«Arbeitszwang» für junge Arbeitslose
Jobs unterhalb des Ausbildungsgrades, weitere Arbeitswege, Kürzung der Taggelder: Dies hat der Nationalrat im Kampf gegen Jugendarbeitslosigkeit beschlossen. Der Gewerkschaftsbund kritisiert die Massnahmen als "Entwertung der Berufsbildung".
Gegen Jugend- und Langzeitarbeitslosigkeit: Dies war die Losung am ersten so genannten Tag der Beschäftigung von Ende August in Neuenburg. Dieser war von Doris Leuthard initiiert worden. Die Wirtschaftsministerin konnte dabei auf die Unterstützung sowohl der Arbeitgeber- als auch der Arbeitnehmerseite zählen.
Heute, ein Vierteljahr später, ist von der Minne von Neuenburg nicht mehr viel zu spüren. Auslöser ist die Teilrevision des Arbeitslosenversicherungs-Gesetzes, die nach dem Stände- auch der Nationalrat angenommen hat.
Mit der Abschwächung der «Zumutbarkeit» für die Unter-30-Jährigen sollen junge Arbeitslose dazu gebracht werden, einen Job auch dann anzunehmen, wenn dieser nichts mit ihrer Ausbildung und ihren Berufserfahrungen zu tun hat.
Qualitative und quantitative Flexibilisierung
Die Zumutbarkeit wird aber nicht nur bezüglich Qualität, sondern auch hinsichtlich des Arbeitsweges flexibilisiert. So müssen junge Stellensuchende neu eine Arbeit auch dann annehmen, wenn die Reise an den Arbeitsort zwei Stunden dauert.
Dazu kommen Kürzungen der Arbeitslosentaggelder von bis zu einem Drittel: Unter-25-Jährige sollen neu noch 130 statt 400 Tage unterstützt werden, 25- bis 29-Jährige können noch 260 Taggelder beziehen.
Die geplanten Massnahmen weckten den Protest der Jugendlichen: Rund 100 von ihnen empfingen in der ersten Sessionswoche vor dem Bundeshaus die Parlamentarierinnen und Parlamentarier, um diese in Gesprächen auf die möglichen Folgen des Vorhabens aufmerksam zu machen.
Absage an die Bildungsmaxime
«Die Berufsbildung derart zu entwerten, ist nicht zu verantworten, ja ein Skandal», sagt Jean Christophe Schwaab, Zentralsekretär des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB).
«Man sagt den Jugendlichen ständig, dass sie eine Berufslehre oder eine Weiterbildung absolvieren sollen. Mit seinen Vorschlägen sabotiert der Nationalrates aber alle Förderungsmassnahmen in der Berufsbildung», so der Gewerkschafter gegenüber swissinfo.ch.» Auch stünde die Teilrevision im Widerspruch zur Maxime, wonach Bildung eine der wichtigsten Ressourcen der Schweiz darstelle.
Weitere Vorwürfe: Die Flexibilisierung der Zumutbarkeits-Kriterien komme praktisch der Schaffung eines Arbeitsdienstes gleich, der zudem Lohndumping institutionalisiere. «Das ist auch nicht verantwortungsvoll», sagt Jean Christophe Schwaab mit Verweis auf die Personenfreizügigkeit.
Auch an der geplanten Kürzung der Taggelder lässt der SGB-Zentralsekretär kein gutes Haar. «Junge Menschen noch dafür zu bestrafen, dass sie stärker von Arbeitslosigkeit betroffen sind als die älteren auf dem Arbeitsmarkt, macht keinen Sinn.»
Grundausbildung nachholen
Die Vorstellungen der Gewerkschaft zielen in eine andere Richtung. Junge Menschen mit Ausbildungslücken sollen im Rahmen der Arbeitslosenversicherung die Möglichkeit erhalten, eine vertiefende Grundausbildung absolvieren zu können. Dadurch könnten sie ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt verbessern, postuliert Schwaab.
Renat Künzi, swissinfo.ch
Die Arbeitslosenquote erreichte im Oktober mit 4,0% den höchsten Stand seit über viereinhalb Jahren; bei den Behörden waren 158’100 Personen ohne Stelle gemeldet.
Überdurchschnittlich betroffen sind junge Menschen: Bei den 20- bis 24-Jährigen lag die Quote bei 6,4%.
In dieser Altersgruppe waren 4730 Menschen weniger als ein Jahr ohne Arbeit. Knapp 1360 Junge waren länger als ein Jahr auf Stellensuche.
Generell sind die Jungen aber schneller wieder in den Arbeitsmarkt integriert: Rund 70% finden laut Schweizerischem Gewerkschaftsbund innerhalb eines halben Jahres eine Stelle.
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