmenbedingungen für nachhaltige Formen des Wohnens und Arbeitens in kleinräumigen Strukturen mit hoher Lebensqualität und kurzen Verkehrswegen (nachhaltige Quartiere).

Anzustreben ist eine Siedlungsentwicklung nach innen, die im Einklang steht mit hoher Lebensqualität und besonderen Schutzbestim­mungen.

Die Ausscheidung neuer Bauzonen ist nur zulässig, wenn eine andere unversiegelte Fläche von mindestens gleicher Grösse und vergleichbarem potenziellem landwirtschaftlichem Ertragswert aus der Bauzone ausgezont wird.

Ausserhalb der Bauzone dürfen ausschliesslich standortgebundene Bauten und Anlagen für die bodenabhängige Landwirtschaft oder standortgebundene Bauten von öffentlichem Interesse bewilligt werden. Das Gesetz kann Ausnahmen vorsehen. Bestehende Bauten geniessen Bestandesgarantie und können geringfügig erweitert und geringfügig umgenutzt werden.

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