Bankgeheimnis: Das nächste Tabu gebrochen
Die Schweiz kommt dem Ausland im Kampf gegen Steuersünder einen weiteren Schritt entgegen: Gruppenanfragen sollen ab 1. Januar 2013 zugelassen werden, also nicht rückwirkend, wie die deutsche Opposition fordert.
Amtshilfe gegen mutmassliche Steuersünder gibt es lediglich in Einzelfällen und nur gegen Nennung des Namens und eines Anfangsverdachtes. Damit können so genannte «Fishing Expeditions», also Rasterfahndungen gegen mutmassliche Steuersünder, verhindert werden.
Das war bisher die offizielle Doktrin der Schweiz im Kampf um die Verteidigung des für ausländische Bankkunden bereits arg durchlöcherten Bankgeheimnisses. Einzige Ausnahme bildet das Doppelbesteuerungs-Abkommen mit den USA. Dieses lässt Gruppenanfragen mit Einschränkungen zu.
Am 18. Juli hat auch Schweiz der Weiterentwicklung des Standards der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zugestimmt. Demnach sind bei der Steueramtshilfe Gruppenanfragen zulässig.
Angst vor grauen Listen
Der neue OECD-Standard hat in der Schweiz zu einer Kehrtwende geführt, denn noch im Frühjahr 2012 lehnten Bundesrat und eine Parlaments-Mehrheit Gruppenanfragen ab. Es bestand offenbar die Befürchtung, die OECD setze die Schweiz auf eine graue oder schwarze Steuerparadies-Liste, wenn sie den neuen Standard nicht umsetzen würde.
Jetzt hat das Parlament seine Beratungen zum neuen Steueramtshilfegesetz abgeschlossen und dabei Gruppenanfragen also zugelassen.
«Bankgeheimnis zu Grabe getragen»
«Wir haben keine Freude, aber Gruppenanfragen sind nicht mehr zu verhindern», sagte der grünliberale Thomas Maier in der Nationalratsdebatte und fasste damit die Haltung der politischen Mitte zusammen. Links-grün sprach von einem «Schritt in die richtige Richtung». Die rechtskonservative Schweizerische Volkspartei (SVP) kritisierte, damit werde «das Bankkundengeheimnis definitiv zu Grabe» getragen.
Offen gelassen hat das Parlament die Frage, welche Einschränkungen für Gruppenanfragen gelten sollen. Es ist also auch nach dem Parlamentsentscheid noch nicht klar, wodurch sich Gruppenanfragen von «Fishing Expeditions», die die Schweiz offiziell immer noch ablehnt, unterscheiden.
Verantwortung auf Gerichte abgeschoben
Er habe «offen gesagt keine Ahnung», was der genaue Unterschied zwischen Gruppenanfragen und «Fishing Expeditions» sei, sagt Peter V. Kunz, Professor für Wirtschaftsrecht und Rechtsvergleichung an der Universität Bern gegenüber swissinfo.ch: «Ich kritisiere seit Jahren, dass bei dieser Thematik keine saubere juristische Abgrenzung möglich ist. Der Übergang von der Gruppenanfrage zu ‹Fishing Expeditions› ist völlig schwammig und unsicher.»
Die Auslegung der exakten Kriterien für Gruppeanfragen ist laut Kunz eine «Fundgrube für Juristen». «Man versucht, über Beispiele eine gewisse Sicherheit zu gewinnen. Es gibt weisse und es gibt schwarze Beispiele. Das Problem in der Praxis ist jedoch, dass es meistens graue Beispiele sind, die zu Streit führen.»
Kunz geht davon aus, dass in den zahlreichen zu erwartenden Streitfällen die Gerichte werden entscheiden müssen. «Das Hauptproblem rechtsstaatlicher Natur ist, dass das Parlament seine gesetzgeberische Verantwortung auf die Judikative abgeschoben hat. Die Gerichte werden über Fälle entscheiden müssen, für die sie die Antworten im Gesetz schlichtweg nicht finden.»
Absage an deutsche Sozialdemokraten
Diskutiert, jedoch nicht beschlossen hat das Parlament den Zeitpunkt des Inkrafttretens des neuen Amtshilfegesetztes. Aber aller Voraussicht nach wird der Bundesrat das Gesetz auf den 1. Januar 2013 in Kraft setzen.
Damit ist die Schweiz der Forderung der deutschen Sozialdemokraten nach rückwirkenden Gruppenanfragen zumindest im jetzigen Zeitpunkt nicht nachgekommen. Theoretisch könnte der Bundesrat Gruppenanfragen zwar rückwirkend auf den 18. Juli zulassen. Kunz hält das allerdings für «relativ heikel. Es wäre aber möglich. Dann hätte schlussendlich ein Gericht zu entscheiden, ob eine solche Rückwirkung rechtswidrig sei oder nicht.»
Exponenten der deutschen Sozialdemokratie kritisieren, die Frist ermögliche es deutschen «Abschleichern», ihre unversteuerten Vermögen aus der Schweiz in andere ausländische Steuerparadiese zu transferieren. Das ist mit ein Grund, weshalb sie das Abgeltungssteuerabkommen im deutschen Bundesrat (Länderkammer) versenken wollen.
Im Berliner Bundesrat besitzen die Sozialdemokraten die Mehrheit. Wenn die Schweiz sich nicht bereit erkläre, Gruppenanfragen rückwirkend zulzuassen, dann sei das Steuerabkommen «mausetot», sagten in den vergangenen Tagen verschiedene sozialdemokratische Entscheidungsträger gegenüber deutschen Medien. Der Entscheid in der deutschen Länderkammer fällt im November.
13. März 2009: Auf Druck der OECD beschliesst der Bundesrat, die OECD-Standards bei der Amtshilfe in Steuersachen zu übernehmen. Damit wird das Bankgeheimnis gelockert: Rechtshilfe wird nicht nur bei Steuerbetrug, sondern auch bei Steuerhinterziehung möglich. Seither hat die Schweiz mit mehr als 30 Staaten entsprechend angepasste Doppelbesteuerungs-Abkommen ausgehandelt.
22. Juni 2009: Die damaligen Finanzminister Hans-Rudolf Merz und Peer Steinbrück vereinbaren die Revision des DBA zwischen der Schweiz und Deutschland.
21. September 2011: Bundesrätin Widmer-Schlumpf und der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble unterschreiben in Berlin das Steuerabkommen. SPD, Grüne und Linke kritisieren die geplanten Regelungen als zu lasch für Steuersünder.
5. März 2012: Die EU-Kommission sieht in den Steuerabkommen der Schweiz mit Deutschland und Grossbritannien mögliche Widersprüche zu bestehendem EU-Recht sowie mit dem bilateralen Zinsbesteuerungs-Abkommen Schweiz-EU.
5. April 2012: Die Schweiz und Deutschland ergänzen das Steuerabkommen. Die Steuersätze auf Altvermögen werden angehoben.
17. April 2012: Die EU-Kommission gibt grünes Licht für die Steuerabkommen der Schweiz mit Deutschland und Grossbritannien. Sie seien in «voller Übereinstimmung mit EU-Recht».
25. April 2012: Die deutsche Regierung billigt das umstrittene Steuerabkommen mit der Schweiz in seiner überarbeiteten Fassung. Die Vertreter der von SPD und Grünen geführten Länder wollen das Abkommen weiterhin im Bundesrat (Länderkammer) ablehnen.
Juni 2012: Das Schweizer Parlament sagt zähnekrnirschend Ja zum Abkommen mit Deutschland. Die Jungsozialisten und die Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz (Auns) künden das Referendum dagegen an.
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch