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Auf der Suche nach Marktchancen in Lateinamerika

In Sao Paulo, der grössten Stadt Lateinamerikas, gibt es viele Schweizer Investitionen. Keystone

Die Schweizer Aussenhandelsstrategie gegenüber aufsteigenden Wirtschaftsmächten beschränkt sich nicht auf blosse Worte: Wirtschaftsminister Schneider-Ammann stattet in Begleitung einer grossen Delegation Brasilien und Chile einen offiziellen Besuch ab.

Eines der wichtigsten Ziele ist, den Verhandlungen für ein Freihandelsabkommen mit dem Mercosur einen neuen Anstoss zu geben. Mit Chile ist ein solches Abkommen bereits seit Ende 2004 in Kraft.

Die Staatsbesuche vom 12.-18.Oktober sind mehr als ein Treffen zwischen Ländern, die bereits langjährige Beziehungen pflegen.

Brasilien ist nicht nur der wichtigste Wirtschaftspartner der Schweiz in Lateinamerika, sondern auch eines der BRIC-Länder (Brasilien, Russland, Indien und China).

Laut dem 2006 vom Bundesrat bekanntgegebenen strategischen Plan will die Schweiz den Handelsaustausch mit diesen Ländern verstärken.

Chile ist bereits ein bevorzugter Handelspartner der Schweiz, und dies nicht nur, weil die Schweiz mit ihm das erste Freihandelsabkommen in Lateinamerika unterzeichnet hat. Laut einer Pressemitteilung des Bundesrats «eignet sich Chile mit seiner offenen Wirtschaft und dank der vielen Freihandelsabkommen als regionale Plattform für wirtschaftliche Aktivitäten».

In Brasilien stehen konkrete Probleme auf der Tagesordnung, so unter anderem der Stand der Verhandlungen zwischen der EFTA und dem Mercosur und die Erfahrungen Brasiliens mit der Aufwertung des Real, ein Problem, mit welchem auch die Schweiz mit der starken Aufwertung des Frankens gegenüber dem Euro kämpft. Ein weiterer Höhepunkt ist die Unterzeichnung eines Abkommens zum Austausch junger Fachkräfte.

Potenzial und Risiken

Die Staatsbesuche in Brasilien und Chile kurz vor den eidgenössischen Wahlen vom 23. Oktober sind nicht nur für den Bundesrat von strategischer Bedeutung. Jan Atteslander, Mitglied der Schweizer Delegation von Bundesrat Johann Schneider-Ammann, erläutert: «Brasilien verfügt über einen grossen Markt. Dank des überdurchschnittlichen Wachstums in den kommenden Jahren wird es für alle unsere Wirtschaftssektoren immer wichtiger.»

Als Verantwortlicher für die Aussenhandelsbeziehungen von Economiesuisse betont Atteslander auch die Wichtigkeit Chiles: «Nicht nur dank des Freihandelsabkommens, sondern auch wegen der chilenischen Wirtschaftspolitik pflegen wir enge Beziehungen. Dieser positive Hintergrund bietet Schweizer Firmen in den Bereichen Fertigerzeugnisse, Gesundheitswesen, Infrastruktur und Tourismus interessante Investitionsmöglichkeiten.»

Andere Experten relativieren hingegen die Bedeutung der beiden Märkte, so der stellvertretende Chefredaktor der Handelszeitung, Stefan Eiselin: «Chiles Wirtschaft ist schon mehrere Jahre stabil und das Land verfügt über ein gutes Ausbildungsniveau und eine gute Infrastruktur. Für Schweizer Unternehmen ist dies von grossem Vorteil. Doch Brasilien hat ein grösseres Potential. Allein Sao Paulo hat mehr Einwohner als ganz Chile. Die wirtschaftliche Entwicklung ist beeindruckend.»

Doch Schweizer Investoren dürften auch die Probleme nicht übersehen, fügt Eiselin hinzu: «In Brasilien ist das Risiko grösser. Die öffentlichen Investitionen nehmen ab, und weiterhin besteht die Gefahr einer Überhitzung des Immobilienmarkts. Rückschläge können wir zwar nicht ausschliessen, doch die Grundtendenz ist vielversprechend und weist auf Brasilien.»

Freihandel

Einige Beobachter betonen, dass ein besserer Zugang zum grössten Markt Lateinamerikas über ein Freihandelsabkommen erreicht werden sollte.

So meint Atteslander: «Wir haben bereits gute Wirtschaftsbeziehungen zu Brasilien, doch sie könnten für beide Seiten verbessert werden, wenn Handel und Investitionen erleichtert würden. Am besten ist dies über ein Freihandelsabkommen möglich, wie wir sie bereits mit 23 Ländern abgeschlossen haben.»

Die Teilnahme der brasilianischen Präsidentin Dilma Rousseff am 5.Gipfeltreffen zwischen Brasilien und der EU anfangs Oktober in Belgien wird als gutes Zeichen gewertet, da Brasilien bemüht war, die 2006 abgebrochenen Verhandlungen wieder aufzunehmen.

«Natürlich hoffen wir, dass, falls Brasilien und der Mercosur mit der EU ein Freihandelsabkommen unterzeichnen, dies in Kürze auch mit der Schweiz und der EFTA möglich sein wird», erläutert Atteslander von Economiesuisse.

Doch die Verhandlungen werden nicht leicht sein. Anlässlich des Staatsbesuchs der indischen Präsidentin Pratibha Patil anfangs Oktober äusserte die Vorsteherin des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco), Marie-Gabrielle Ineichen-Fleisch gegenüber der NZZ am Sonntag: «Diese Länder nehmen immer härtere Verhandlungspositionen zur Verteidigung ihrer Interessen ein und sind entschlossen, sich Vorteile auszuhandeln.»

Während des dreitägigen Staatsbesuchs in Brasilien trifft Bundesrat Johann Schneider-Ammann Vizepräsident Michel Temer sowie die Minister Aloízio Mercadante (Wissenschaft), Fernando Pimentel (Wirtschaft) und Aussenminister Antônio Patriota.

In Chile sind Unterredungen mit Präsident Sebastián Piñeira sowie mit Wirtschaftsminister Pablo Longueira und Aussenminister Alfredo Moreno vorgesehen.

Wirtschaftsminister Schneider-Ammann trifft sich weiter mit lokalen Wirtschaftsverbänden und ansässigen Schweizer Unternehmern.

In Santiago besucht er das Schweizer Chemie-Unternehmen Clariant.

In Sao Paulo nimmt die Schweizer Delegation an einer Konferenz über die Schwankung der Wechselkurse teil, welche das Schweizer Handelszentrum (Swiss Business Hub) und die Industrieföderation des Staates Sao Paulo (FIESP) organisieren.

Mit einem Wirtschaftswachstum von 7,5% beziehungsweise 5,3% im vergangenen Jahr werden Brasilien und Chile für Schweizer Unternehmen zusehends wichtigere Märkte.

Im vergangenen Jahr exportierte die Schweiz für 2,31 Mrd. Fr. nach Brasilien und importierte für ein Volumen von 849 Mio Fr. Der Aussenhandel zwischen den beiden Ländern nahm in einem Jahr um 19% zu.

Ende 2009 beliefen sich Schweizer Investitionen in Brasilien auf 12,8 Mrd. Fr., Schweizer Unternehmen beschäftigten 106’000 Personen.

Chile ist seit 2010 Mitglied der OECD und hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2020 den Entwicklungsstand einer Industrienation zu erreichen.

Im vergangenen Jahr exportierte die Schweiz für 205,9 Mio. Fr. nach Chile und importierte für 149,5 Mio. Fr.

Ende 2009 erreichten Schweizer Investitionen in Chile 1,5 Mrd. Fr., Schweizer Unternehmen beschäftigten 13’300 Personen.

Zwischen Chile und der EFTA besteht seit dem 1. Dezember 2004 ein Freihandelsabkommen.

Der 1960 gegründeten Europäischen Freihandelszone (EFTA) gehören ausser der Schweiz noch Island, Liechtenstein und Norwegen an.

Mitglieder des im März 1991 ins Leben gerufenen «Gemeinsamen Marktes des Südens» sind Argentinien, Brasilien, Paraguay, Uruguay und Venezuela.

Bolivien, Chile, Kolumbien, Peru und Ecuador haben den Status assoziierter Mitglieder, Mexiko hat Beobachterstatus.

(Übertragen aus dem Portugiesischen: Regula Ochsenbein)

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