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Ist die Steuerreform zu unternehmensfreundlich?

EU, G20 und OECD machen ernst: Sie wollen Praktiken multinationaler Firmen zur Gewinnoperierung ein Ende setzen. Kürzlich hat die EU-Kommission Apple eine Rekordbusse von 13 Mrd. Euro auferlegt. Keystone

Die rechtsbürgerliche Mehrheit des Schweizer Parlaments hat im Juni die Unternehmenssteuerreform III verabschiedet, um die Schweizer Gesetzgebung internationalen Steuerstandards anzupassen. Die Reform wird jedoch von den Sozialdemokraten mit einem Referendum bekämpft. Laut SP haben die bürgerlichen Parteien die Reform genutzt, um Unternehmen Steuergeschenke zu machen. Am 12. Februar 2017 wird abgestimmt.

Die beiden ersten grossen Reformen der Unternehmenssteuer erfolgten in den Jahren 1997 und 2007. Sie dienten dazu, die steuerlichen Rahmenbedingungen für den Wirtschaftsstandort Schweiz attraktiver zu machen. Die Unternehmenssteuerreform III (USR III), über welche das Schweizer Stimmvolk am 12. Februar befindet, erfolgte hingegen auf Druck von aussen, insbesondere von Seiten der Europäischen Union (EU). Grund: Das Schweizer Steuersystem ist „zu attraktiv“ geworden.

BEPS

Beim Aktionsplan BEPS (Base Erosion and Profit Shifting – «Aushöhlen der steuerlichen Bemessungsgrundlage und Gewinnverlagerung») handelt es sich wohl um die tiefgreifendsten Änderungen und Modernisierungen im internationalen Steuerrecht der letzten 100 Jahre. Rund 100 Länder beteiligen sich daran, darunter die Schweiz.

Das von der OECD ausgearbeitete Projekt zielt darauf ab, allgemein verbindliche Standards festzulegen, um so die Schlupflöcher in nationalen Steuergesetzgebungen zu stopfen, die es multinationalen Unternehmungen momentan ermöglichen, Steuern zu reduzieren oder sogar gänzlich zu umgehen – eine Praxis, welche den Steuertrag von Staaten aushöhlt.

Die OECD hat mehr als 400 Praktiken eruiert, die von multinationalen Unternehmungen angewandt werden, um Steuern zu umgehen. Zu diesen Praktiken gehört beispielsweise der Transfer von Gewinnen in Länder mit geringer Steuerbelastung, die Abwicklung von Direktinvestitionen über Steuerparadiese, oder ein missbräuchlicher Einsatz von Verrechnungspreisen innerhalb der eigenen Firmengruppe.

Die EU hatte bereits im Jahr 2007 sieben Steuerpraktiken der Schweiz kritisiert, darunter vor allem die Sondersteuerpraxis der Kantone für Holding-, Domizil- und gemischte Gesellschaften. Es handelt sich um Unternehmen, die ihren Sitz in der Schweiz haben, aber de facto im Ausland tätig sind. Die Gewinne dieser Firmen sind entweder gänzlich von Steuern befreit, oder mit wesentlich tieferen Steuern belegt als in der Schweiz tätige Unternehmen. Nach Ansicht der EU verzerren diese Sonderregimes den Steuerwettbewerb und verletzen das Freihandelsabkommen von 1972.

Nachdem die Eidgenossenschaft jahrelang dem Druck standgehalten hatte, beugte sie sich im Jahr 2014 der Offensive von EU, G20 und OECD im Rahmen derer Kampagne gegen Steuerparadiese und Praktiken multinationaler Firmen zur Gewinnoptimierung. Die Schweizer Regierung sah sich veranlasst, den internationalen, von der OECD vorgegebenen Steuerstandards im Rahmen des Aktionsplanes BEPS zuzustimmen. Dies bedeutete eine teilweise Harmonisierung der Steuergesetzgebung, die Aufgabe von „schädlichen“ Steuerpraktiken und einen Informationsaustausch zu den Aktivitäten und Gewinnen transnationaler Gesellschaften.

Aus für Steuerprivilegien

Die internationale Angleichung an die neuen OECD-Standards erfolgt im Übrigen durch ein multilaterales Abkommen, das bisher von rund 80 Staaten unterzeichnet wurde, darunter der Schweiz. Es regelt die Modalitäten, mit denen der Austausch von Steuerdaten erfolgt. Das Ziel dieses Abkommens, das Ende 2017 in Kraft treten dürfte, besteht darin, Gewinne von transnationalen Unternehmen in denjenigen Ländern zu besteuern, in denen sie tatsächlich erwirtschaftet werden.

Die Anpassung in der Schweiz an die OECD-Standards erfolgt durch die USR III. Das sind die wichtigsten Punkte der Reform:

1. Abschaffung des steuerlichen Sonderstatus in den Kantonen für Holding-, Domizil- und gemischte Gesellschaften. Künftig müssen alle Unternehmungen in einem Kanton die gleichen Ansätze für die Gewinnsteuern bezahlen. Um ein Abwandern von bisher mit Sonderstatus besteuerten Unternehmen zu verhindern – diese Firmen beschäftigen rund 150‘000 Personen –, hat die Mehrheit der Kantone entschieden, die Gewinnsteuern für Unternehmen generell herabzusetzen. Dazu muss bemerkt werden, dass viele Kantone bereits heute im internationalen Vergleich sehr tiefe Gewinnsteuern kennen.

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2. Die Schweizer Regierung schätzt, dass Kantone und Gemeinden durch diese Steuersenkung rund zwei Milliarden Franken weniger an Steuern einnehmen werden. Um diesen Ausfall zumindest teilweise zu kompensieren, wird der Bund künftig 21,2 Prozent der direkten Bundessteuer (bisher 17 Prozent) an die Kantone überweisen. Gemäss den jüngsten Berechnungen wird den Bund diese Erhöhung des Kantonsanteils rund 920 Millionen Franken pro Jahr kosten.

3. Der Bund überweist zudem – für einen Zeitraum von sieben Jahren – einen Ergänzungsbeitrag in Höhe von 180 Millionen Franken an ressourcenschwache Kantone, damit diese die Folgen der USR III abfedern können.

4. Um einen Wettbewerbsverlust der Schweiz zu verhindern, können die Kantone international akzeptierte steuerliche Entlastungsmassnahmen einführen, etwa für Unternehmen, die Forschung und Innovationen fördern. Die so genannte „Patentbox“ wird es ermöglichen, eine Gewinnsteuerreduktion von bis zu 90 Prozent vorzunehmen, wenn die Gewinne aus Patenten und vergleichbaren Rechten stammen. Die Unternehmen können zudem ihre effektiven Spesen für Forschung und Entwicklung bis zu einem Maximum von 150 Prozent abziehen.

Gesellschaften mit besonderem Steuerstatus

In der Schweiz gibt es rund 24‘000 Unternehmungen, die von einem besonderen Steuerstatus profitieren. Es handelt sich in der Regel um Holding- und Verwaltungsgesellschaften, die keine produktive oder kommerzielle Tätigkeit auf Schweizer Boden vorweisen.

Bei diesen Gesellschaften mit besonderem Steuerstatus handelt es sich um rund sieben Prozent aller Gesellschaften mit Sitz in der Eidgenossenschaft. Von ihnen stammt rund die Hälfte aller direkten Bundessteuern, die auf Unternehmensgewinne erhoben werden. Der Bund wendet einen Gewinnsteuersatz von 7,8 Prozent an.

Den Kantonen garantieren die Holding- und Verwaltungsgesellschaften sogar 21 Prozent der Gesamtheit der Gewinnsteuern. In den Kantonen werden die Unternehmungen mit sehr geringen Steueransätzen veranlagt. Manche Firmen zahlen sogar überhaupt keine Steuern.

Die Gesamtsteuerbelastung (Bund, Kantone, Gemeinden) beträgt für die Unternehmungen mit besonderen Steuerstatut zwischen 7,8 und 12 Prozent. Für die anderen, in der Schweiz aktiven Unternehmen liegt sie hingegen zwischen 12 und 24 Prozent.

Unnütze Steuergeschenke

Die Notwendigkeit einer Unternehmenssteuerreform wird von keiner politischen Partei bestritten. Die Mitgliedsstaaten der EU und OECD haben bereits mit Sanktionen gedroht, falls sich die Schweiz nicht den internationalen Steuerstandards anpassen sollte. Doch die Sozialdemokratische Partei (SP) hat das Referendum ergriffen. Dabei wurde sie von anderen Linksparteien unterstützt. Ihrer Meinung nach enthält die Reform zu viele Steuergeschenke für Unternehmungen. Die Folgen müsse die gesamte Gesellschaft tragen.

Die Reform wird schätzungsweise drei Milliarden Franken an Steuerausfällen für den Bund, die Kantone und Gemeinden bringen. SP-Nationalrätin Susanne Leutenegger Oberholzer meint: „Profitieren werden einige grosse Unternehmungen und ihre Aktionäre. Hingegen werden alle anderen Steuerzahler dafür die Zeche zahlen – insbesondere der Mittelstand.“ Ihrer Meinung nach wird der Steuerdruck auf die breite Bevölkerung steigen, verbunden mit einem Abbau an Sozialleistungen. „Zudem wird der Steuerwettbewerb zwischen den Kantonen zunehmen, was zu neuen Sparpaketen führen wird und letztlich zu Lasten der Schwächsten in der Gesellschaft geht“, so die Politikerin.

„Der Wirtschaftsstandort Schweiz steht heute im internationalen Wettbewerb sehr gut da und braucht keine weiteren Steueranreize“, fügt Leutenegger Oberholzer an. Es gebe schon viele Anreize, um Unternehmungen anzuziehen, darunter eine hervorragende Berufsbildung, ausgezeichnete Forschungszentren, eine hohe Lebensqualität, eine ausgebaute und gut funktionierende Infrastruktur sowie eine hohe Rechtssicherheit.

Positives Signal für Unternehmungen

Diese Kritik wird von den Mitte- und Rechts-Parteien zurückgewiesen. Sie unterstützen die USR III vorbehaltlos. „Vor allem handelt es sich nicht um Steuergeschenke, sondern um Kompensationsmassnahmen, um den Wirtschaftsstandort Schweiz nach dem Wegfall des steuerlichen Sonderstatus wettbewerbsfähig zu halten“, sagt FDP-Nationalrat Beat Walti. Dank des Massnahmenpakets sei die Schweiz auch in Zukunft für Firmen attraktiv, insbesondere für solche, die Forschung und Innovation betreiben.

„Das Ziel dieser Reform besteht keineswegs darin, das Steueraufkommen zu reduzieren. Ganz im Gegenteil: Es sollen mehr Steuern generiert werden“, betont Walti. Die vorgesehenen Massnahmen seien positiv für die Unternehmungen, die bereits in der Schweiz operativ seien, und attraktiv für solche, die ihre Aktivitäten in die Schweiz verlagern wollten.

Laut Walti kann mit neuen Investitionen und Ansiedelungen gerechnet werden. So könne der Staat das Steueraufkommen gesamthaft erhöhen und mehr staatliche Leistungen finanzieren. „Wenn wir nichts tun, besteht die Gefahr, dass viele Unternehmungen die Schweiz in den kommenden Jahren verlassen werden“, prophezeit er.

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(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

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