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Abtreiben oder nicht – Frauen beim Entscheid beraten

Was nun? Nicht alle sind auf eine Mutterschaft vorbereitet. AFP

Der Entscheid, ob eine ungeplante Schwangerschaft abgebrochen werden soll oder nicht, kann schwierig sein. Das Personal der Frauenklinik in Bern unterstützt Frauen aller Altersgruppen und Gesellschaftsschichten.

Das Licht der Nachmittagssonne sowie Literatur in verschiedenen Sprachen füllen das Wartezimmer in einem der oberen Stockwerke der Frauenklinik am Universitätsspital Bern (Inselspital). Hier, im Zentrum für Familienplanung, können sich Frauen beraten lassen, um Antworten auf ihre Fragen zu finden.

Seit 2002 werden die Kosten für eine Abtreibung in der Schweiz von der obligatorischen Krankenversicherung gedeckt. Diese Regelung war Teil einer Volksabstimmung, mit der Abbrüche in den ersten 12 Wochen einer Schwangerschaft legalisiert wurden (Fristenlösung).

Gegner dieser Regelung argumentieren, Leute, die aus moralischen Gründen gegen Abtreibungen seien, sollten diese nicht über ihre Krankenkassenprämien mitfinanzieren müssen. (Siehe Kasten «Die Initiative».)

Ein medikamentöser Schwangerschaftsabbruch kostet im Berner Inselspital etwa 800 Franken, ein chirurgischer Abbruch etwa 2000 Franken. Die Beratung erfolgt kostenlos, sie wird vom Kanton Bern finanziert.

Jedes Jahr berät die Klinik rund 400 Schweizerinnen und Ausländerinnen. Meistens kommen die Frauen allein, manchmal werden sie auch begleitet, von einem Partner, einer Freundin oder Verwandten. Nach Angaben der Ärztin Jenny Lütjens ist die Zahl der Frauen seit 2002 immer etwa gleich geblieben.

«Die Beratung dauert 90 Minuten. Und falls notwendig, kann auch ein weiterer Termin vereinbart werden. Wir drängen die Frauen nicht zu einer Entscheidung, sondern unterstützen sie beim Prozess, die für sie richtige Lösung zu finden», erklärt Lütjens gegenüber swissinfo.ch.

Die Volksinitiative «Abtreibungsfinanzierung ist Privatsache – Entlastung der Krankenversicherung durch Streichung der Kosten des Schwangerschaftsabbruchs aus der obligatorischen Grundversicherung“ wurde von einer überparteilichen Gruppe lanciert, hinter der vor allem konservativ christliche Kreise stehen.


Die Volksinitiative verlangt einen neuen Artikel (Art. 117 Abs. 3) in der Bundesverfassung mit folgendem Wortlaut: «Unter Vorbehalt von seltenen Ausnahmen seitens der Mutter sind Schwangerschaftsabbruch und Mehrlingsreduktion im Obligatorium nicht eingeschlossen.»
 


Wie alle Verfassungsänderungen braucht auch diese Initiative ein doppeltes Mehr von Volk und Ständen (Kantonen), um angenommen zu werden.

Die Abstimmung findet am 9. Februar 2014 statt.
 

Schwierige Situationen

Die meisten der Frauen sind im Alter zwischen 20 und 35, nur sehr wenige jünger. Lütjens und ihre Kolleginnen versuchen, sich ein Bild zu verschaffen von der persönlichen Lage der Frauen und deren Gedanken über ihre Schwangerschaft.

«Viele befinden sich in einer schwierigen Lage, finanziell oder persönlich», sagt Lütjens. Während jüngere Frauen beispielweise noch nicht bereit sein könnten, Mutter zu werden, gebe es Mütter, die das Gefühl hätten, bereits genug Kinder zu haben. Oder Frauen, die sich gerade erst von dem Mann getrennt hätten, der Vater würde.

Bettina*, die Mutter eines drei Jahre alten Jungen, hatte das Zentrum letzten Herbst besucht. Sie war im zweiten Monat schwanger und hatte sich erst gerade von einer Magen-Bypass-Operation erholt, nicht eben ideal für eine gesunde Schwangerschaft. Zudem waren ihre finanziellen Verhältnisse sehr angespannt; schliesslich entschied sie sich für eine Abtreibung.

«Der Entscheid für die Abtreibung war sehr schwierig, mein Mann und ich hätten das Kind gern gehabt. Aber es war einfach nicht machbar», erklärt Bettina im Gespräch mit swissinfo.ch.

Frauen, die nicht sicher sind, ob sie mit einem Kind klar kommen würden, oder sich ein Kind leisten könnten, können mit der Sozialarbeiterin Sandra Schertenleib sprechen. Diese kann ihnen mit weiteren Informationen helfen, eine fundierte Entscheidung zu treffen.

«Sie sind oft nicht informiert über all die Möglichkeiten, die ihnen offen stehen. Meine Aufgabe ist es, ihnen diese aufzuzeigen. Ich kann einer Frau oft dabei helfen, das nötige Vertrauen zu finden, das sie in einer scheinbar ausweglosen Situation braucht. Die Frau selber entscheidet letztlich über die für sie passende Lösung», sagt Schertenleib gegenüber swissinfo.ch.

Wenn eine Frau erklärt, sie habe kein oder nur ein sehr kleines Einkommen, könnte Schertenleib zum Beispiel vorschlagen, dass sich die Frau über mögliche Sozialhilfeleistungen informiert. Oder wenn es um die Frage der Kinderbetreuung geht, gibt sie Ratschläge, wo die künftige Mutter Unterstützung finden könnte, wie etwa in Wohngruppen für junge Mütter.

«Es sind aber nicht nur junge Frauen, die Probleme haben. Es können auch ältere Frauen sein, die schon ein Kind oder zwei haben, oder eine neue Stelle, und die nicht sicher sind, wie sie ihr Leben mit einem weiteren Kind meistern würden», sagt Schertenleib.

Sie verweist darauf, dass es auch in der Schweiz viele Leute gebe, die in angespannten finanziellen Verhältnissen lebten. «Ein Kind kann eine Person an oder unter die Armutsgrenze bringen. Die Frage stellt sich daher, wie diese Situation zu meistern ist.»

Bettina ist dankbar für die Betreuung, die sie von der Klinik erhielt. «Sie behandelten mich mit Respekt und nahmen meine Sorgen ernst. Sie waren sehr freundlich zu mir», erinnert sie sich.

Im Auge behalten

Wenn eine Frau sich für einen Schwangerschaftsabbruch entscheidet –etwa 80% der Fälle in der Frauenklinik Bern – kann das Spital den Eingriff organisieren.

«Es ist nicht, dass so viele der Frauen sich aufgrund unserer Beratung für einen Abbruch entscheiden, sondern dass viele bereits mit dem Wunsch nach einer Abtreibung zu uns kommen», erläutert Lütjens diese Zahlen.

Die Klinik legt auch Termine für Nachkontrollen fest, um zu sehen, wie es jeder Frau nach der Abtreibung geht, körperlich und psychisch.

«Beim ersten Termin müssen die Frauen sehr viele Informationen aufnehmen. Wir sprechen über den Entscheid, medizinische Fragen, Verhütung, Termine, Partnerschaften. Es ist einfach wirklich sehr viel, und daher ist es wichtig, einen Monat später nochmals vorbeizukommen», sagt Lütjens.

Verhütung ist ein Hauptaspekt des Gesprächs beim Folgetermin, um sicherzustellen, dass die Frauen eine zuverlässige Verhütungsmethode finden, die ihnen passt, und die idealerweise dafür sorgt, dass sie nie mehr mit einer ungeplanten Schwangerschaft konfrontiert werden.

swissinfo.ch

Kein Bedauern

Eine Frau, die sich dafür eingesetzt hat, dass Schwangerschaftsabbrüche von der obligatorischen Krankenversicherung bezahlt werden, und die jetzt auch dagegen kämpft, dass diese Finanzierung wieder gestrichen wird, ist die 71 Jahre alte Anne-Marie Rey, die in einem Vorort von Bern lebt.

«Meine Empfängnisverhütung hatte versagt, ich wollte aber zu dem Zeitpunkt in meinem Leben damals absolut kein Kind haben. Ich war etwa sechs Wochen schwanger», erinnert sich Rey, die vor rund 50 Jahren, als dies in der Schweiz noch illegal war, eine Abtreibung hatte.

«Ich habe es nie bereut und hatte in dem Zusammenhang nie Probleme, weder körperlich noch psychologisch. Ich war sehr glücklich, dass ich die Abtreibung machen konnte», erklärt Rey im Gespräch mit swissinfo.ch. Nach ihrer Ausbildung zur Tanzlehrerin hatten Rey und ihr Ehemann später drei Kinder.

Rey, die ein Buch über ihre Erfahrungen geschrieben hat, führt heute auch eine Website, auf der die Geschichten anderer Frauen publiziert werden, die vor der schwierigen Frage eines Schwangerschaftsabbruchs standen.

Hoffen auf ein «Nein»

Mit der Initiative, die zur Abstimmung kommt, würde die Abtreibung legal bleiben, die Finanzierung wäre aber in Zukunft Privatsache.

«Ich hätte zu dem Zeitpunkt nicht für die Abtreibung zahlen können, das Kind also wohl gekriegt», sagt Bettina.

Obschon die Kosten für einen Schwangerschaftsabbruch bedeutend geringer sind, als jene, ein Kind gross zu ziehen, könne eine Abtreibung eine bedeutende finanzielle Belastung sein, erklärt die Sozialarbeiterin Schertenleib. Und fügt hinzu, dass die Sozialhilfe wahrscheinlich nicht für die Kosten eines solchen einmaligen Eingriffs aufkommen würde.

Sie denkt, dass es nicht weniger Abtreibungen geben würde, wenn die obligatorische Krankenversicherung den Eingriff nicht mehr bezahlen würde. Es würde eher «dazu führen, dass vermehrt Abtreibungen unter schwierigen Umständen erfolgen würden».

Lütjens stimmt zu: «Wird die Initiative angenommen, wird es für Frauen, die sich schon in einer schwierigen Lage befinden, noch schwieriger.» Sie befürchtet, dass Frauen, die sich eine Abtreibung nicht leisten können, sich nach gefährlichen Alternativen umschauen würden – wie nicht zugelassene Medikamente oder Instrumente.

Oder Frauen könnten zu lange warten, während sie versuchten, das Geld für den Eingriff zu sparen. Heute finden etwa 75% der Schwangerschaftsabbrüche in der Schweiz vor der achten Woche statt.

Die ehemalige christdemokratische Nationalrätin und Co-Präsidentin des Initiativkomitees, Elvira Bader, argumentiert, private Versicherungsprämien seien nicht so hoch, dass die Leute sich diese nicht leisten könnten. Zudem seien die Kosten einer Abtreibung nicht so hoch, dass dies «zu Armut führt», sagt Bader.

Unterstützer der Initiative verweisen auch auf Studien in den USA, die gezeigt hätten, dass der Umgang mit Sexualität bewusster und verantwortungsvoller erfolge, wenn Abtreibungen selber finanziert werden müssten.

 

* Name der Redaktion bekannt

(Übertragung aus dem Englischen: Rita Emch)

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