Nach heftiger Kampagne kommt es zur Abstimmung über Konzernverantwortung
Die Schweizer Stimmbevölkerung wird am Sonntag nach einer einzigartigen und besonders aggressiven Kampagne über die Volksinitiativen "für verantwortungsvolle Unternehmen" und "Für ein Verbot der Finanzierung von Kriegsmaterialproduzenten" abstimmen.
Die Kampagne zur Initiative «Für verantwortungsvolle Unternehmen – zum Schutz von Mensch und Umwelt» hebt sich in der insgesamt eher ruhigen und berechenbaren politischen Landschaft der Schweiz deutlich ab.
Die Kampagne begann vor mehr als zwei Jahren. Normalerweise kreuzen Befürworter und Gegner erst einige Monate vor der Abstimmung die Klingen.
In allen Landesteilen prangten orangefarbene Transparente und Flaggen von den Fassaden. Die Verteilung der Transparente bot eine Möglichkeit, Bürger und Bürgerinnen miteinzubeziehen und ein Gemeinschaftsgefühl rund um die Initiative zu schaffen. Eine Strategie, die in der Schweiz noch selten ist.
Die Angriffe von beiden Seiten erreichten eine aussergewöhnliche Intensität: Die Befürworter wurden wegen Fotomontagen auf ihren Plakaten und der Verbreitung von Zeitungsartikeln ohne die Erlaubnis der betroffenen Medien kritisiert.
Die Gegner gerieten wegen der beträchtlichen Ressourcen, die in die Kampagne investiert wurden, und ihrer engen Beziehungen zur Regierung von Burkina Faso in die Kritik. Der burkinische Handelsminister reiste sogar in die Schweiz, um die Bevölkerung aufzufordern, am 29. November «Nein» zu sagen.
Die Volksinitiative «für verantwortungsvolle Unternehmen» wurde von mehreren Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und linken Parteien ins Leben gerufen. Das Komitee wird vom ehemaligen freisinnigen Ständerat Dick Marty geleitet, der durch seine Ermittlungen zu geheimen CIA-Gefängnissen oder durch die Verurteilung des Organhandels im Kosovo internationale Berühmtheit erlangte.
Schweizer Unternehmen zur Rechenschaft ziehen
Die Vorlage fordert, dass Schweizer Unternehmen die internationalen Menschenrechts- und Umweltstandards auch im Ausland respektieren.
Einzelpersonen oder Organisationen, die glauben, dass ein Schweizer Unternehmen in ihrem Land Schaden verursacht hat, können in der Schweiz, wo sich der Hauptsitz des Unternehmens befindet, eine Zivilklage auf Schadenersatz erheben.
Unternehmen sollten auch die gebührende Sorgfalt walten lassen, um mögliche Umwelt- und Menschenrechtsverletzungen zu verhindern und sicherstellen, dass die von ihnen kontrollierten Tochtergesellschaften im Ausland diese neuen Anforderungen erfüllen.
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Die Initiantinnen und Initianten wollen multinationale Unternehmen mit Sitz in der Schweiz, die im Ausland Schaden verursachen und von dem dysfunktionalen Justizsystem in einigen Ländern profitieren, zur Rechenschaft ziehen.
Eine Position, die weder von der Regierung, dem Parlament noch von rechten Parteien geteilt wird. Sie sind der Meinung, dass die Initiative dem Wirtschaftsstandort Schweiz schaden würde und dass der vom Parlament erarbeitete indirekte Gegenvorschlag eine bessere Lösung darstellt.
Der Gegenvorschlag sieht vor, Unternehmen zu verpflichten, über Umwelt-, Menschenrechts- und Korruptionsfragen zu berichten. Er erlegt auch Fürsorgepflichten im Bereich der Kinderarbeit und der in Konfliktgebieten abgebauten Mineralien auf. Wenn das Volk am Sonntag «Nein» sagt, tritt dieser Gegenvorschlag automatisch in Kraft.
Investitionen in Rüstungsindustrie begrenzen
Die Kampagne zur zweiten Vorlage ist weniger bissig. Das Komitee «gegen Finanzierung von Kriegsmaterialproduzenten» greift ebenfalls auf die Verteilung von Flaggen und Transparenten zurück, jedoch in geringerem Umfang. Die Initiative wurde von der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) und den Jungen Grünen lanciert. Sie wird unterstützt von linken Parteien und Nichtregierungsorganisationen, die in der Friedensförderung tätig sind.
Die Vorlage will, dass die Schweiz die Finanzierung der Rüstungsindustrie verbietet. Die Schweizerische Nationalbank, Stiftungen und Pensionskassen dürften keine Kredite mehr gewähren oder in Unternehmen investieren, deren Jahresumsatz zu mehr als 5% aus der Produktion von Kriegsmaterial stammt.
Laut den Initiantinnen und Initianten sind solche Transaktionen unvereinbar mit der Neutralität der Schweiz und ihren Friedensbemühungen, da das investierte Geld für Waffenlieferungen in Konfliktgebiete verwendet werde.
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Regierung, Parlament, Rechts- und Zentrumsparteien sowie die Wirtschaft sind gegen diese Initiative. Sie sind der Meinung, die Initiative untergrabe die Unabhängigkeit der Schweizerischen Nationalbank und verringere die Anlagerenditen der Altersvorsorge. Sie befürchten auch, dass KMU, die bestimmte Komponenten an die Rüstungsindustrie liefern, von den neuen Anforderungen betroffen und zum Abbau von Arbeitsplätzen gezwungen wären.
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Sibilla Bondolfi
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