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Eritreer gelten nicht mehr automatisch als Flüchtlinge

Eine Eritreerin aus dem Transitzentrum "Landhaus" in Davos geht mit ihrem Kind zum Einkaufen. Keystone

Menschen, die aus Eritrea geflüchtet sind, erhalten in der Schweiz kein Asyl mehr, nur weil sie ihr Heimatland illegal verlassen haben. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in St. Gallen in einem Grundsatzurteil entschieden.

Bis Mitte letzten Jahres wurde eine illegale Ausreise aus dem Land am Horn von Afrika in der Schweiz als Fluchtgrund angesehen. Denn wer illegal aus Eritrea ausreist, riskiert dort eine Gefängnisstrafe von bis zu fünf Jahren. Das Staatssekretariat für MigrationExterner Link (SEM) änderte diese Praxis jedoch am 23. Juni 2016.

Basis dafür bildete ein Bericht über EritreaExterner Link, den das SEM Ende Juni veröffentlichte. Das Staatssekretariat hatte im Februar und März 2016 in Eritrea Informationen gesammelt und überprüft, unter welchen Bedingungen Rückschaffungen möglich seien. Anschliessend beschloss es eine Anpassung der Asylpraxis.

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Denn gemäss SEM ist die Bestrafung der illegalen Ausreise in Eritrea nicht mehr so schwerwiegend, dass sie die Flüchtlingseigenschaft begründen würde. Betroffen von dem Entscheid sind Eritreer, die keine «offene Rechnung» mit dem Militärdienst haben.

Gericht bestätigt Praxis

Diese Praxis hat nun das Bundesverwaltungsgericht bestätigt. Es sei nicht davon auszugehen, dass einer Person einzig auf Grund ihrer illegalen Ausreise aus Eritrea Verfolgung oder schlimme Sanktionen drohten, die ein Asyl in der Schweiz rechtfertigen würden, hiess es in dem am Donnerstag veröffentlichten UrteilExterner Link.

So könnten illegal ausgereiste Personen problemlos zurückkehren und würden nicht generell als Verräter betrachtet oder hart bestraft. Dies sei nur der Fall, «wenn weitere Faktoren dazu kommen, welche die asylsuchende Person in den Augen der eritreischen Behörden als missliebige Person erscheinen lassen», hiess es weiter.

Eritreer wurde vorläufig aufgenommen

Konkret beurteilte das Gericht den Fall eines Eritreers, der 2013 aus seiner Heimat floh, nachdem die Behörden Razzien durchgeführt und in Nachbarorten Personen rekrutiert hatten.

Nach eigenen Angaben gelangte er zu Fuss nach Äthiopien und reiste von dort über den Sudan, Libyen und Italien am 15. Juli 2014 in die Schweiz. Noch am gleichen Tag stellte er einen Asylantrag. Das Gesuch begründete er damit, dass er aus Angst, in den Militärdienst einberufen zu werden, aus seiner Heimat geflohen sei.

Im November 2015 lehnte das SEM das Asylgesuch ab und wies ihn aus der Schweiz weg. Gleichzeitig wurde eine vorläufige Aufnahme angeordnet, weil eine Wegweisung unzumutbar sei.

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Wegweisung nicht geklärt

Die Frage, ob Deserteure Asyl erhalten sollen, wurde nicht behandelt. Das Gericht äusserte sich auch nicht dazu, ob eine Wegweisung von vorläufig Aufgenommenen wegen einer drohenden Einziehung in den Nationaldienst oder aus anderen Gründen nicht zumutbar oder unzulässig wäre.

Zwangsausschaffungen bleiben ausgeschlossen, weil Eritrea sich weigert, Zwangsausgeschaffte zurückzunehmen. Das Urteil ist endgültig und kann nicht angefochten werden.

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«Inakzeptables» Urteil

«Aus unserer Sicht ist das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts inakzeptabel. Es hält selbst fest, wie gefährlich die Situation in Eritrea nach wie vor ist, beugt sich aber wider besseres Wissen dem öffentlichen Druck», sagt Miriam Behrens, Direktorin der Schweizerischen FlüchtlingshilfeExterner Link (SFH).

Die SFH verlangt, dass bei den weiteren ausstehenden Entscheiden das Desertieren von Eritreern aus dem Militärdienst sowie die Wehrdienstverweigerung als Asylgründe erhalten bleiben. Eritreische Asylsuchende dürften nicht weggewiesen werden und sollten mindestens den Status einer vorläufigen Aufnahme erhalten.

42% erhalten Asyl

Nach neuesten Zahlen des Staatssekretariats für Migration (SEM) ist bei 634 abgewiesenen eritreischen Asylbewerbern entweder die Beschwerde noch vor Bundesverwaltungsgericht hängig oder die Beschwerdefrist läuft noch.

Insgesamt stellten 2016 5178 Eritreer in der Schweiz ein Asylgesuch. 42,4 Prozent wurde Asyl gewährt, zusammen mit den vorläufig Aufgenommenen betrug die Quote 76,6 Prozent.

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