Mehrheit für bezahlbares Wohnen und Kampf gegen Homophobie
Zwei Drittel der Befragten unterstützen die Wohnungs-Initiative. Das geht aus der ersten Umfrage der SRG SSR zur Abstimmung vom kommenden 9. Februar hervor. Noch stärkere Unterstützung gibt es für ein Verbot der Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung.
Sie startet mit einem guten Vorsprung in die Kampagne vor der Abstimmung im Februar: Die vom Schweizerischen Mieterinnen- und Mieterverband lancierte Initiative zum Bau von mehr gemeinnützigen und preislich moderaten Mietwohnungen.
Laut der Anfang Dezember durchgeführten ersten SRG-SSR-Trendbefragung des Forschungsinstituts gfs.bern unterstützen 66% der Befragten die Volksinitiative «Mehr bezahlbare Wohnungen»Externer Link. 30% sind dagegen, 4% noch unentschlossen.
Dieser grosse Vorsprung ist in einem Land der Mieter wie der Schweiz nicht erstaunlich: Fast 60% der Bevölkerung leben zur Miete. Und nicht zufällig ist der Zuspruch zur Initiative in jenen Landesteilen etwas höher, in denen der Druck auf den Immobilienmarkt besonders gross ist. So liegt die Unterstützung in der französischsprachigen Schweiz bei 71% und in der italienischsprachigen bei 70%, während in der Deutschschweiz 64% dafür sind.
Es ist aber noch zu früh zu sagen, ob die Initiative diesen positiven Schwung während des politischen Abstimmungskampfs in den kommenden Wochen aufrechterhalten kann, wenn die Gegnerschaft die negativen Punkte dieses Volksbegehrens hervorheben wird.
Immer höhere Mieten
Der Schweizerische Mieterinnen- und Mieterverband reichte die Wohnungs-Initiative 2016 ein. Diese verlangt, dass mindestens 10% der neu in der Schweiz gebauten Wohnungen im Besitz von gemeinnützigen Organisationen wie Genossenschaften sein sollen. Zur Förderung des gemeinnützigen Wohnungsbaus sollen Kantone und Gemeinden für sich ein Vorkaufsrecht auf geeigneten Grundstücken einräumen können.
Schliesslich will die Initiative verhindern, dass Subventionen für energetische Sanierungen zu Luxuslösungen führen und sich die Wohnungen übermässig verteuern oder Mieterinnen und Mieter dadurch zum Auszug gezwungen werden.
Die Befürworter der Initiative weisen darauf hin, dass die Mieten in der Schweiz stetig steigen, obwohl die Zinssätze für Hypothekarkredite in den letzten zwei Jahrzehnten regelmässig gesunken sind.
Diese Entwicklung sei namentlich darauf zurückzuführen, dass die Eigentümer versuchten, auf Kosten der Mieter maximale Renditen zu erzielen. Wer in gewinnorientiert bewirtschafteten Wohnungen wohne, zahle im Durchschnitt zwei Monatsmieten mehr pro Jahr als Mieter, die in genossenschaftlich genutzten Wohnungen wohnten, so die Befürworter.
Eine Mehrheit des Parlaments und der Bundesrat (Landesregierung) empfehlen dem Stimmvolk, die Initiative abzulehnen. Laut dem Bundesrat ist es in einigen Regionen des Landes tatsächlich schwierig, bezahlbaren Wohnraum zu finden. Doch insgesamt sei die Zahl der finanziell tragbaren Wohnungen ausreichend. Die bisherige Wohnraumförderung habe sich bewährt, und die Umsetzung der Initiative würde unverhältnismässig viel kosten.
Die Umfrage
Die 1. Welle der SRG-SSR-Trendbefragung zu den Volksabstimmungen vom 9. Februar 2020 wurde durch das Forschungsinstitut gfs.bern zwischen dem 3. und 16. Dezember 2019 bei 5477 Stimmberechtigten durchgeführt. Sie wurden repräsentativ ausgewählt und nach allen Sprachregionen der Schweiz aufgeschlüsselt.
Der statistische Fehlerbereich beträgt +/-2.9 Prozentpunkte. Die Umfrage wurde von der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft SRG SSR in Auftrag gegeben, zu der auch SWI swissinfo.ch gehört.
Eine Frage der Menschenwürde
Auch der Vorschlag zur Änderung des Strafgesetzbuchs und des MilitärstrafgesetzesExterner Link findet breite Unterstützung. Damit sollen die Aufstachelung zu Hass und diskriminierendes Verhalten aufgrund der sexuellen Orientierung bekämpft werden.
69% der Befragten sprechen sich für diese Gesetzesänderung aus. 28% sind dagegen und 3% unentschlossen. Die Vorlage kommt vors Volk, weil die Eidgenössisch-Demokratische Union (EDU), eine rechte Kleinpartei, die politische Positionen auf der Grundlage biblischer Prinzipien unterstützt, dagegen das Referendum ergriffen hatte.
Das Strafgesetzbuch und das Militärstrafgesetz sehen derzeit Haft- und Geldstrafen für alle Formen der Diskriminierung aufgrund der rassischen, ethischen oder religiösen Zugehörigkeit vor, jedoch nicht aufgrund der sexuellen Orientierung oder der Geschlechtsidentität.
Laut der Regierung und einer Parlamentsmehrheit ist die Ausweitung des Strafrechts notwendig, um den Schutz vor Homophobie zu verstärken, weil die Menschenwürde ein Grundwert unserer Gesellschaft sei und diskriminierendes Verhalten gegen die von der Bundesverfassung garantierten Grundsätze verstosse.
Von den grossen Parteien steht einzig die Schweizerische Volkspartei (SVP) der EDU zur Seite. Die beiden Rechtsparteien kämpfen gegen das «Zensurgesetz», wie sie es bezeichnen. Die Gesetzesänderung bedeute faktisch eine Zensur der Meinungs- und Gewissensfreiheit. In ihren Augen bietet das Strafgesetz bereits solide rechtliche Grundlagen, um jeden Bürger im Fall von Beleidigungen, Drohungen und Verleumdungen zu verteidigen.
Auch hier fällt in der Umfrage ein Unterschied zwischen den verschiedensprachigen Landesteilen auf. Mehr Unterstützung gibt es dafür in der französisch- und der italienischsprachigen Schweiz, wo die SVP nicht über eine so grosse Wählerbasis verfügt wie in den Kantonen der Deutschschweiz.
(Übertragung aus dem Italienischen: Christian Raaflaub)
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