Asyl erneut im Test der direkten Demokratie
Das Recht auf Asyl kommt einmal mehr vors Stimmvolk. Dieses Mal allerdings bekämpft die Rechte eine weitere Revision des Asylgesetzes, mit der die Prüfungsverfahren von Asylgesuchen beschleunigt und die Kosten reduziert werden sollen. Die Abstimmung kommt in einem Moment, während dem das gesamte Asylsystem in Europa durch den historischen Flüchtlingszustrom hart geprüft wird.
Das Asylgesetz der Schweiz gleicht immer mehr einer Grossbaustelle. Kaum ist eine Revision in Kraft, wird auch schon an der nächsten gebastelt. Seit seiner Einführung 1981 wurde das Asylgesetz ein gutes Dutzend Mal abgeändert, im Schnitt alle drei Jahre. Fünf Mal kam es dabei zu einer Volksabstimmung.
Historischer Flüchtlingsstrom
Letztes Jahr haben rund 1,4 Millionen Menschen in europäischen Ländern um Asyl ersucht, mehr als doppelt so viele wie 2014. 2015 wurden in der Schweiz 39’523 Asylgesuche eingereicht, 66,3% mehr als im Jahr zuvor.
In der Schweiz wurden letztes Jahr 3% aller in europäischen Ländern eingereichten Asylgesuche gestellt, der tiefste Wert der letzten zwanzig Jahre. 2012 lag dieser Anteil bei 8,2%.
Im Vergleich mit der Bevölkerungszahl allerdings liegt die Schweiz bei den Asylgesuchen in Europa an 7. Stelle: 2015 wurden 4,9 Asylgesuche auf 1000 Einwohnerinnen und Einwohner gestellt, während es in Europa im Durchschnitt 2,9 waren.
Mit 9966 Asylgesuchen in der Schweiz lag letztes Jahr Eritrea an vorderster Stelle, gefolgt von Afghanistan (7831), Syrien (4745), Irak (2388), Sri Lanka (1878), Somalia (1253) und Nigeria (970).
Seit den 1990er-Jahren macht sich die Schweizerische Volkspartei (SVP) für Verschärfungen des Gesetzes stark. Sie hat die Asylfrage zu einem vorrangigen Thema ihrer Wahlkampagnen gemacht. In letzter Zeit konnte die nationalkonservative Partei auch in der Mitte auf immer mehr Unterstützung zählen.
Die Linke hingegen, die im Namen der humanitären Tradition der Schweiz argumentierte, musste sich regelmässig geschlagen geben. Mehrmals wurden Referenden, die sie gegen zusätzliche Verschärfungen des Asylgesetzes eingereicht hatte, an der Urne abgeschmettert.
Deshalb steht die Schweiz am 5. Juni vor einem noch nie dagewesenen Szenario: Erstmals wird eine Revision des AsylgesetzesExterner Link von der politischen Linken unterstützt, während die Rechte dieses mit einem Referendum bekämpft.
«Alle bisherigen Revisionen dienten nur dazu, das Asylgesetz zu verschärfen», sagt Cesla Amarelle, Nationalrätin der Sozialdemokratischen Partei (SP). «Dieses Mal aber hat das Parlament Änderungen gutgeheissen, die den Asylsuchenden einen besseren rechtlichen Schutz und eine Verbesserung der Prüfungsverfahren ihrer Gesuche bieten. Deshalb unterstützt die Linke die neue Reform.»
Zügigere Verfahren
Das Parlament hat die Revision 2015 gutgeheissen. Das Hauptziel der neusten Änderung des AsylgesetzesExterner Link ist, die Asylverfahren markant zu beschleunigen. So soll bei negativen Entscheiden weniger Zeit bis zur Rückschaffung verstreichen, und bei positiven Entscheiden sollen die Aufgenommenen rascher in den Arbeitsmarkt integriert werden können.
Künftig sollen die vereinfachten Verfahren nur noch maximal 140 statt wie bisher durchschnittlich 277 Tage dauern. Sind für ein Asylgesuch weitere Abklärungen notwendig, soll das Verfahren innerhalb eines Jahres rechtskräftig abgeschlossen werden.
Um die rechtliche Qualität der Verfahren weiterhin sicherzustellen, soll der Rechtsschutz der Asylsuchenden verstärkt werden. So sollen diese von Anfang an kostenlos einen juristischen Beistand zur Verfügung gestellt erhalten.
Bei einem Test in einem Asylzentrum in Zürich 2014 konnte die Dauer der Prüfungsverfahren um 39% verkürzt und die Zahl der Beschwerden um 33% reduziert werden. Stattdessen verdreifachte sich die Zahl der freiwilligen Ausreisen.
Um diese Reform durchführen zu können, ist eine stärkere Zentralisierung der Kompetenzen nötig. Die vereinfachten Verfahren (rund 60% der Fälle) sollen künftig in neuen, direkt vom Bund betriebenen Erstaufnahmezentren behandelt werden. Dort sollen Bundesangestellte, Übersetzer, Rechtsvertreter und Rückkehr-Berater tätig sein.
In den neuen Zentren wird die Eidgenossenschaft künftig rund 5000 Personen unterbringen können, mehr als drei Mal so viele, wie mit den bisherigen 1400 Plätzen möglich sind. Für komplexere Fälle werden die Asylsuchenden wie bisher in kantonalen Zentren untergebracht.
«Einladung in die Schweiz»
Die Landesregierung (Bundesrat) schätzt, dass für die nötigen Um- und Neubauten sowie die Arbeitsplätze etwas über 500 Millionen Franken bereitgestellt werden müssen. Mittelfristig aber soll die Gesetzesrevision bei Bund und Kantonen zu jährlichen Einsparungen von um die 200 Millionen Franken führen.
Zu Beginn wurde das Revisionsprojekt von allen grossen Parteien unterstützt. 2015 allerdings stellte sich die SVP während der Debatten im Parlament dagegen. Die Änderungen seien unnötig und kontraproduktiv, monierte sie. Im September, wenige Tage nach Annahme der Revision im Parlament, ergriff die Partei mit 65’000 Unterschriften das Referendum dagegen.
«Diese Revision wurde 2011 ausgedacht, als die Zahl der Asylgesuche rund die Hälfte des letzten Jahres betrug und das Abkommen von Dublin bis zu einem gewissen Grad noch funktionierte», sagt SVP-Nationalrat Albert Rösti. «Jetzt, wo andere europäische Länder ihre Grenzen schliessen, will die Schweiz ihre Kapazitäten zur Unterbringung von Asylsuchenden erhöhen. Das ist praktisch eine Einladung, zu uns zu kommen, statt dass wir nach Lösungen suchen, um Wirtschaftsmigranten ab- oder zurückzuweisen, die den Grossteil aller Asylsuchenden in der Schweiz ausmachen.»
Asylgesetz
Lange Zeit war das Asylgesetz Bestandteil des Ausländergesetzes. Seit 1981 hat das Asylwesen ein eigenes Gesetz, das zu Beginn sehr liberal formuliert war.
Inzwischen wurde die Asylpolitik mit einem Dutzend Teil- oder Totalrevisionen immer weiter verschärft.
Bis heute hat das Stimmvolk vier Gesetzes-Revisionen mit grosser Mehrheit an der Urne gutgeheissen (1987, 1999, 2006 und 2013).
2002 allerdings lehnten 50,1% der Stimmenden die Eidgenössische Volksinitiative «gegen Asylrechtsmissbrauch» der Schweizerischen Volkspartei SVP ab.
Darüber hinaus wehrt sich die SVP gegen die Einführung des kostenlosen juristischen Schutzes: «Wir betrachten es als unhaltbar, dass alle Asylsuchenden gratis von einem Anwalt profitieren können. Das ist ein Recht, das nicht einmal Schweizer Staatsangehörigen gewährt wird, und das deshalb das in der Bundesverfassung festgehaltene Gleichbehandlungsprinzip verletzt», so Rösti weiter.
Kantone und Gemeinden im Boot
«Das ist falsch, alle Bürgerinnen und Bürger können einen kostenlosen Rechtsschutz verlangen, wenn sie nicht über genügend finanzielle Mittel verfügen», weist Cesla Amarelle diese Kritik zurück. «Im Fall von Asylsuchenden ist eine Rechtsvertretung zentral, weil die Menschen unser Rechtssystem oft nicht kennen und nicht wissen, wie das Asylverfahren funktioniert. So können sie auch die Gründe eines möglichen Negativentscheids auf ihr Gesuch besser verstehen, was zu weniger Rekursen führt.»
Im Zentrum der Kritik der SVP steht allerdings die Tatsache, dass die Eidgenossenschaft künftig in Gebäuden und Infrastrukturen des Bundes neue Bundesasylzentren ansiedeln können soll, ohne dass die betroffenen Kantone oder Gemeinden die Möglichkeit haben, die Pläne zu genehmigen oder abzulehnen. Und, falls erforderlich, sogar durch Enteignung.
«So schafft sich die Eidgenossenschaft ein neues Enteignungsrecht, das unserem Rechtssystem entgegenläuft. Die Probleme im Asylwesen können nicht auf Kosten von Bürgerrechten und der Autonomie von Kantonen und Gemeinden gelöst werden», betont Rösti.
«Wir können diese Vorbehalte nicht teilen, zumal diese neue Asylgesetz-Reform anlässlich einer nationalen Konferenz 2014 von den Vertretern von Kantonen und Gemeinden einstimmig angenommen wurde», kontert Amarelle. «Um diese Reform zu realisieren, die auch im Interesse von Kantonen und Gemeinden ist, muss die Eidgenossenschaft rasch über Aufnahmezentren verfügen können, in denen sie Asylverfahren durchführen kann.»
Ablehnung auch von links
Auch ein Komitee der Linken bekämpft die Revision des Asylgesetzes. Am 5. Juni gehe es nicht darum, gegen das Referendum der Schweizerischen Volkspartei zu stimmen, sondern gegen eine «dramatische Verschärfung» des Asylrechts, die das Leben der Flüchtlinge noch mehr gefährde.
Für das Komitee «Zum Schutz des Asylrechts», dem Parteien des linken Flügels und Flüchtlings-Organisationen angehören, garantiert die im revidierten Gesetz vorgesehene Rechtshilfe kein faires Verfahren. Vielmehr habe diese zum Ziel, den Grossteil der Asylbewerber innert kurzer Zeit und mit geringen Kosten wieder ausser Landes zu bringen.
Mit dem neuen Gesetz sollen auch die 2013 durch das Stimmvolk genehmigten dringlichen Massnahmen festgeschrieben werden, die auf Ende 2019 beschränkt sind. Diese Massnahmen – von links bekämpft, von den Bürgerlichen unterstützt – verschärfen das Asylrecht in gewissen Punkten.
Im Besonderen entfällt die Möglichkeit, ein Asylgesuch bei einer Botschaft der Schweiz im Ausland zu stellen. Deserteure und Kriegsdienstverweigerer, denen schwere Strafen drohen, gelten nicht mehr als Flüchtlinge. Asylsuchende, die als «widerspenstig» gelten, können in speziellen Aufnahmezentren eingeschlossen werden. Zudem werden die Möglichkeiten für Rekurse reduziert.
Die Sozialdemokratische Partei und die Grünen hingegen unterstützen die Gesetzesreform, zudem die grösseren Flüchtlings-Organisationen wie Caritas, HEKS, SAH und Amnesty International. Ihrer Meinung nach ist nach einem «Nein» am 5. Juni eine noch härtere Reform des Asylgesetzes von Seiten der bürgerlichen Parteien zu erwarten, ohne die Verbesserungen der gegenwärtigen Revision.
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