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Auf dem Weg zu einem dreifachen Nein

Wichtige Staatsverträge wie Schengen und die damit verbudene Aufhebung der Grenzkontrollen müssen bereits heute zwingend dem Volk unterbreitet werden. Keystone

Bei der Abstimmung am 17. Juni zeichnet sich zu allen 3 Vorlagen ein Nein ab. Am deutlichsten dürfte die Ablehnung zur Managed Care Vorlage ausfallen. Zu diesem Ergebnis kommt die 2. Umfrage des Instituts gfs.bern im Auftrag der SRG SSR.

Seit 1997 hat das Schweizer Stimmvolk sämtliche Reformbemühungen im Gesundheitswesen abgelehnt. Die Gesundheitskosten und mit ihnen die Krankenkassenprämien sind seither um satte 50% gestiegen.

Wenn am 29. Mai abgestimmt worden wäre, dann hätten auch die neusten Bemühungen von Bundesrat und Parlament, den Anstieg der Gesundheitskosten einzudämmen, an der Urne Schiffbruch erlitten: 58% der Stimmenden haben sich bei der Umfrage des Instituts gfs.bern für ein Nein ausgesprochen. Anfang Mai gaben noch 44% an, Nein stimmen zu wollen.

Managed Care, das sind Ärztenetzwerke, zu denen sich verschiedene Ärzte (Hausärzte, Spezialärzte, Physiotherapeuten etc.) zusammenschliessen und die Betreuung der Patienten untereinander koordinieren.

Von Beginn weg unter schlechtem Stern

Es sei aussergewöhnlich und selten, dass eine Behördenvorlage im Vorfeld der Abstimmung so schlecht wegkomme, sagt gfs-Studienleiter Claude Longchamp und lässt kaum Zweifel daran, dass die Managed Care-Vorlage am 17. Juni deutlich abgelehnt werden wird.

Ungewöhnlich ist auch, dass das Nein quer durchs Land, die Sprachregionen – in der französischen Schweiz und im Tessin ist der Nein-Anteil mit 67, respektive 63% höher als im Schnitt – und die Anhänger der politischen Parteien geht.

Die Vorlage stand von Beginn weg und unabhängig von ihrem Inhalt unter einem schlechten Stern. Nach der Verabschiedung durch satte Mehrheiten im Parlament distanzierten sich zuerst die beiden Polparteien, die Sozialdemokraten und die rechtskonservative Schweizerische Volkspartei (SVP) davon. Anschliessend kippten die kleinen Mitteparteien und einige Kantonalpartien der grossen Mitteparteien ins gegnerische Lager. Die Ärzte und ihre Organisationen sind in der Frage gespalten.

Sprachlicher Missgriff

Kommt dazu: «Managed was?» sei eine der meistgestellten Fragen an die Interviewer gewesen. «Managed Care» – unter diesem englischen Wortkonstrukt kann sich die breite Bevölkerung in allen Sprachregionen schlicht nichts vorstellen.

Lediglich 32% der Befragten haben zudem eigene Erfahrungen mit einem Ärztenetzwerk und lediglich etwa 11% gaben an, damit uneingeschränkt positive Erfahrungen gemacht zu haben. «Wer keine Erfahrung mit einem Ärztenetzwerk gemacht hat, versteht nicht, um was es geht und ist dagegen», sagt Longchamp.

Zuversicht fehlt

In der Kampagne argumentieren die Befürworter mit «mehr Effizienz» und einer «besseren Qualität der Behandlung». Die Gegner führen – im Falle eines Ja – eine «Zweiklassenmedizin» und das Ende der «freien Arztwahl» ins Feld. Auffallend ist, dass laut der Umfrage die Argumente der Befürworter einen höheren Stellenwert haben, als jene der Gegner.

Das sei lediglich auf den ersten Blick ein Widerspruch zum hohen Nein-Anteil, sagt Longchamp, denn es gebe in weiten Teilen der Bevölkerung «ein dumpfes Gefühl, bei all den Projekten zur Gesundheitsreform einmal Nein zu stimmen». Dass das Parlament zwar der Reform zugestimmt habe, die Parteien nachträglich jedoch ins Lager der Gegner gewechselt hätten, «führt in der Bevölkerung nicht zu Zuversicht. Das hat den Ausschlag gegeben».

Behördenvertrauen entscheidend

Kaum Chancen haben auch die beiden Volksinitiativen «Eigene vier Wände dank Bausparen» und «Staatsverträge vors Volk». Bei beiden Vorlagen hat das Nein-Lager in der Zeit zwischen den beiden Umfragen deutlich zugenommen.

Die Staatsvertrags-Initiative verlangt, dass alle völkerrechtlichen Verträge dem Volk zur Abstimmung unterbreitet werden müssten.

Wenn am 29. Mai darüber abgestimmt worden wäre, hätten 55% Nein gestimmt. Lediglich die Anhänger der SVP befürworten die Initiative mehrheitlich. In allen andern Parteien und in allen Landesteilen dominiert die Ablehnung.

«Die Nein-Kampagne beginnt zu wirken», sagt gfs-Projektleiterin Martina Imfeld. Je höher das Vertrauen der Befragten in die Regierung sei, desto höher sei der Nein-Anteil. «Menschen mit tiefer Bildung sind noch am ehesten für die Initiative», so Imfeld.

Eine Frage der Träume

Die Bauspar-Initiative, die landesweit steuerliche Abzüge für Bauspareinlagen ermöglichen will, kommt auf einen Nein-Anteil von 45%. Dieser werde jedoch – wie bei Volksinitiativen üblich – bis zur Abstimmung tendenziell eher zunehmen, sagt Longchamp: «Das Nein-Lager ist im Vorteil.»

Grundsätzlich lehnt das linke Lager die Initiative «dezidiert ab», im rechten Lager finde sie Zustimmung. In der Mitte bröckelt die Zustimmung, seit die Christdemokraten auf eine Nein-Parole eingeschwenkt sind.

Am deutlichsten sei die Unterstützung in jener Zielgruppe, deren Wünsche die Initiative direkt anspreche, so Longchamp: Die Gruppe der jungen Familien der oberen Mittelklasse, deren Traum vom Einfamilienhaus mit einem Ja zur Initiative ein Stück realistischer würde. Kaum Unterstützung findet die Initiative hingegen bei den Jungen, die noch von was Anderem träumen und bei den Alten, die sich den Traum längst erfüllt haben.

Das Forschungsinstitut gfs.bern befragte zwischen dem 25. Mai und dem 2. Juni 1403 repräsentativ ausgewählte Personen aus allen Sprachregionen der Schweiz.

Aus Gründen des Datenschutzes stellen die Eidgenössischen Behörden die Daten der Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer nicht mehr zur Verfügung. Daher fehlen diese in den Abstimmungs-Umfragen, die von der SRG SSR in Auftrag gegeben wurden.

Die Stichprobenfehler liegen bei +/- 2,9%.

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