Afrika – Markt der Zukunft?
Afrika ist der Markt der Zukunft – so Novartis-CEO Joseph Jimenez kürzlich in einem Referat zum Thema "Globaler Handel und Innovation". Diese Aussage wird durch den jüngsten "African Economic Outlook 2014" Bericht vom OECD Development Centre (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung), der African Development Bank AfDB und dem UNDP (UNO-Entwicklungsprogramm) in vielfacher Hinsicht gestützt.
Im vergangenen Jahr wuchsen die Volkswirtschaften der 54 afrikanischen Staaten im Durchschnitt um vier Prozent, gegenüber einem Weltwirtschaftswachstum von drei Prozent. Die Vorhersagen für 2014 und 2015 weisen auf eine weitere Steigerung des Wirtschaftswachstums in Afrika. Der Anteil an nicht-afrikanischen Direktinvestitionen nimmt dabei gegenüber der Entwicklungshilfe stetig zu und demonstriert die zunehmende Attraktivität des Kontinents für Investoren. Gleichzeitig stammen diese Mittel heute mehrheitlich aus Wachstumsmärkten wie China und Indien und weniger, wie noch vor Kurzem, aus der OECD. Seit Jahren nimmt die Armut in Afrika ab.
Trotz dieser positiven Entwicklungen dominieren in der öffentlichen Debatte immer wiederkehrende Argumente, weshalb es um den südlichen Nachbarn Europas schlecht bestellt sei: Korruption, Kriminalität, mangelnde Infrastruktur, schwerfällige Staatsapparate, kriegerische Konflikten, mangelnder Schutzes für Minoritäten, ökologischer Raubbaus und vieles mehr.
Es gibt in afrikanischen Ländern teils schnelleres Internet für unterwegs und ausgefeiltere Smartphone-Services als in Europa. Der «vergessene» Kontinent überholt die industrialisierte Welt. Chris Watts
Der plakativen Aussage «Afrika geht es schlecht» muss man deshalb klar entgegen halten, dass noch nie ein so grosser Anteil der Bevölkerung zwischen Kairo und dem Kap Zugang zu Trinkwasser, Bildung und ärztlicher Versorgung hatte wie heute. Gleichzeitig gehört es zu den Wahrheiten, dass angesichts des Bevölkerungswachstums und der damit einhergehenden unkontrollierbaren Verstädterung real gemessen noch nie so viele Menschen in Afrika unter erbärmlichen Umständen leben mussten.
Um die Realität in Afrika in all ihrer Widersprüchlichkeit zu verstehen, brauchen wir vor allem eine differenziertere Sicht. 54 Staaten lassen sich nicht über einen Leisten schlagen. Zwischen Tunesien und Botswana liegen nicht nur mehrere tausend Kilometer Wüste, Steppe und Dschungel, sondern vor allem kulturelle, historische, sprachliche, politische und wirtschaftliche Unterschiede, die einen sinnvollen Vergleich der beiden Länder erschweren, wenn nicht sogar verunmöglichen. Um wichtige neue Entwicklungen in einzelnen Ländern nicht zu übersehen, sollten wir in unserer Debatte um die afrikanische Wirtschaft und Gesellschaft den lokalen Unternehmern mehr Gehör schenken.
Chris Watts ist Regionaldirektor Amerika, Afrika, Arabien bei Switzerland Global Enterprise.
Die Agentur des Bundes zur Förderung des Wirtschaftsstandortes Schweiz hiess vormals Osec.
Verbrachte man jüngst zum Beispiel etwas Zeit auf dem Forum für afrikanische CEOs in Genf, organisiert vom engagierten Beratungsunternehmen Rainbow Unlimited und dem französischen Medienhaus Jeune Afrique, so erfuhr man von vielen der afrikanischen Führungskräfte, dass eine wachsende Zahl afrikanischer Regierungen inzwischen auf «Good Governance» setze. Diese Erkenntnis entspringt meist weniger hehren als utilitaristischen Motiven und führte in Staaten wie Rwanda, Ghana, Mauritius oder auch der Elfenbeinküste dazu, dass Rahmenbedingungen zum Aufbau einer Firma markant verbessert wurden. Rwanda hält beispielsweise Platz 32 in der Rangliste «ease of doing business» der Weltbank. Die Schweiz notabene liegt auf Platz 29.
Ein weiteres Phänomen, von dem Unternehmer des Kontinents berichten, ist der zunehmende Einbezug des informellen Sektors in die Wirtschaft vieler afrikanischer Länder. Damit steigen die Chancen der Firmen, über Finanzierungen zu wachsen und so ihren Teil zur Schaffung von Jobs zu leisten. Die afrikanische Wirtschaft gerät immer stärker zum eigentlichen «Change Agent» in den sich rasch verändernden Gesellschaften. So sehen viele mittlerweile das Unternehmertum als attraktiveres Berufsbild, wo früher gut bezahlte Regierungsstellen als erstrebenswert galten.
Doch wir können nicht nur von afrikanischen Unternehmern Differenziertes darüber lernen, wie es um ihren Kontinent bestellt ist. Viele Schweizer kleine und mittlere Unternehmen sind aktiv auf dem Kontinent. Firmengründerin Anat Bar-Gera und ihr Mann Dov hatten ursprünglich nie an Afrika als Markt für ihr Unternehmen gedacht. Der Durchbruch gelang denn auch erst nach anfänglichen Schwierigkeiten. Mittlerweile setzen sie aber mit YooMee, ihrem Telekomunternehmen mit Sitz in Küsnacht, in immer mehr westafrikanischen Märkten einen neuen Standard im mobilen Internetzugang, nachdem sie 2011 in Kamerun mit dem Aufbau des ersten 4G-Netzes begonnen hatten.
swissinfo.ch öffnet seine Spalten für ausgewählte Gastbeiträge. Wir werden regelmässig Texte von Experten, Entscheidungsträgern und Beobachtern publizieren. Ziel ist es, eigenständige Standpunkte zu Schweizer Themen oder zu Themen, die die Schweiz interessieren, zu publizieren und so zu einer lebendigen Debatte beizutragen.
swissinfo.ch
YooMee profitiert von den sich verbessernden Rahmenbedingungen vieler Länder und erkennt lokale Bedürfnisse an. So benützen über 90 Prozent aller Mobile-Kunden Prepaid-Karten, die an Tankstellen und kleinen Kiosken verkauft werden. Dies führt zu einer niedrigeren Kundenloyalität wie auch einer tieferen Eintrittsschwelle in die Welt der Mobile-Technologie als bei Abonnementen. YooMee fokussierte daher auf die rasch wachsende junge Generation, indem sie Studenten und Schülern besonders günstige Tarife anbot. Diese Zielgruppe reagierte zudem sehr positiv auf ein wachsendes Angebot an Online-Bildung, das dank 4G attraktiv verbreitet werden kann.
Experten rechnen bis Ende des Jahrzehnts mit insgesamt 930 Mio. Mobile-Nutzern auf dem afrikanischen Kontinent. Die grosse Mehrheit setzt direkt auf das mobile Internet und überspringt den PC aufgrund mangelnder Angebote und zu hoher Kosten. So gibt es in afrikanischen Ländern teils schnelleres Internet für unterwegs und ausgefeiltere Smartphone-Services als in Europa. Der «vergessene» Kontinent überholt die industrialisierte Welt. Nicht nur in dieser Branche sind die Zeiten somit längst vorbei, in denen westliche Firmen in Afrika veraltete Produkte zu überhöhten Preisen mit grosser Marge verkaufen konnten.
Wenn es also noch immer Licht und Schatten gibt: Verwerfen dürfen wir getrost das Bild eines ganzen Kontinents, der den Anschluss verloren hat. Wer diese differenzierte Sicht berücksichtigt und mit einem auf lokale Bedürfnisse und Verhältnisse angepassten Angebot in Afrika startet, kann hingegen auch als KMU mit durchaus nachhaltigem Erfolg belohnt werden. Ob der afrikanische Markt der Markt der Zukunft sein wird, kann heute noch nicht beurteilt werden, dass er aber Zukunft hat, ist mittlerweile unbestritten.
Dieser Text ist zum ersten Mal in der NZZ vom 1. Oktober 2014 erschienen.
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch