US-Wahlen: «Uns trennt weniger, als uns bewusst ist»
Einen Monat vor den Präsidentschaftswahlen in den Vereinigten Staaten sprechen zwei Amerikaner in der Schweiz über die Politik in den USA und welche Rolle ihr Heimatland in der Welt spielen soll.
Jennifer Rodney zog vor 16 Jahren für eine Stelle bei der UBS in die Schweiz. Sie lernte ihren Schweizer Mann kennen, heiratete und lebt nun in Zürich, wo sie für eine kleine gemeinnützige Organisation arbeitet.
Sie stammt ursprünglich aus Connecticut, ist Doppelbürgerin von Liechtenstein und den Vereinigten Staaten und spricht ein «unvollkommenes Schweizerdeutsch», wie sie selber sagt. Jennifer ist Vorstandsmitglied der politischen Interessenvertretung Action Together: ZürichExterner Link.
(Hier geht es zum Gespräch mit James Foley, einem Mitglied der «Republicans Overseas», der in Genf lebt und arbeitet:)
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swissinfo.ch: Wenn die Leute in der Schweiz erfahren, dass Sie Amerikanerin sind, was sagen oder fragen sie als Erstes?
Jennifer Rodney: Manche haben ein kleines Zucken im Gesicht, in Sinn von: «Oooh, sorry.» Und manche haben ein Funkeln in den Augen, als ob sie es lustig fänden. À la: «Wie schade.»
War Ihre Familie politisch aktiv?
Meine Grossmutter – die Mutter meines Vaters – war eine überzeugte Verfechterin des Wahlrechts. Mir wurde also von klein auf eingetrichtert, dass man bei Präsidentschaftswahlen wählt. Sie arbeitete immer an den Urnen. Aber das war alles. Wir hatten keine starke Zugehörigkeit zu einer der beiden Parteien.
Gehören Sie jetzt einer politischen Partei in den USA an?
Nein, ich bin unabhängige Wählerin.
Wo waren Sie in der Nacht der letzten US-Präsidentschaftswahlen? Woran erinnern Sie sich?
Meine Mutter war zu Besuch aus den Staaten und so sahen wir uns die Wahlergebnisse gemeinsam an, bevor wir ins Bett gingen. Als wir am nächsten Morgen aufwachten, erwarteten wir etwas ganz anderes. Als wir schlafen gingen dachten wir: «Das wird ein guter Tag sein, um aufzuwachen und gemeinsam zu feiern». Doch es kam anders.
Sie haben mit einem Sieg von Hillary Clinton gerechnet?
Das habe ich natürlich gehofft.
Mit einem Wort: Wie würden Sie Ihre Reaktion auf die Wahl von Donald Trump beschreiben?
«Furcht», vielleicht? Ich versuche, ein Wort irgendwo zwischen «Bestürzung» und «Entsetzen» zu finden.
Wann und warum sind Sie politisch aktiv geworden?
Später am Morgen nach der Wahl ging ich mit meinem kleinen Sohn in den Eltern-Kind-Musikunterricht. Die amerikanischen Mütter dort hatten alle den gleichen verblüfften Gesichtsausdruck. Einige hatten sogar Tränen in den Augen – wortwörtlich. Eine der Mütter organisierte später ein Treffen, das zur Gründung von Action Together in Zürich führte. Ich trat dem Vorstand im Frühjahr 2017 bei.
Dringende Probleme
Sind Sie mit den Veränderungen, die in den USA in den letzten vier Jahren stattgefunden haben, zufrieden?
Nein! Die Rhetorik hat sich so weit von dem entfernt, wofür Amerika während meiner Jugend stand. Ich glaube, dass dieses Amerika noch immer existiert. Aber mit all dem, was die momentane Regierung macht und sagt, ist es schwierig, es zu erkennen.
Welche Themen sind für Sie als Wählerin besonders wichtig?
Das dringendste Thema ist im Moment natürlich die Pandemie. Ich weiss, dass kein Land eine klare Ausstiegsstrategie hat. Aber hier in der Schweiz – die anfangs eines der am härtesten betroffenen Länder war – kann ich im Moment ziemlich normal leben. In den USA sieht das ganz anders aus. Die Pandemie muss mit einer soliden, wissenschaftlich gestützten Politik angegangen werden.
Zweitens muss der systemische Rassismus in den USA angegangen werden. Und zwar nicht nur mit Worten, sondern mit konkreten Massnahmen, die unter Anleitung und mit dem Input der betroffenen Gemeinschaften festgelegt werden.
Und drittens die Klimakrise: Sie steht momentan noch irgendwie im Hintergrund des Nachrichtengeschehens, aber sie zeichnet sich am Horizont ab. Und die Zeit, sie anzugehen, wird knapp.
Das sind für mich die dringendsten Probleme – aber es gibt noch viele andere.
Wie informieren Sie sich?
Meine tägliche Pflichtlektüre sind die «Briefe einer Amerikanerin» von Heather Cox Richardson. Sie ist Historikerin und verschickt täglich einen fantastischen Essay, der eine Zusammenfassung der Ereignisse des Tages im historischen Kontext darstellt. Sie weist auf die wichtigsten Punkte hin und fasst sie unaufgeregt zusammen, immer in einem grösseren Zusammenhang. Ich verfolge auch die BBC, um eine internationale Perspektive zu erhalten. So wie auch die Radiosendungen der NPR.
In den sozialen Medien bin ich am aktivsten auf Facebook, weil dort unsere Ideen für gemeinsame Aktionen entstehen.
Parteipolitik ohne Grenzen?
Worin sehen Sie die Hauptunterschiede zwischen der amerikanischen und der Schweizer Politik?
Ich liebe es, dass es hier kein Zwei-Parteien-System gibt. Ich denke, es liegt in der Natur der Sache, dass mehr Parteien mehr Stabilität schaffen. Und das schätze ich wirklich an der Schweizer Demokratie.
Ich finde es auch toll, dass alle Stimmberechtigten ein kleines Paket mit neutralen Informationen über die Abstimmungsthemen erhalten. Ich denke, dass die Schweizer die Teilnahme am demokratischen Prozess so einfach wie möglich gestalten.
Was sind Ihrer Meinung nach die Hauptunterschiede zwischen den beiden grossen US-Parteien, den Republikanern und den Demokraten?
Ich denke uns trennt weniger, als uns bewusst ist. Es ist einfach, die andere Seite zu verteufeln. Aber letzten Endes wollen wir alle eine stabile Wirtschaft, wir alle wollen gute Schulen und Möglichkeiten für unsere Kinder, wir alle wollen einen sicheren, nachhaltigen Ort zum Leben. Es gibt so viel mehr, was wir gemeinsam haben, als uns heutzutage gewöhnlich bewusst ist. Für mich ist es wichtig, das im Hinterkopf zu haben und nach diesen Gemeinsamkeiten zu suchen. Wenn man Gemeinsamkeiten findet, dann kann man anfangen, zusammenzuarbeiten.
Was glauben Sie, welche Rolle die USA heute in der Welt spielt?
Offensichtlich verändert sich die Welt, und wir wissen nicht, wohin es geht. Mit China, mit Russland, mit der EU ändern sich die Dinge so schnell. Aber ich denke, dass die Vereinigten Staaten vielleicht nicht «der», sondern «ein» Hauptakteur auf der Weltbühne sind. Und wir können diese Rolle entweder in Zusammenarbeit mit unseren Verbündeten spielen – oder nicht. Ich glaube, dass wir bei den weltweiten Krisen und Problemen immer noch eine wichtige Rolle spielen müssen, sei es nun bei der Bekämpfung von Covid-19 oder der Klimakrise, beim Thema Einwanderung oder den Flüchtlingskrisen. Es gibt viele Dinge, die von einem koordinierten globalen Vorgehen profitieren würden. Wir müssen unbedingt eine Rolle spielen.
Action Together: ZurichExterner Link ist eine Organisation, die sich aus mehreren hundert Aktivisten, meist Amerikanerinnen und Amerikanern, zusammensetzt. Laut Rodney hat die Gruppe kein Budget, sammelt weder Mitgliedsbeiträge noch nimmt sie Spenden entgegen. Ihr Ziel ist es, vom Ausland aus Einfluss auf politische Themen in den USA zu nehmen. Ihre gegenwärtige internationale Kampagne, #passthevote, soll im Ausland lebende US-Bürger ermutigen, an der bevorstehenden Wahl teilzunehmen.
Es gibt zwischen 2,9 und 6,5 Millionen wahlberechtigte Amerikanerinnen und Amerikaner, die im Ausland leben. Je nach Quelle haben zwischen 7% und 25% von ihnen an der letzten Präsidentschaftswahl teilgenommen. US-Bürger, die sich aus dem Ausland zur Stimmabgabe registrieren lassen möchten, können die Richtlinien ihres Bundesstaates einsehen und einen Stimmzettel auf votefromabroad.orgExterner Link anfordern. Aufgrund der diesjährigen Herausforderungen mit dem US-Postdienst ermutigen die Bundesstaaten die Wähler, so früh wie möglich einen Stimmzettel zu beantragen.
Wahlhilfen
Vote From AbroadExterner Link: Eine unparteiische Abstimmungsplattform
Federal Voting Assistance ProgramExterner Link: Die Regierungsseite für Wählerregistrierung und Stimmzettel
American Citizens AbroadExterner Link: Eine Mitgliederorganisation, die Informationen und Lobbying anbietet
Republicans OverseasExterner Link: Eine Mitgliederorganisation für Republikaner
Democrats AbroadExterner Link: Eine Mitgliederorganisation für Demokraten
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