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Ausweg gesucht aus verlorenem Anti-Drogen-Krieg

Repression als Teil der Vier-Säulen-Politik: Lausanner Polizisten untersuchen Ende 2011 mutmassliche Drogendealer. Keystone

Eine Gesellschaft ohne Drogen ist eine Illusion. Deshalb schlägt eine internationale Kommission, der auch Ex-Bundesrätin Ruth Dreifuss angehört, einen radikalen Richtungswechsel vor. Zwei Juristen der Universität Neuenburg stützen diesen Kurs.

1961 hatten die Vereinten Nationen die Konvention gegen narkotische Drogen verabschiedet. Darin wurde ein weltweites Verbot stipuliert, das erstmals auch für Cannabis galt.

Zehn Jahre später hatte der damalige US-Präsident Richard Nixon offiziell den Krieg gegen Drogen verkündet. Der Feldzug zur Befreiung der Welt vor allen Drogen wurde und wird immer noch auch mit militärischen Mitteln geführt.

Doch die Bilanz dieses Feldzugs nach 40 Jahren ist niederschmetternd: Der Krieg gegen Drogen verschlang Milliarden von Dollar, ist aber auf der ganzen Linie verloren.

Im Gegenteil: Noch nie zuvor wurden so viele Drogen konsumiert wie heute. Und der Internationale Währungsfonds (IWF) beziffert den Drogenhandel, der von Mafia-Gruppen und terroristischen Organisationen kontrolliert wird, auf 400 Milliarden Franken – jährlich. Aus Sicht von öffentlicher Gesundheit, Sicherheit und der Menschenrechte ist die Niederlage total.

«Die Hälfte aller weltweiten Todesurteile werde wegen kleinerer Drogenvergehen verhängt», sagt Ex-Bundesrätin Ruth Dreifuss gegenüber swissinfo.ch. Im Afrika südlich der Sahara, wo der Anteil der HIV-infizierten Menschen am höchsten ist, gehe ein Drittel der Ansteckungen immer noch auf gebrauchte Spritzen zurück, schiebt Dreifuss nach.

Internationale Vorreiterin   

Als Gesundheitsministerin hatte Dreifuss in den 1990er-Jahren in der Schweiz die richtungsweisende «Vier-Säulen-Politik» durchgesetzt. Die noch heute gültige, auch oft vom Ausland kopierte staatliche Drogenpolitik basiert auf Prävention, Therapie, Risikoverminderung sowie Repression.

Heute ist die ehemalige Bundesrätin und –präsidentin Mitglied der Globalen Kommission über Drogenpolitik. Der Anstoss zu diesem Gremium kam von Bürgerinnen und Bürgern aus Lateinamerika, wo die Folgen der Kriege gegen Drogen besonders verheerend waren und sind.

Der Kommission gehören neben der Schweizerin auch Fernando Henrique Cardoso, Ernesto Zedillo und César Gaviria, die drei ehemaligen Präsidenten Brasiliens, Mexikos und Kolumbiens an. Dazu unter anderem ex-UNO-Generalsekretär Kofi Annan, ex-UNO-Menschenrechtskommissarin Louise Arbour, alt US-Aussenminister George Shultz, Javier Solana, der ex-Aussenbauftragte der Europäischen Union (EU) sowie Virgin-Gründer Sir Richard Branson.

Im letzten Jahr haben die «Weisen» mit einem Bericht riesigen Wirbel ausgelöst. Darin erhoben sie den Ruf nach dringlichen, «fundamentalen Reformen in der Politik gegen Drogen». Und das national wie international.

Konkret fordert die Kommission die Abkehr von der Kriminalisierung der Konsumenten und stattdessen die Respektierung der Rechte all jener, die auf unteren Chargen am Geschäft partizipieren. Dazu zählen die Experten nebst den Bauern auch kleine Schmuggler und Wiederverkäufer.

Es geht aber auch um die Verschreibung der Ersatzdroge Methadon und die Abgabe von Heroin an Schwerstsüchtige unter ärztlicher Aufsicht sowie um die Abkehr von allen strikten Politiken und Kampagnen im Stile von «Nein zu Drogen». Null-Toleranz-Postulate sollten vielmehr von glaubwürdigen Präventions- und Informationsprogrammen abgelöst werden. 

Zum Schluss ihres Berichts richtete die Kommission einen Appell an die Regierungen. Diese sollen die internationalen Abkommen so anwenden oder überarbeiten, dass sie damit die rechtlichen Grundlagen in den Händen halten für eine Risikominderung und Entkriminalisierung.

Türklinken polieren

«Ich weiss nicht, ob die Welt bereit ist für einen solchen Paradigmenwechsel. Aber ich weiss, dass sich zahlreiche Politiker der Notwendigkeit bewusst sind, das Problem von einer neuen Seite anzugehen», sagt Ruth Dreifuss, die soeben aus Wien zurückgekehrt ist, wo sie im Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) gearbeitet hatte.

Zuvor hatte sie im Januar zusammen mit Sir Richard Branson an einer Anhörung vor einer britischen Parlaments-Kommission teilgenommen.

Plädoyer für umfassende Legalisierung

Ende letzten Jahres hatten zudem zwei Doktoranden der Universität Neuenburg viel Staub aufgewirbelt: Sie forderten in einer 90-seitigen juristischen Studie nichts weniger als die Legalisierung sämtlicher illegaler Drogen. Ludivine Ferreira und Alain Barbezat gingen in ihrer Untersuchung ebenfalls vom völligen Scheitern der Kriege gegen Drogen aus.

«Repression ist untauglich, in der Schweiz wie anderswo», sagt Barbezat. Kriminologische Studien zeigten, dass eine Strafe dann wirkungsvoll sei, wenn sie schnell und konsequent verhängt werde und von gewisser Strenge sei. «Aber die beiden ersten Punkte sind meist nicht erfüllt, und die Lösung kann unserer Meinung nach nicht in der Strenge liegen», so Barbezat weiter.

Neue Dynamik erzeugen 

Die beiden Autoren sind sich bewusst, dass eine völlige Legalisierung im aktuellen politischen Kontext nicht realistisch ist. Die tolerantere, permissivere Haltung der Polizei in einigen Schweizer Kantonen und Städten nach der Jahrtausendwende ist Vergangenheit, und 2008 lehnte das Volk eine Initiative zur Legalisierung von Cannabis mit 63% Nein klar ab.

«Wir wollen mit unserer Studie auch bewusst provozieren und die Diskussion vorwärts bringen», sagt Ludivine Ferreira. «Lehnt man Vorschläge mit dem Argument ab, dass sie nicht ankommen, bleibt alles beim Alten und wir hätten immer noch die Todesstrafe», sagt sie.

In der Schweiz zumindest könnten sich immerhin die Mindestforderungen von Ferreira, Barbezat und weiteren aufgeschlossenen Fachleute erfüllen. Vor zwei Wochen entschied nämlich der Nationalrat, dass Konsumenten, die mit maximal zehn Gramm Cannabis oder ähnlich wirkenden Substanzen erwischt werden, mit einer Busse von 200 Franken davon kommen sollen.

Aber die Diskussion zuvor war hitzig und das Abstimmungsresultat knapp gewesen. Zudem muss der Strafminderung noch der Ständerat, die kleine Kammer, zustimmen.

Keine Drogen in der Migros

Wohlverstanden: die beiden jungen Juristen träumen weder von einer «Gesellschaft auf Trip» noch davon, dass die Migros in ihren Läden Regale für Dope aufstellt. Sie sind aber davon überzeugt, dass die Vier-Säulen-Politik der Schweiz international richtungsweisend ist. Dies deshalb, weil in der Schweiz die Drogenfrage als Gegenstand der öffentlichen Gesundheit betrachtet und nicht einfach im Zusammenhang mit dem Strafrecht.

Nicht einverstanden sind Ludivine Ferreira und Alain Barbezat aber damit, dass in der Schweiz 75% der finanziellen Mittel im Kampf gegen Drogen in die Repression fliessen, weil diese ineffizient sei. «Würde man Drogen legalisieren, stünden diese Gelder für Prävention und die Behandlung der Kranken zur Verfügung», so Ferreira.

Gegen Schwarzmaler-Szenarien 

Was entgegnen die jungen Juristen all jenen, die davor warnen, dass der Drogenkonsum nach der Legalisierung explodieren würde? Ferreira und Barbezat, wie andere Fachleute auch, glauben nicht an ein solches Szenario.

«Heute ist es relativ einfach, an jede Droge zu kommen», wendet Alain Barbezat ein. «Aber viele lassen die Finger davon, nicht wegen des juristischen Verbots, sondern weil Drogen sie nicht interessieren, wegen des moralischen Verbots oder aus dem Wissens um gesundheitliche Risiken heraus.»

Zur Illustration greift Alain Barbezat zu einem Bild: «Oft wird das Strafgesetzbuch als grosses, böses Auge gesehen, das uns alle überwacht. Aber sobald es woanders hinschaut, greifen alle Menschen ins Konfitürenglas. Nur: Dieses Bild ist falsch!»

Legalisierung: In keinem Land der Welt sind Drogen völlig legal. Denn dies würde die Freiheit implizieren, Drogen zu produzieren, zu verkaufen, zu kaufen und zu konsumieren, analog zu Alkohol, Tabak oder Medikamenten.

Entkriminalisierung: Der Besitz oder Konsum kleiner Mengen soll nicht mehr strafrechtlich verfolgt, sondern mit einer Busse bestraft werden.

Portugal gab im Jahr 2000 sämtliche Drogen frei. In anderen Ländern trifft die Freigabe auf leichte Drogen wie Cannabis zu (Niederlande, Belgien, Spanien, Estland, Tschechien, Kanada, Argentinien, Brasilien, Mexiko, Peru, Uruguay).

Mit der Vier-Säulen-Politik habe die Schweiz einen vorsichtigen Weg eingeschlagen, auf dem sich aufbauen lasse, sagt Ruth Dreifuss.

Die damalige Innenministerin hatte die Kursänderung in den 1990er-Jahren als Antwort auf die verheerende Verelendung der öffentlichen Drogenszenen in mehreren Schweizer Städten durchgesetzt.

Seither gilt die Schweiz in vielen Ländern als vorbildlich in Sachen Drogenpolitik.

Das Vier-Säulen-Konzept kostet die Schweiz jährlich 4.1 Mrd. Franken.

In der Schweiz haben gemäss Umfragen rund eine Mio. Menschen schon einmal Cannabis geraucht.

Von der Gruppe der 15- und 16-Jährigen ist es gar die Hälfte.

26’000 Erwachsene nehmen regelmässig Heroin und/oder Kokain.

17’000 sind in einem Methadonprogramm.

1300 Schwerstsüchtige erhalten Heroin unter ärztlicher Aufsicht.

Jedes Jahr sterben in der Schweiz 250 Menschen aufgrund des Konsums harter Drogen.

Aufgrund der Abgabe von Spritzen, meist in so genannten Fixerräumen, sind Ansteckungen mit dem HI-Virus aufgrund gebrauchter Spritzen praktisch verschwunden.

(Übertragung aus dem Französischen: Renat Künzi)

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