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Argentinien-Schweiz: Wie ist es, am selben Tag in zwei Ländern zu wählen?

Ein Plakat von Sergio Massa hängt an einer versprayten Wand in Barracas, Buenos Aires.
Ein Wahlplakat vom argentinischen Mitte-Links-Kandidaten Sergio Massa im eher ärmeren Barracas-Viertel von Buenos Aires. Rechts neben dem Kopf ist auf Spanisch die Formulierung "Abfall wegschmeissen" gesprayt. Copyright 2023 The Associated Press. All Rights Reserved.

Am 22. Oktober finden in Argentinien und der Schweiz nationale Wahlen statt. Fast alle Auslandschweizer:innen dort sind Doppelbürger:innen. Wie fühlt es sich an, in zwei so verschiedenen Demokratien zu wählen?

Die meisten Auslandschweizer:innen in Lateinamerika leben in Argentinien. Am 22. Oktober 2023 wählt Argentinien – am selben Tag wie die Schweiz.

Von den 15’000 Schweizer:innen, die in Argentinien leben, haben fast alle auch den argentinischen Pass: 95%. Dies ist der weltweit höchste Anteil Doppelbürger:innen in der Schweizer Diaspora.

Das heisst: Es werden einige Menschen ihre Stimme am selben Tag in beiden Ländern abgeben. Wie fühlt sich das an? SWI swissinfo.ch hat zwei Schweiz-Argentinierinnen gefragt.

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Alexia Berni lebt in Rosario, der drittgrössten Stadt Argentiniens. In Rosario kenne sie fast alle Schweizer:innen, es gebe ein Gemeinschaftsgefühl und regelmässige Treffen im Schweizer Verein, sagt sie. Unter den Schweizer:innen in Argentinien seien nur wenige Expats, sondern vor allem Doppelbürger:innen.

«Dass es in Argentinien so viele Schweizer:innen zweiter oder dritter Generation gibt, liegt auch daran, dass man den argentinischen Pass bekommt, wenn man hier geboren ist und den Schweizer Pass wegen den Eltern, also nach dem Abstammungsprinzip», erklärt Berni. Die Delegierte des Auslandschweizerrats ist Tochter eines Schweizer Auswanderers aus Graubünden.

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In Argentinien herrscht Wahlpflicht. Wer der Wahl ohne Grund fernbleibt, muss eine kleine Busse bezahlen und darf sich drei Jahre lang nicht für ein öffentliches Amt aufstellen lassen.

Alexia Berni am Auslandschweizer-Kongress
Alexia Berni am 98. Auslandschweizer-Kongress in Lugano zur Verfügung gestellt

Für das Wählen in der Schweiz muss Berni erst einige Hürden überwinden: «Die Beteiligung in der Schweiz fordert mehr. Um aus dem Ausland die politischen Rechte auszuüben, muss man sich vorher aktiv registrieren lassen, das Postporto zahlen – was für uns nicht billig ist – und dann gilt es zu hoffen.» 

Hoffen, dass das Wahlcouvert rechtzeitig ankommt. «Die grösste Sorge in diesen Wahlen ist die Frage, ob wir wählen können», sagt Berni. Manchmal klappe das Abstimmen in der Schweiz, manchmal nicht.

Berni hat bei den Behörden in der Schweiz nachgefragt. Ihr wurde mitgeteilt, dass die Gemeinden im Kanton Graubünden die Stimmunterlagen für die Auslandschweizer:innen eine Woche vor dem ordentlichen Versand verschicken.

Dass die Stimmunterlagen in Argentinien rechtzeitig ankommen, ist nicht selbstverständlich: Ein Auslandschweizer aus Córdoba hat gegenüber SWI swissinfo.ch sogar erklärt, er habe wegen verspäteten Wahlunterlagen noch nie in der Schweiz wählen können.

Wie Berni ist auch er überzeugt: E-Voting würde für die Schweizer Doppelbürger:innen und Expats in Argentinien viele Probleme lösen.

Richtungsweisende Wahlen in Argentinien


Die Doppelbürger:innen drücken also die Daumen, dass ihre Stimmen rechtzeitig in der Schweiz ankommen. Währenddessen tobt in Argentinien ein Wahlkampf, dessen Ausgang die Richtung des Landes stärker prägen wird als der Ausgang der Wahlen die Schweiz – wo es bereits als Wahlsieg gilt, wenn eine Partei ihr Ergebnis um einen Prozentpunkt verbessert.

Carolina Poma, Doppelbürger:in aus Córdoba und ebenfalls engagiert im Auslandschweizerrat, sagt: «In Argentinien wählen wir im Oktober einen neuen Präsidenten, in einem Rahmen grosser sozialer Spannungen. Die Armut nimmt täglich zu und die Politik ist eng verflochten mit der Wirtschaft, der Inflation und der Unsicherheit.»

Momentan ist offen, ob in Argentinien die Mitte-Links-Regierung unter dem bisherigen Wirtschaftsminister Sergio Massa als neuem Präsidenten fortgesetzt wird, es mit der Oppositionskandidatin Patricia Bullrich zu einer konservativen Wende kommt oder ob der Outsider-Kandidat Javier Milei regieren wird.

Patricia Bullrich im Zentrum einer Wahlkampfveranstaltung von Juntos por el Cambio
Die konservative Kandidatin Patricia Bullrich umringt von ihren politischen Mitstreiter:innen an einer Wahlkampfveranstaltung ihres Parteienbündnis «Juntos por el cambio», auf Deutsch: Gemeinsam für den Wandel. Copyright 2023 The Associated Press. All Rights Reserved

Poma, die «aus bürgerlicher Pflicht» in der Schweiz und in Argentinien wählt, weiss noch nicht, für wen sie sich entscheiden wird. Doch nach den Wahlen werde es schwierig für die neue Regierung. «Wer auch immer gewinnt, wird enorme Schwierigkeiten haben zu regieren», sagt Poma.

Diese argentinischen Wahlen erlangen international besondere Aufmerksamkeit, denn das Wahlbündnis von Milei gewann die Vorwahlen im August mit einem Anteil von 30% und erreichte in 16 von 24 Wahlbezirken die meisten Stimmen. Argentinische Medien schrieben am Tag nach den Wahlen vom «Tsunami MileiExterner Link«, der das Land erfasst hat.

Milei ist ein rechtslibertärer Ökonom, der für freie Liebe eintritt und gleichzeitig Abtreibungen wieder verbieten will. Er leugnet den menschgemachten Klimawandel und die Verbrechen der argentinischen Militärdiktatur von 1976 bis 1983. Womöglich kommt nach den Hauptwahlen am 22. Oktober ein weiterer Stichwahlgang – falls am 22. Oktober niemand mit einem grossen Vorsprung vorne liegt.

Javier Milei lässt sich feiern
Der «Tsunami» Javier Milei hat die Vorwahlen gewonnen. Der Ökonom bezeichnet sich als «Anarchokapitalist» und vertritt in manchen Fragen extreme Positionen. Copyright 2023 The Associated Press. All Rights Reserved

Berni sagt, Wahlkämpfe in Argentinien seien immer emotional. «Die Monate vor den Wahlen sind immer sehr angespannt, weil Argentinien stark polarisiert ist. Es gibt nur Schwarz oder Weiss, keine Grauzonen. Egal, wer gewählt wird: Weil dieses Mal drei Lager ähnlich gross sind, wird es am Ende eine Mehrheit aus Unzufriedenen geben.» 

Die Polarisierung sei schon stark, so lange sie denken kann. Momentan sei nur klar, dass am Ende ein grosser Teil der Bevölkerung unzufrieden sein wird.

Wählen in zwei Realitäten

Die Wahlen für Parlament und Regierung in Argentinien werden entscheiden, in welche politische Richtung Argentinien in den nächsten Jahren geht. In der Schweiz mit ihrer Konkordanzregierung ist schon vor den Wahlen ziemlich klar, dass die Macht zwischen den Parteien verteilt bleibt.

Für Poma fühlt es sich deshalb so an, dass sie in «zwei sehr unterschiedlichen Realitäten» wählen kann. Sie nimmt die Schweizer Politik als harmonisch und organisiert wahr, «egal welche Partei die meisten Stimmen bekommt».

Tatsächlich zeigte eine neue Studie, dass auch die Mehrheit der Schweizer Bevölkerung ihre Politik als polarisiert wahrnimmt.

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Von SWI swissinfo.ch darauf angesprochen, sagt Berni: «Der Unterschied ist, dass es in der Schweiz vielleicht polarisierte Meinungen gibt, aber die Konsequenzen für die politische Richtung des Landes sind weniger gross.»

In Argentinien hingegen hat es grosse Konsequenzen für das Zusammenleben, wenn diese oder jene Partei gewinnt. «Auch in der Schweiz denken die Menschen sehr verschieden, aber in Argentinien hat die Polarisierung mehr sozialpolitische Folgen», sagt Alexia Berni.

Sie hat für sich schon entschieden, wen sie wählen wird – in Argentinien und in der Schweiz.

Editiert von David Eugster

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