Mit Schweizer Imamen Radikalisierung verhindern
Die Türkei steht in der Kritik, weil sie Imame in der Schweiz anstellt und bezahlt. Kann mit der Ausbildung von Imamen in der Schweiz verhindert werden, dass ausländische Staaten die Schweizer Muslime radikalisieren? swissinfo.ch hat mit Serdar Kurnaz, Leiter des Zentrums für Islam und Gesellschaft an der Universität Freiburg, gesprochen.
Serdar KurnazExterner Link hat türkische Wurzeln, ist aber in Deutschland geboren und aufgewachsen. Er war als Imam tätig und studierte später an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main Islamische und Jüdisch-Christliche Religionswissenschaften und Pädagogik.
Herr Kurnaz, wie wird man in der Schweiz zum Imam?
In der Schweiz gibt es keine Ausbildungsmöglichkeit für Imame, jedenfalls kein staatlich anerkanntes Programm. Meist gehen die Personen ins Ausland, um sich zum Imam ausbilden zu lassen. Oder man lädt Imame aus dem Ausland ein und stellt sie in der Schweiz an.
Heisst das konkret, dass alle in der Schweiz tätigen Imame entweder aus dem Ausland stammen oder im Ausland ausgebildet wurden?
Ja, eine andere Möglichkeit gibt es nicht. Manchmal werden auf private Initiative hin Jugendliche «learning by doing» in die Imam-Tätigkeit eingeführt und später von einem Verband als Imam anerkannt. Aber das sind extreme Ausnahmefälle.
Ist der Weg zum Beruf des Imams in der Schweiz also sehr informell?
Wenn es so läuft, ja. Es kommt auch auf die Verbände an. Es gibt solche, die mit der Schweizer Regierung in Verbindung stehen. Zum Beispiel hat die DiyanetExterner Link (das türkische Religionsministerium, Anm.d.Red.) mit der Schweiz eine Vereinbarung, dass Imame aus der Türkei kommen dürfen. Diese müssen gewisse Bedingungen erfüllen, etwa was die Sprachkenntnisse betrifft.
Die Diyanet ist ja eine staatliche Institution der Türkei. Diese hat Zweigstellen im Ausland, wie die Diyanet-Stiftung in der SchweizExterner Link. Und die Moscheen, die zu der Stiftung gehören, stellen den Anspruch an die Stiftung, dass diese Imame anstellt. Die Imame werden dann auch von der Stiftung finanziert. Das läuft alles in Absprache mit dem Bund und dem jeweiligen Kanton.
Ein Beitrag der Tagesschau über die Finanzierung von Moscheen
Werden die in der Schweiz tätigen Imame also zum grössten Teil in der Türkei ausgebildet?
Keineswegs, es gibt auch Imame aus Albanien, Kosovo, Mazedonien, Saudi-Arabien, Tunesien oder Marokko. Es kommt auf die ethnische Zusammensetzung der Gemeinde oder des Verbandes an. Auch die Sprache spielt eine Rolle, so predigt beispielsweise an der Diyanet-Moschee in Fribourg ein Imam auf Französisch und Arabisch, nicht auf Türkisch. Die Moscheen kommen auf ganz unterschiedlichen Wegen zu ihren Imamen.
Spielt es überhaupt eine Rolle, wo ein Imam ausgebildet wurde?
Was die Theologie anbelangt nicht, aber in Bezug auf die kulturelle Prägung der jeweiligen Gemeinde schon. Ein arabischstämmiger Imam hat sicherlich grössere Anknüpfungsschwierigkeiten in einer türkischen Moschee als in einer tunesischen. Es ist auch ein sprachliches Problem: Wenn man nur Arabisch spricht, und kein Deutsch oder Türkisch, dann bestehen in der Deutschschweiz sprachliche Barrieren. Deswegen entscheiden sich die Gemeinden meist für einen Imam, der aus einem ähnlichen Kontext stammt wie die meisten Gemeindemitglieder. Das Gebet und der Inhalt der Predigt sind jedoch meist dasselbe.
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Ist es aus Ihrer Sicht heikel, wenn Imame von ausländischen Staaten finanziert oder ausgebildet werden?
Ja, in einem gewissen Sinne schon. Ich finde es problematisch, weil in vielen Fällen die Imame aus dem Ausland grosse Schwierigkeiten haben, sich in der Schweiz einzuleben. Sie haben Mühe, nachzuvollziehen, wie Muslime in der Schweiz oder Europa leben und was ihre Probleme sind. Es kann dazu kommen, dass Imame an der Gemeinde vorbeisprechen. Wenn sie beispielsweise Probleme der Muslime in der Türkei oder in Tunesien thematisieren, was die hiesigen Muslime gar nicht betrifft. Vor allem für die jüngere Generation ist das problematisch, weil sie noch weiter weg vom Kontext der Herkunftsländer sind. Deswegen wäre eine Ausbildungsmöglichkeit für Imame in der Schweiz wünschenswert. Natürlich wären damit auch Probleme verbunden, beispielsweise die Frage, wer die Ausbildung anbietet und finanziert. Weniger Probleme sehe ich hingegen mit Hasspredigern, das sind Einzelfälle. Und die Radikalisierung hat wenig damit zu tun, dass ausländische Financiers dahinter stecken. Meistens sind das nämlich Stiftungen, die das Geld geben und sich nicht um den Inhalt kümmern.
Welche Bemühungen für Imam-Ausbildungen gab es in der Schweiz und woran sind sie gescheitert?
Es gab Diskussionen, Imame an den Universitäten auszubilden, und dabei kam auch unser Zentrum zur Sprache. Unser Zentrum bildet jedoch keine Imame aus, sondern bietet Weiterbildungen an. Zur Zielgruppe gehören natürlich auch Imame. In der Schweiz übernehmen Imame beispielsweise auch seelsorgerische Aufgaben, was es meines Wissens in den Ausbildungsprogrammen der arabischen Länder oder der Türkei nicht gibt. Das könnten die Imame im Rahmen einer universitären Weiterbildung nachholen. Aber insgesamt ist die Universität meiner Meinung nach der falsche Ort, um Imame auszubilden. Das klappt in den Verbänden besser. Auch bei den Christen findet nicht die ganze Ausbildung an der Uni statt.
SVP gegen das Zentrum für Islam und Gesellschaft
Der Schweizerischen Volkspartei (SVP) ist das Zentrum Islam und Gesellschaft an der Universität Freiburg ein Dorn im Auge. Sie sammelte knapp 9000 Unterschriften für eine kantonale Initiative, die das Zentrum und jede staatliche Ausbildung für Imame verbieten wollte. Doch der Freiburger Grosse Rat erklärte die Initiative mit 63 gegen 18 Stimmen bei einer Enthaltung wegen Diskriminierung für ungültig.
Was unterscheidet den Imam von christlichen Pfarrern, was sind seine Aufgaben?
Es ist ein Stück weit vergleichbar. Der Imam hat seelsorgerische Aufgaben, er leitet das Gebet und ist Ansprechperson für alle religiösen Fragen. Vor allem in Europa hat der Imam eine grosse Multifunktionalität – mir scheint manchmal, er werde als Superman verstanden – er muss überall einspringen: Mal ist er Psychologe oder Theologe, mal muss er den Gelehrten spielen, mal muss er organisatorisch tätig sein, zum Beispiel Pilgerfahrten organisieren usw. Die Rolle des Imams muss in der Schweiz neu definiert werden. Die Imame dürfen nicht so überlastet werden wie jetzt.
Gibt es Widerstände gegen Pläne zur Imam-Ausbildung in der Schweiz?
Ja, es gab eine grosse Empörung darüber, dass Imame in der Schweiz ausgebildet werden sollen. Das war beispielsweise ein Motiv für den Protest der Schweizerischen Volkspartei (SVP) gegen unser Zentrum, obwohl wir gar keine Imame ausbilden. Ich verstehe die Skepsis an Aus- und Weiterbildungen nicht, denn mit einer Ausbildung der Imame in der Schweiz oder Deutschland könnten wir Radikalisierung verhindern und Transparenz über die Finanzierung herstellen. Zukünftige Imame könnten etwa in Deutschland studieren und danach Weiterbildungen in der Schweiz absolvieren. Daneben ist es Aufgabe der Verbände, die praktische Ausbildung der Imame zu vertiefen. Dies kann ein Beitrag gegen Radikalisierung und für ein konstruktives Miteinander sein.
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