«Sichere Herkunftsländer» machen Abschiebungen kaum leichter
Nur wenige Wochen nach den Übergriffen von Köln hat die deutsche Regierungspartei CDU unter Führung von Kanzlerin Angela Merkel am Montag angekündigt, die nordafrikanischen Staaten Algerien, Marokko und Tunesien zu «sicheren Herkunftsstaaten» zu erklären. Für den Migrationsexperten Etienne Piguet handelt es sich um eine rein politische Massnahme, welche die Abschiebung dieser Bürger keineswegs erleichtern werde. Die Schweiz ihrerseits setzt weiter auf Migrationsabkommen.
Ein sicheres Land ist ein Land, das demokratisch ist, in dem es keine Verfolgungen gibt und in dem die Menschenrechte respektiert werden. So wird zumindest in groben Linien in der europäischen Migrationspolitik «ein sicherer Herkunftsstaat» definiert.
Die Liste der sicheren Herkunftsländer unterscheidet sich in Europa aber von Staat zu Staat. So wird beispielsweise Burkina Faso von der Schweiz als sicheres Herkunftsland betrachtet, nicht aber von Deutschland. In Schweden wird der Begriff des sicheren Herkunftsstaates im Moment gar nicht angewendet.
Die Absicht hinter der Definition sicherer Herkunftsstaaten ist klar: Migranten aus diesen Ländern sollen abgeschreckt und die Verfahren zu einer Rückführung bereits eingetroffener Migranten beschleunigt werden. In der Schweiz wird auf Asylgesuche von Personen aus sicheren Herkunftsländern erst gar nicht eingetreten. Die Anträge werden – mit ganz wenigen Ausnahmen für Sonderfälle – nicht bearbeitet.
Die Staaten des Maghreb gelten momentan in der Schweiz nicht als sichere Herkunftsländer. Der Bundesrat (Schweizer Regierung) legt die jeweiligen Heimat- oder Herkunftsstaaten fest (Safe Countries-ListeExterner Link). Asylgesuche von Migranten aus dem Maghreb werden allerdings besonders schnell bearbeitet, gemäss einem so genannten Fast-Track-Verfahren.
Etienne Piguet, Vizepräsident der Eidgenössischen Migrationskommission (EKM) und Professor für Humangeographie an der Universität Neuenburg, relativiert den Einfluss, den Listen sichererer Herkunftsstaaten haben. «Es handelt sich vor allem darum, ein politisches Zeichen zu setzen, im Sinne einer Verschärfung des Asylgesetzes», sagt er gegenüber swissinfo.ch.
Gemäss Piguet spielen die jeweiligen Asylgesetze bei der Wahl von Zielländern von Migranten aber keine so grosse Rolle. Wichtiger seien andere Faktoren wie die geografische Lage, die Beziehungen zu Landsleuten, Möglichkeiten zur Integration oder die wirtschaftlichen Perspektiven.
Einen grossen Einfluss hätten diese Listen indes auf die Abwicklung der Verfahren, die so beschleunigt werden könne. Die Einzelanträge würden nur noch unter ganz bestimmten Bedingungen überhaupt bearbeitet.
Einverständnis des Herkunftslandes als Knackpunkt
«Wenn die deutschen Politiker aber die Abschiebungen beschleunigen wollen, wird das Konzept der sicheren Herkunftsstaaten kaum aufgehen», glaubt Etienne Piguet.
Grund: Um eine Zwangsabschiebung durchführen zu können, braucht es das Einverständnis des Heimatstaates. Die Erfahrungen zeigen, dass Marokko und Algerien dieses Einverständnis nur sehr widerwillig geben. Die Schweiz erreicht die Repatriierung von Marokkanern und Algeriern fast nur auf freiwilliger Basis. «Es gibt keine Sonder-Ausschaffungsflüge in diese beiden Länder», sagt Marin Reichlin, Sprecher des Staatssekretariats für Migration (SEM).
Personen aus diesen Ländern werden so zu «unerwünschten Personen», die sich jedoch nicht ausweisen lassen. Häufig enden diese Migranten in der Illegalität. «Das ist eines der grossen Probleme der Migrationspolitik. Wenn diese Personen verschwinden und nicht mehr in den offiziellen Statistiken auftauchen, haben sie ihr Recht auf Sozialhilfe verwirkt. Sie sind auch nicht mehr durch präventive Massnahmen erreichbar, um ein Abgleiten in die Kriminalität zu vermeiden. In dieser Situation befand sich wohl ein Teil der mutmasslichen Täter von Köln», meint Piguet.
Die Schweiz setzt ihrerseits auf Partnerschaft mit den Herkunftsländern und auf Migrationsabkommen, um die Repatriierung nicht anerkannter Asylsuchender zu ermöglichen und zu verbessern. Im Jahr 2012, nur ein Jahr nach der so genannten Jasmin-Revolution, hat die Schweiz beispielsweise ein Abkommen über die Zusammenarbeit im Migrationsbereich mit Tunesien unterzeichnet, das die Wiederaufnahme abgewiesener Asylbewerber im Gegenzug für Wirtschaftshilfen und andere Austauschprogramme vorsieht.
Die Schweizer Behörden haben eine sehr positive Bilanz dieses Abkommens mit Tunesien gezogen. Hingegen wurde es von mehreren Nicht-Regierungsorganisationen heftig kritisiert. Die NGOs halten eine Verknüpfung von Asyl- und Entwicklungspolitik für problematisch und gefährlich, zumal sie letztlich vor allem für die Schweiz von Vorteil sei.
Seit 2007 besteht zudem ein Rückübernahmeabkommen mit Algerien. Laut dem SEM sind die Gespräche zur Umsetzung dieses Abkommens aber noch nicht abgeschlossen.
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)
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