«Die Schweiz untergräbt ihre Bemühungen um Frieden»
Thomas Bruchez verteidigt die Kriegsgeschäfte-Initiative, die am 29. November zur Abstimmung kommt. Der Co-Sekretär der GSoA will die Ressourcen von Rüstungsherstellern begrenzen, indem Schweizer Finanzinstitutionen verboten wird, in diesem Bereich zu investieren.
Die Schweizer Bürgerinnen und Bürger stimmen am 29. November über die Volksinitiative «Für ein Verbot der Finanzierung von Kriegsmaterialproduzenten» ab. Der Text hat die Finanzierung der globalen Rüstungsindustrie im Visier.
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«Die Welt würde mit einem Ja nicht friedlicher»
Die Kriegsgeschäfte-Initiative soll der Schweizerischen Nationalbank sowie Stiftungen und Einrichtungen der staatlichen und beruflichen Vorsorge (Pensionskassen) verbieten, in Produzenten von Kriegsmaterial zu investieren.
Offizielle Informationen
Informationen des BundesExterner Link
Der InitiativtextExterner Link
Aktuelles Bundesgesetz über das KriegsmaterialExterner Link
Befürworter der Initiative
Bündnis für ein Verbot von KriegsgeschäftenExterner Link
Gegner der Initiative
Thomas Bruchez ist Co-Sekretär der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA), welche die Initiative ins Leben gerufen hat. Er erklärt, warum er sich für nachhaltigere Investitionen einsetzt.
swissinfo.ch: Die Schweiz hat bereits ein Gesetz, das die Finanzierung von Kriegsmaterial verbietet. Warum wollen Sie neue Beschränkungen einführen?
Thomas Bruchez: Die derzeitige Situation ist völlig unbefriedigend. Es gibt zwar ein Verbot der direkten Finanzierung, dieses betrifft jedoch nur die Finanzierung von international verbotenen Waffen, d.h. von nuklearen, biologischen und chemischen Waffen, Streumunition und Personenminen. Indirekte Finanzierung ist nur dann ausgeschlossen, wenn sie darauf abzielt, die direkte Finanzierung zu umgehen, was nicht nachgewiesen werden kann.
Es gibt derzeit keine Bestimmung, welche die Finanzierung von konventionellen Waffen verbietet, weil es diese Logik gibt, die zwischen «guten» und «schlechten» Waffen unterscheiden will. Das ist eine sehr gefährliche Logik, denn die Mehrheit der Menschenrechtsverletzungen wird mit Kleinwaffen begangen. Alle Waffen sind problematisch. Deshalb brauchen wir einen Rechtsrahmen, der ihre Finanzierung verbietet.
Haben Sie zwei Beispiele von Schweizer Institutionen, die in Produzenten von Kriegsmaterial investiert haben?
Die Schweizerische Nationalbank investiert stark in Produzenten von Kriegsmaterial. Nach Angaben der Nichtregierungsorganisation PAX investierte sie im Jahr 2018 zum Beispiel 1,3 Milliarden US-Dollar in Atomwaffen. Ausserdem investiert sie mehr als 2 Milliarden US-Dollar in die US-Rüstungsindustrie.
Noch schwieriger ist es, Zahlen für Pensionsfonds zu erhalten, weil es in überhaupt keine Transparenz gibt. Man kann aber Einschätzungen auf der Grundlage von Investitionen in internationale Aktien vornehmen, in Fonds, die Kriegsmaterialproduzenten einschliessen. Wir schätzen, dass Schweizer Pensionskassen zwischen 3,8 und 4,3 Milliarden Franken in Rüstungskonzerne investieren.
«Die Schweizerische Nationalbank investiert stark in Produzenten von Kriegsmaterial.»
Sind die Investitionen von Schweizer Institutionen in die Rüstungsindustrie im globalen Vergleich hoch?
Der Finanzplatz Schweiz ist einer der grössten und einflussreichsten der Welt und verwaltet rund 25% der weltweiten Privatvermögen. Ein Finanzierungsverbot der Schweiz hätte daher eine doppelte Wirkung: Angesichts der Bedeutung ihres Finanzplatzes würde es viel weniger Investitionen in Kriegsmaterialproduzenten bedeuten, und dank dem Einfluss würde ein solches Verbot ein Signal an die anderen grossen Finanzzentren der Welt senden, dies ebenfalls zu tun.
Stiftungen und Pensionsfonds in anderen Ländern dürfen in konventionelles Kriegsmaterial investieren. Warum sollte die Schweiz sich mit einem anderen Ansatz hervortun?
Es stimmt, dass kein Land einen restriktiveren Rechtsrahmen hat. Doch in der Praxis ist die Schweiz in Bezug auf nachhaltige Investitionen nicht der fortschrittlichste Staat. Es gibt viele grosse Finanzinstitutionen, die Produzenten von Kriegsmaterial bereits ausschliessen. Wir brauchen Pioniere, und die Schweiz ist eine gute Kandidatin, weil sie neutral ist, eine humanitäre Tradition hat und auf internationaler Ebene eine starke Friedenspolitik anstrebt. Indem die Schweiz heutzutage Finanzinstituten erlaubt, in Kriegsmaterial-Produzenten zu investieren, untergräbt sie ihre eigenen Anstrengungen.
Besteht nicht die Gefahr, dass die Schweizer Finanzinstitute Renditeverluste erleiden, wenn sie ihre Anlagen nicht frei wählen können?
Auf keinen Fall. Zahlreiche Studien zeigen, dass nachhaltige Anlagen Renditen erzielen, die genauso gut oder sogar besser als konventionelle Anlagen sind. Dies lässt sich recht einfach feststellen, wenn man den klassischen MSCI World-Index, der die weltweit führenden Unternehmen mit einer starken Performance enthält, mit dem «sozial verantwortlichen» MSCI SRI vergleicht, der insbesondere Waffenproduzenten ausschliesst. Der Nachhaltigkeitsfonds weist eine bessere Performance auf als sein konventionelles Pendant und eine bessere Risikoresistenz, so ist zum Beispiel während der Coronavirus-Krise der Rückgang beim MSCI SRI-Index bisher geringer als beim MSCI World-Index.
«Zahlreiche Studien zeigen, dass nachhaltige Anlagen Renditen erzielen, die genauso gut oder sogar besser als konventionelle Anlagen sind.»
Führt ein Investitionsverbot nicht dazu, dass Schweizer Produzenten von Kriegsmaterial und KMUs Gefahr laufen, in Schwierigkeiten zu geraten?
Die Definition von Kriegsmaterial ist im Schweizer Recht mit dem Kriegsmaterialgesetz und der dazu gehörenden Verordnung sehr klar definiert. Güter mit doppeltem Verwendungszweck, sowohl ziviler als auch militärischer Art, werden nicht als Kriegsmaterial aufgeführt. Ersatzteile gelten nur als Kriegsmaterial, wenn sie nicht für zivile Zwecke verwendet werden können. Dies bedeutet, dass die überwiegende Mehrheit der Schweizer KMU von der neuen Regelung nicht betroffen wäre.
Die Initiative definiert Kriegsmaterialhersteller als Unternehmen, die mehr als 5% ihres Jahresumsatzes mit der Produktion von Kriegsmaterial erzielen. Selbst wenn ein Unternehmen ein Produkt hat oder einen Grossauftrag für ein Produkte erhält, das als Kriegsmaterial gilt, wird dies wahrscheinlich nicht mehr als 5% seines Umsatzes ausmachen. Und in der praktischen Anwendung wären auch die grossen Schweizer Produzenten von Kriegsmaterial nicht betroffen, da sie weder von der SNB noch von Pensionskassen finanziert werden.
Die Auswirkungen in der Schweiz wären völlig vernachlässigbar, denn der Text der Initiative wurde bewusst so formuliert, dass er sich auf die internationale Rüstungsindustrie und die weltweit grössten Produzenten von Kriegsmaterial auswirkt.
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