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Amerika-Schweizer wählen ohne Begeisterung

AFP

Trotz monatelanger Kampagnen, die hunderte Millionen Dollar kosteten, sorgen weder Barack Obama noch Mitt Romney für Begeisterungsstürme unter ihrer Wählerschaft. Nicht anders ist die Stimmung bei Amerika-Schweizern, die swissinfo.ch befragt hat.

Pennsylvania war lange Zeit dem amtierenden Präsidenten verbunden. Seit dem Sieg Mitt Romneys in der ersten Fernseh-Debatte sind die Meinungen geteilt. Annemarie Frick aus Pittsburgh, im Westen dieses Staates, wählt wie 2008 für Barack Obama. Obwohl sie sich sehr für Politik interessiert, hält sich ihre Unterstützung für den Chef des Weissen Hauses in Grenzen.

«Wie viele Leute, die Obama gewählt haben, bin ich ein wenig enttäuscht. Aber ich weiss, dass der Präsident nicht viel ändern kann, solange die Republikaner alle seine Ideen abblocken. Es ist enttäuschend, dass er nicht vermehrt mit der anderen Seite zusammen gearbeitet hat. Er hatte während seiner ersten beiden Jahre eine Mehrheit im Kongress. Aber manchmal unterstützte ihn nicht einmal die eigene Partei», sagt die Sprachlehrerin mit St. Galler Wurzeln.

Die Wirtschaftskrise, die seit 2007 herrscht und zu Entlassungen, Immobilien-Pfändungen, öffentlichen und privaten Verschuldungen geführt hat, beschäftigt die Wähler am meisten.

Zuerst die Wirtschaft

Das gilt auch für eine Stadt wie Pittsburgh, die davon weitgehend verschont geblieben ist: «Die Wirtschaft ist für mich und die meisten Leute, die ich kenne, die grösste Sorge», sagt Annemarie Frick.

Florida ist der gewichtigste unter den unentschiedenen Staaten, den so genannten Swing-States. In Boca Raton, wo die letzte Fernseh-Debatte ausgetragen wurde, gebe es grosse Arbeitslosigkeit und viele Pfändungen, sagt Rolf Marti, der für Mitt Romney stimmt. Als Rentner sorgt er sich vor allem um die öffentliche Verschuldung, die mehr als 16 Billionen Dollar erreicht hat.

«Alle zeigen mit dem Finger auf Bush. Aber Obama ist seit vier Jahren Präsident, und er hatte während zweier Jahre die Mehrheit im Senat und Kongress. Obama ist nur Präsident geworden, weil er schwarz und ein guter Redner ist und einen Teleprompter hat», sagt der gebürtige Zürcher, der mit einer Amerikanerin verheiratet ist, die aus Kolumbien stammt.

In der Familie Stettler aus Nevada, wo die Arbeitslosigkeit am höchsten ist, sind die Meinungen noch geteilt. Kurt Stettler lebt mit seiner Tochter aus gesundheitlichen und finanziellen Gründen in Sparks. Für ihn ist Barack Obama nicht genügend qualifiziert, «weil er nie im Privatsektor gearbeitet hat.»

Der Schweizer aus Eggiswil wählt Romney, um die Wiederwahl des amtierenden Präsidenten zu verhindern. «Ich billige nicht alle Geschäftstätigkeiten von Romney, aber er wäre besser als Obama, und ich möchte nicht nochmals 4 Jahre mit Obama erleben.»

Seine Tochter wird für Barack Obama stimmen, aber mit weniger Enthusiasmus als 2008. Annette Stettler hat beinahe ihren Job in der öffentlichen Verwaltung von Nevada verloren, und ihr Lohn wurde gekürzt. Dafür macht sie aber nicht den Präsidenten verantwortlich. Sie glaubt, dass Obama den Schlamassel von seinem Vorgänger «geerbt hat» und «dass er den Leuten hilft, die in Schwierigkeiten geraten sind».

Aber sie sei von Obamas Bilanz enttäuscht und habe «genug von der Politik». Warum wählt sie trotzdem? «Weil ich nicht will, dass Romney gewinnt. Er hat keine Ahnung, was es heisst, zur Mittelschicht zu gehören», sagt sie.

Mit mehr Überzeugung unterstützt Chantal Aeschbach-Powell den amtierenden Präsidenten. Die gebürtige Genferin leitet in Winchester im Staat Virginia eine Filiale einer Schweizer Firma.

«Ich bin von Obama nicht enttäuscht. Einerseits kann man in nur 4 Jahren nicht sehr viel verändern. Zweitens konnte man angesichts des Erbes, das er von Bush übernommen hat, keine Wunder erwarten.»

Sie kenne viele Leute, die eine Arbeit suchten, sagt die Mutter dreier Kinder. Beunruhigt sei sie vor allem wegen der «Unfähigkeit der politischen Klasse, zum Wohl des Landes zu handeln». «Wir bringen unseren Kindern bei, dass sie zusammen arbeiten sollen. Aber die Politiker vergessen diese einfachste Regel», sagt Chantal Aeschbach-Powell. Barack Obama «hätte ein wenig enger mit der andern Seite zusammenarbeiten können».

Die Alternative zu Obama ist aber in ihren Augen nicht akzeptabel. «Ich finde Romney weder ehrlich noch vertrauenswürdig. Als Frau stimme ich auf gar keinen Fall für ihn wegen Paul Ryan, dessen Ansichten zum Teil extrem sind.»

Ganz anders sieht es Tony Zgraggen, Geschäftsmann aus Wisconsin, dem Geburtsstaat von Romneys Mitbewerber. «Paul Ryan ist nicht Extremist. Ich unterstütze seinen Plan zur Defizit- und Schulden-Reduktion», sagt der aus Erstfeld emigrierte Zgraggen.

Budget-Krise

Die Budgetkrise beunruhigt hauptsächlich Wähler, die sich von keiner der beiden grossen Parteien vertreten fühlen. Tony Zgraggen ist einer dieser «Unabhängigen». Sie pendeln zwischen Demokraten und Republikanern hin und her. Aber diesmal werde er für die Republikaner stimmen. Eine Straf-Wahl.

«2008 hatte ich für Obama gestimmt. Aber er hat zu viel Geld für die Sozialhilfe ausgegeben. Er glaubt, dass all jene, die hart arbeiten, reich seien. Er hat keine Stellen geschaffen. Er versteht die Wirtschaft nicht, und das Land entwickelt sich in die falsche Richtung», wettert der 58-Jährige.

Obwohl er Vizepräsident der republikanischen Partei in seinem Distrikt von North Carolina ist, verspüre er kein inneres Feuer, gesteht Hans Moser. «Ich bin vom Ticket nicht begeistert», sagt er.

Die Vorbehalte des Evangelisten gegenüber dem von seiner Partei präsentierten Tandem basieren nicht auf Romneys Mitgliedschaft bei den Mormonen. «Die Mormonen sind nicht Christen wie die andern. Sie haben ihr eigenes Christentum erfunden. Natürlich ist das ärgerlich, aber nicht das Entscheidende, weil Mitt Romney unsere Ideale vertritt: Er akzeptiert Gott als Allmächtigen, auch was Abtreibungen betrifft», sagt der Berner mit Doppelbürgerschaft.

«Was mich an Romney stört, ist, dass er bei verschiedenen Dossiers mehrmals die Meinung geändert hat», sagt Hans Moser. Dass er ihn dennoch unterstütz, hat zwei Gründe: «Ich habe keine andere Wahl. Und Israel ist für uns Evangelisten sehr wichtig. Israel und wir sind der Meinung, dass Romney der bessere Kandidat ist.»

Laut verschiedenen Umfragen kurz vor der US-Präsidentenwahl liegen die beiden Kandidaten praktisch gleichauf. In den so genannten Swing-States Ohio, Virginia, Colorado führt Amtsinhaber Barack Obama mit einem winzigen Vorsprung vor seinem Rivalen, dem Republikaner Mitt Romney. In North Carolina und Florida liegt eher Romney vorne. Gesprochen wird von einer «Zentimeter-Entscheidung».

Gemäss unterschiedlichen Umfragen dürfte der Hurrikan «Sandy» Obama einen leichten Vorsprung eingeräumt haben, hatte er doch auch von Republikanern Lob für sein Krisenmanagement erhalten.

Ob die Wahlen auch in den am schwersten betroffenen Gebieten reibungslos verlaufen werden, wird sich zeigen. Sowohl in New Jersey als auch in New York zeigten sich Vertreter der Wahlbehörde vorsichtig zuversichtlich, dass es zu keinen grösseren Problemen kommen werde.

Allerdings war unklar, inwieweit sich die anhaltenden Stromausfälle und die Zerstörungen auf die Beteiligung an den Wahlen auswirken werden. In New York City müssen nach Angaben der Behörden 59 der 1256 Wahllokale verlegt oder geschlossen werden.

In den USA leben rund 1,2 Millionen Amerika-Schweizer und Amerikaner mit Schweizer Wurzeln.

Von den Ende 2007 fast 74’000 in den USA registrierten Schweizern sind mehr als 55’000 Doppelbürger.

Geschätzte 6 Millionen Amerikaner leben ausserhalb der USA in 160 verschiedenen Ländern. 30’000 sind in der Schweiz registriert.

(Übertragung auf deutsch: Peter Siegenthaler)

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