«Die Welt würde mit einem Ja nicht friedlicher»
Nationalrätin Christine Bulliard-Marbach ist gegen das Verbot der Waffenfinanzierung, über das Ende November abgestimmt wird. Der Initiativtext sei zu streng und werde der Realität vieler Unternehmen nicht gerecht.
Schweizerinnen und Schweizer stimmen am 29. November über die «Kriegsgeschäfte-Initiative» ab. Sie will der globalen Rüstungsindustrie den Geldhahn zudrehen.
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«Die Schweiz untergräbt ihre Bemühungen um Frieden»
Die Schweizerische Nationalbank (SNB), Pensionskassen und in der Schweiz registrierte Stiftungen sollen Produzenten von Kriegsmaterial nicht mehr finanzieren dürfen.
Offizielle Informationen
AbstimmungsunterlagenExterner Link der Eidgenossenschaft
Vollständiger InitiativtextExterner Link
Aktuelles GesetzExterner Link über die Finanzierung von Kriegsmaterial
Befürworter der Initiative
InitiativkomiteeExterner Link der «Kriegsgeschäfte-Initiative»
Gegner der Initiative
Komitee «NeinExterner Link zum Finanzierungs-Verbot der GSoA»
Christine Bulliard-Marbach ist Nationalrätin aus dem Kanton Freiburg für die Christdemokraten (CVP). Im Interview erklärt sie, warum sie die Initiative für schädlich hält für Wirtschaft und Altersvorsorge.
swissinfo.ch: Die Gegner sagen, die GSoA wolle per Gesetz weltweit eine starre Vorgabe diktieren. Ein Ja zu der Initiative hätte also internationale Konsequenzen?
Christine Bulliard-Marbach: Die Initianten wollen die internationale Rüstungsindustrie angreifen; ihr Ziel ist eindeutig die globale Abrüstung. Aber wir müssen realistisch sein: Die Schweiz ist ein kleines Land, und selbst wenn hier – wie es die Initiative fordert – Investitionen in Kriegsmaterialproduzenten verboten würden, würde das zu keiner friedlicheren Welt führen.
Ihre Kampagne betont die negativen Auswirkungen der Initiative auf die Schweizer KMU. Inwiefern wären KMU betroffen?
Die Initiative zielt darauf ab, Investitionen in die Rüstungsindustrie zu verbieten, zum Beispiel in Produzenten wie die Ruag, aber auch in deren Zulieferer. Solche Zulieferer sind häufig KMU, die selber nicht direkt Kriegsmaterial produzieren. Glas Trösch zum Beispiel stellt Spezialglas für Kampfflugzeuge her. Franke produziert nicht nur Sanitärarmaturen, sondern auch spezielle Beschichtungen, die von der Rüstungsindustrie verwendet werden. Die Beispiele zeigen, dass KMU benachteiligt und Arbeitsplätze gefährdet würden.
«Solche Zulieferer sind häufig KMU, die selber nicht direkt Kriegsmaterial produzieren.»
Die Kriterien der Initiative sind sehr streng: Sie definiert ein Unternehmen als Kriegsmaterialproduzent, wenn es mit Rüstungsgütern mehr als 5 Prozent des Jahresumsatzes macht. Diese Begrenzung macht keinen Sinn, denn sie würde bedeuten, dass viele KMU nicht wettbewerbsfähig wären.
Können Sie ungefähr sagen, wie viele KMU betroffen wären?
Es ist schwierig, genaue Zahlen zu nennen, weil die Umsätze schwanken können. Einige Unternehmen würden ein Jahr lang als Kriegsmaterialhersteller gelten, im darauffolgenden Jahr nicht mehr. Es ist klar, dass der Mechanismus der Initiative weit von der Realität entfernt ist und dass diese Grenze willkürlich festgelegt wurde.
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Die Volksinitiative, die auf die Kriegsmaterialindustrie zielt
Es ist auch schwierig abzuschätzen, wie viele Arbeitsplätze gefährdet wären. Betroffen wären hauptsächlich Unternehmen aus der Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie, Sektoren also mit vielen Beschäftigten.
Falls die Initiative angenommen wird, befürchten Sie eine Schwächung des Schweizer Rentensystems. Warum?
Die Initiative würde die Anlagemöglichkeiten von AHV und Pensionskassen einschränken, weil sie Investitionen in diversifizierte Standardprodukte verunmöglichen würde. Die Investitionen der Altersvorsorge werden kontrolliert und begünstigen keine Unternehmen, die Menschenrechte verletzen. Ethische Kriterien existieren bereits und werden sehr gut respektiert. Investitionen in nukleare, biologische oder chemische Bomben sind nach Schweizer Recht bereits verboten.
Sie sagen auch, dass die Unabhängigkeit der Schweizerischen Nationalbank in Frage gestellt würde. Wie das?
Die Unabhängigkeit der SNB ist in der Verfassung verankert. Sollte die Initiative angenommen werden, würde die Nationalbank in ihren Anlagestrategien eingeschränkt. Das wäre verfassungswidrig. Die Bank wäre nicht mehr in der Lage, gemäss ihrem Mandat zu handeln, das darin besteht, die Preisstabilität zu gewährleisten. Und es würde Tür und Tor öffnen für weitere politische Beschränkungen der Nationalbank.
Welche Auswirkungen hätte die Initiative auf den Finanzplatz Schweiz?
Heute sind nachhaltige und ethische Investitionen Teil der Anlagepolitik. Dass der Finanzplatz Schweiz in den letzten Jahren in dieser Beziehung viel geleistet hat, ist anerkannt.
«Bei so starren Kriterien müssten massive Kontrollen durchgeführt werden, und das würde eine enorme Bürokratie schaffen.»
Die in der Initiative vorgesehene Definition von Kriegsmaterialproduzenten ist unklar und entspricht nicht der Realität vieler Unternehmen. Sie hätte somit Auswirkungen auf den Schweizer Finanzplatz, der ein Vorreiter in Sachen nachhaltige Anlagen ist.
Viele Investoren schliessen bereits heute die Rüstungsindustrie von ihren Anlagen aus. Warum können die SNB und die Schweizer Pensionskassen diesen Schritt nicht machen?
Viele Schweizer Investoren legen bereits nachhaltig an. Die Initiative erlaubt es nicht mehr, solche Strategien zu verfolgen, da das fixe 5-Prozent-Kriterium viele Unternehmen ausschliesst, obwohl sie nicht in der Produktion von Kriegsmaterial tätig sind. Investitionen in diversifizierte Fonds werden unmöglich, was zu erhöhten Risiken und Kosten für Pensionskassen, AHV und SNB führt.
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Bei so starren Kriterien müssten massive Kontrollen eingeführt werden, was eine enorme Bürokratie mit sich bringen würde.
Sollte die Schweiz mit ihren Investitionen nicht etwas für den Weltfrieden tun?
Die Schweiz ist ein neutrales Land mit einer langen humanitären Tradition, was einer gewissen Investitionsfreiheit nicht widerspricht. Unser Land liefert keine Waffen an Länder, die Krieg führen, und die Nationalbank investiert nur in Unternehmen, die die Menschenrechte respektieren. Die Schweiz hat bereits einen Ethikkodex, den sie strikt einhält. Die Menschenrechte werden nicht gestärkt, wenn man KMU bestraft, weil sie kleine Flugzeugteile liefern.
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