Auslandschweizer fragen: «Ist diese Wahl überhaupt gültig?»
Sie dürften an Wahlen teilnehmen, konnten aber nicht. So erging es vielen Schweizerinnen und Schweizern im Ausland. Der Frust sitzt tief, wie Reaktionen in unserer App und auf Social Media zeigen.
Hashtag: #EVotingplease
Es ist ein Einfaches, sich online in die Diskussion einzuklinken. Der Hashtag #EVotingPlease hilft dabei. Bereits jetzt enden Kommentare mit diesem Aufruf. So zum Beispiel Liliane Blume Hochuli aus Kota Kinabalu: «Leider erhalten wir in Malaysia die Unterlagen, wenn die Abstimmung vorbei ist. E-voting please!»
Oder Christoph Clausen: «Ich würde sehr gerne abstimmen, leider kommt keine Post in Ägypten an! E-voting please!»
Die Wogen gehen hoch. Es geht um ein Recht, das theoretisch allen Schweizern zusteht: das Stimm- und Wahlrecht. In der Realität bleiben aber viele Schweizer von den Urnen abgekoppelt. Die Post bringt ihnen die Unterlagen zu spät.
Zugespitzt hat sich die Situation, weil in diesem Jahr alle Kantone das E-Voting eingestellt haben. Sie taten dies vor allem auf Druck einer kritischen Öffentlichkeit, die die Sicherheit von Wahlen und Abstimmungen in Gefahr sah. Das Dilemma: Die Glaubwürdigkeit der Schweizer Demokratie leidet so oder so.
Dass Sie sich als Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer nicht mehr an Wahlen und Abstimmungen teilnehmen können, scheint aktuell das kleinere Übel zu sein.
Wir haben heute auf Facebook nach den Erfahrungen mit den brieflichen Unterlagen für die Urne gefragt. Machen Sie mit, auch Ihre Erfahrung interessiert uns. Machen Sie hier mit:
Einer, der sich ärgert, ist Nikolaus Wyss, der in Kolumbien lebt. Er postete am Wahlsamstag auf Facebook: «Heute sind die Abstimmungsunterlagen eingetroffen und können gleich in den Müll geworfen werden.»
Darauf meldeten sich Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer aus Brasilien, Thailand, Malaysia und andern Ländern. Hier einige Stimmen:
«Wurden die Unterlagen tatsächlich frühzeitig abgeschickt? Kann man Abstimmungen nicht anfechten deswegen?»
«Man könnte vielleicht mal verlangen, dass die Wahl ungültig erklärt wird?»
«Wenn StimmbürgerInnen an der Ausübung ihrer Rechte gehindert werden, dann ist die Wahl ungültig. Den Schnarchsäcken in den Schweizer Behörden würde so eine Klage sicher Beine machen.»
Nikolaus Wyss meint abschliessend: «Dass die Schweizer Behörden es für unnötig erachten, die Wahlen und Abstimmungen im Ausland zu ermöglichen, erachte ich als Skandal. Das Wissen, dass in der Mehrzahl der Übersee-Länder die Post erst nach vielen Wochen ankommt, sollte doch dazu führen, das Wahlrecht anderswie sicherzustellen. Da sind die Schweizer Vertretungen im Ausland echt gefordert.»
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Eine ähnliche Diskussion entstand in unserer App und unter einem Facebook-Post unserer Redaktion in einer geschlossenen Gruppe:
Robert Pfister aus Thailand schreibt: «Dass die Schweizer Regierung das E-Voting systierte ist eine Missachtung des Schweizer Bürgerrechts. Da die Nationalratswahlen ohne E-Voting stattfanden, sollten die Nationalratswahlen für ungültig erklärt werden.»
Marcel M.: «Ich frage mich, ob dieses Theater um die Sicherheit beim E-Voting nicht einfach dazu dient, die Rechte der Auslandschweizer weiter zu beschneiden. Mit E-Voting war es möglich, sich zu politischen Themen zu äussern und Einfluss zu nehmen. Ich hoffe, dass mit dem politischen Umschwung auch die Rechte der Auslandschweizer wieder in den Fokus treten.»
Marco A.: «Ich verstehe das Problem nicht. Ich finde, wir sollten, wenn wir nicht mehr in der Schweiz leben, gar nicht mehr abstimmen dürfen. Wenn wir ehrlich sind: Sind uns die aktuellen Probleme in der Schweiz klar? Und betreffen sie uns direkt?»
Monika F. pflichtet dem bei: «Ich habe mich nie registriert. Bei all den Abstimmungen in der Schweiz pro Jahr komme ich gar nicht mehr mit. Verstehe Auslandschweizer, die nur für eine kurze Zeit im Ausland leben. Aber alle die, die nicht vorhaben zurückzugehen, sollten auch nicht mehr wählen oder abstimmen.»
Auch Nationalratskandidat Franz Muheim, der in England lebt und für die Grünliberalen kandidierte, hat sich bei uns auf der Redaktion gemeldet. Muheim ist Vorstandsmitglied der Auslandschweizer-Organisation. Er will, dass E-Voting wieder aufs Tapet kommt. «Wenn die Schweiz nur jedes Jahr 10 Millionen investieren würde, hätten wir in 10 Jahren ein anständiges Projekt», schätzt der Physiker.
Abschied vom E-Voting zeigt Effekte
Interessant ist eine Auswertung der Auslandschweizer-Organisation ASO, erstellt am Tag nach den Wahlen.
Untersucht hat die Organisation die Stimmbeteiligungsquote der Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer 2015 und 2019 – und zwar in den Kantonen, die damals noch E-Voting ermöglichten: Die Zahlen zeigen, dass nach Wegfall der elektronischen Stimmabgabe die Partizipation der Auslandschweizer markant zurückgegangen ist.
- Im Kanton Genf fiel die Beteiligung von 32 auf 21%.
- Im Kanton Luzern von 32,1% auf 23,4%.
- In Basel-Stadt von 26% auf 19,2%.
Beim Vergleich mit den Volksabstimmungen vom 19. Mai 2019 fiel der Organisation zusätzlich auf, dass weitere der bis anhin E-Voting anbietenden Kantone (Aarau, Luzern und Waadt) einen starken Rückgang bei der Stimmbeteiligung der Auslandschweizerinnen und -schweizer verzeichneten: Die Beteiligungsquote sank jeweils um rund 10%.
Akzente im Wahlverhalten
Dabei setzt das Stimm- und Wahlverhalten der Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer immer wieder Akzente. Das war auch diesmal der Fall, wie unsere obenstehende Erhebung in den zehn Kantonen zeigt, in denen Daten zur Verfügung standen. Gegenüber den Wählenden in der Schweiz votierten sie deutlich noch eher für Grün, und ausgeprägt weniger für die SVP.
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Den Grünen wanderten die Erstwähler zu
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