Angst vor Propaganda
Die Bundeskanzlei hat für die Abstimmungen vom 25. September erneut Erklärvideos produziert. Ein Parlamentarier will diese "Propagandamassnahmen" verbieten.
Am 25. September entscheidet die Schweizer Stimmbevölkerung über drei Themen: Über die Volksinitiative «Grüne Wirtschaft«, die Volksinitiative «AHVplus» betreffend Erhöhung der Altersrenten sowie über ein neues Nachrichtendienstgesetz.
Zu allen drei – sehr umstrittenen – Vorlagen hat die Bundeskanzlei ErklärvideosExterner Link veröffentlicht, die auf dem YouTube-Kanal der Regierung abrufbar sind. Sie setzt damit ein PilotprojektExterner Link von den Abstimmungen im Juni fort.
Ziel der Videos ist laut einer Mitteilung der Bundeskanzlei, den Stimmberechtigten auf sachliche, korrekte und leicht verständliche Art zu zeigen, worum es bei den jeweiligen Vorlagen geht. Damit soll die in der Schweiz relativ tiefe Stimmbeteiligung verbessert werden.
Wer sich die Videos anschaut, kann sich des Eindruckes einer gewissen Oberflächlichkeit nicht erwehren. Sind die Videos geeignet, eine Meinungsbildung zu ermöglichen? Nicht alle sind erfreut: Der Zürcher SVP-Nationalrat Gregor RutzExterner Link hat bereits im Juni eine parlamentarische InitiativeExterner Link eingereicht, die den Verzicht auf Abstimmungsvideos und «andere Kampagneninstrumente» verlangt. Rutz begründet seine Initiative folgendermassen: Es sei falsch, mit Propagandamassnahmen den Abstimmungskampf beeinflussen zu wollen – auch wenn dies unter dem Titel «Information» geschehe. Der Abstimmungskampf solle von privaten Akteuren geführt werden.
Die Initiative wurde im Rat noch nicht behandelt. Die Bundeskanzlei liess sich von Rutz’s Initiative nicht beirren und setzte das Pilotprojekt fort. Auf Anfrage von swissinfo.ch erklärte René Lenzin von der Bundeskanzlei, es sei die Stellungnahme des Bundesrates abzuwarten. Die Bundeskanzlei werde im ersten Halbjahr 2017 entscheiden, ob sie zukünftig zu allen Abstimmungsvorlagen Erklärvideos produziere (was der Umwandlung des Pilotprojekts in ein Definitivum gleichkommt).
Staatspropaganda auf Kosten der Steuerzahler?
Die Produktion der Videos kostete nach Angaben der Bundeskanzlei pro dreisprachiges Video 9500 Franken. Bei drei Vorlagen belaufen sich die Kosten für den Steuerzahler also auf 28’500 Franken. Betreibt der Bund mit den Videos auf Kosten der Steuerzahler Staatspropaganda?
Diesen Vorwurf lässt die Bundeskanzlei nicht gelten. «Die Videos sind kein Propaganda- oder Kampagneninstrument, sondern ergänzen die bestehenden Informationen mit zeitgemässen Kommunikationsmitteln», so Lenzin. Wie beim so genannten «Abstimmungsbüchlein» [der schriftlichen Informationsbroschüre des Bundesrates über die Abstimmungen] gälten auch für die Videos die gesetzlich vorgeschriebenen Prinzipien der Sachlichkeit, Vollständigkeit und Transparenz.
Dass die Videos etwas oberflächlich daher kommen, begründet Lenzin mit dem «Nutzungsverhalten der Userinnen und User». Sprich: Man traut den Stimmbürgern wenig Geduld zu.
Immerhin hat die Bundeskanzlei bei den Clips für die Septemberabstimmung die Elemente «Die Vorlage im Detail», «Argumente des Komitees» und «Empfehlung von Bundesrat und Parlament» expliziter gekennzeichnet und voneinander abgegrenzt. Die Videos enthalten nämlich wie das «Abstimmungsbüchlein» explizite Abstimmungsempfehlungen der Behörden. Von «Neutralität» kann also auch bei der Broschüre nur beschränkt die Rede sein.
Kein Wunder sorgen die Abstimmungsinformationen von Bund, Kantonen und Gemeinden regelmässig für Zoff und bescherten den Behörden schon gerichtliche Beschwerden oder gar Strafanzeigen. Am Ende sind die Abstimmungsvideos also alter Wein in neuen Schläuchen.
Informationspflicht des Bundesrates
Der Bundesrat hat gemäss Verfassung und Gesetz eine Informationspflicht gegenüber der Öffentlichkeit. Er muss insbesondere die Stimmbevölkerung über die eidgenössischen Abstimmungsvorlagen informieren. Dabei muss er sich an die Grundsätze der Sachlichkeit, Vollständigkeit, Transparenz und Verhältnismässigkeit halten. Primär erfüllt der Bundesrat seine Informationspflicht vor Abstimmungen seit 1977 mit dem so genannten «Abstimmungsbüchlein». Diese in einer Auflage von etwa 5,4 Millionen gedruckten Broschüren informieren die Schweizer Stimmberechtigten über die anstehenden Abstimmungsvorlagen.
Nachdem mehrere Parlamentarier den Bund zur Modernisierung der Abstimmungsinformation aufgefordert haben, produziert die Bundeskanzlei seit Juni 2016 neu Erklärvideos. Damit sollen spezifische Gruppen angesprochen werden, beispielsweise junge Leute sowie Personen mit Leseschwierigkeiten oder Hörbehinderungen (die Videos zur Abstimmung vom 25. September gibt es auch mit Untertiteln).
Finden Sie die Erklärvideos für die Abstimmungen vom 25. September sachlich oder tendenziös? Diskutieren Sie mit uns in den Kommentaren!
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