Bei Spionage sind persönliche Kontakte fundamental
Traditionelle Spionagemethoden sind durch den Einsatz elektronischer Mittel etwas in den Hintergrund gerückt. Doch der direkte Kontakt, die so genannte "Human Intelligence", bleibt für die Geheimdienste ein fundamentales Instrument. Dies zeigen die jüngsten Ereignisse.
In Genf machten CIA-Agenten einen Bankier betrunken und ermunterten ihn gleichwohl, sein Auto zu benutzen. Dann wurde er von der Polizei verhaftet. Die CIA-Agenten hätten ihm dann geholfen, was zur Rekrutierung des Bankiers geführt habe.
Der ehemalige CIA-Mitarbeiter Edward Snowden soll angeblich Zeuge dieses Vorfalls gewesen sein. Doch Peter Regli, von 1991 bis 1999 Chef des Schweizer Nachrichtendienstes, ist skeptisch: «Meines Wissens war Snowden ein einfacher Informatiker. Ich kann mir nicht vorstellen, dass dieser junge Mann, der keine spezifische Ausbildung in nachrichtendienstlicher Tätigkeit hatte, einen solchen Vorfall kennen könnte.»
Wie auch immer. Der Fall hat eines deutlich gemacht: Die so genannte Human Intelligence (HUMINT) spielt in den Aktivitäten der weltweiten Geheimdienste nach wie vor eine zentrale Rolle.
Der ehemalige CIA-Mitarbeiter Edward Snowden steht im Mittelpunkt der Affäre Data-Gate, welche die Sammelwut der US-Geheimdienste dokumentiert. Er hat angegeben, in der diplomatischen Vertretung der USA in Genf gearbeitet zu haben. Das Schweizer Aussenministerium (EDA) hat dies bestätigt. Demnach arbeitete er von März 2007 bis Februar 2009 bei der ständigen Vertretung der USA der Vereinten Nationalen von Genf.
Während dieser Zeit soll er an der Rekrutierung eines Bankiers als Informant beteiligt gewesen sein. CIA-Mitarbeiter hätten diesen Bankier trunken gemacht und gleichwohl verleitet, mit dem Auto nach Hause zu fahren. Er sei in eine Polizeikontrolle geraten. Daraufhin hätten die Agenten ihm seine Hilfe angeboten. So sei es zur Zusammenarbeit gekommen.
Angesichts dieser Enthüllungen hat das EDA bei der US-Botschaft in Bern nach Erklärungen verlangt. Bundespräsident Ueli Maurer befürwortet die Eröffnung einer Strafuntersuchung gegen den in Genf operierenden US-Spion, falls sich die Indizien konkretisieren sollten.
«Was hat die Gegenseite vor?»
«Seit Jahren nutzen alle Nachrichtendienste, egal ob klein oder gross, die sozialen Netzwerke oder Internet-Suchmaschinen wie Google für ihre Recherchen. Doch die Human Intelligence bleibt das wichtigste Instrument», betont Peter Regli.
«Wenn ein Geheimdienst eine Situationsanalyse vornimmt, wird immer zuerst überlegt, was die Gegenseite planen könnte. Um dies zu wissen, kann man natürlich auf E-Mails und abgehörte Telefonate zurückgreifen. Doch um wirklich zu verstehen, was jemand im Schilde führt, braucht es direkte menschliche Kontakte. Und dafür gibt es Agenten», sagt der Ex-Chef des Schweizer Nachrichtendienstes NDB.
Im Business nachrichtendienstlicher Informationsbeschaffung ist die Schweiz aus mehreren Gründen von Bedeutung. Simon Johner, Vize-Kommunikationschef des NDB, nennt in der schriftlichen Antwort auf eine entsprechende Frage einige: «Die zentrale Lage in Europa, die UNO und andere internationale Gremien, der Finanzplatz, der Energie- und Rohstoffhandel.» Genf sei in dieser Hinsicht ein «privilegierter Biotop», wie Verteidigungsminister Ueli Maurer Mitte Juni sagte.
Im Fokus ausländischer Geheimdiensten befinden sich auch Forschungsinstitute, Hochschulen, internationale Forschungsgemeinschaften sowie High-Tech-Firmen oder Unternehmen mit «doppeltem Einsatzpotential», also solche, die unter Verdacht stehen, dass ihre Produkte allenfalls für Massenvernichtungsmittel eingesetzt werden könnten. Manche ausländische Nachrichtendienste überwachen auch die Aktivitäten von Oppositionspolitikern, die sich in die Schweiz abgesetzt haben.
Im April 2012 verhaftete die Zürcher Polizei beispielsweise zwei Personen, die High-Tech-Equipment besassen. Es handelte sich um Beamten des georgischen Innenministeriums, die in die Schweiz gekommen waren, um politische Systemgegner zu bespitzeln.
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Objekte für den perfekten Spion
Informationsträger annähern
Doch wie lässt sich ein menschlicher Kontakt herstellen? «Zuerst muss man diejenigen Personen ausfindig machen, die für die eigenen Interessen dienlich sein könnten. Denkt man beispielsweise an die aktuellen Probleme der Schweiz mit den USA, wäre es sicherlich interessant zu wissen, was beim Internal Revenue Service (IRS), dem US-Steuerministerium, vor sich geht. Wer ist die Person, welche für die US-Strategie im Umgang mit der Schweiz verantwortlich ist?» fragt Egli.
Ein Agent werde nach einer solchen Identifikation versuchen, sich dieser Person anzunähern. Doch solche Operationen könnten Jahre dauern und müssen unter höchsten Vorsichtsmassnahmen erfolgen. «Denn wenn eine solche Operation auffliegt, gibt es echte Schwierigkeiten.»
Beim Nachrichtendienst des Bundes heisst es: «Als Diplomaten, Journalisten oder Geschäftsleute getarnt erhalten ausländische Nachrichtendienstoffiziere in der Schweiz Zugang zu Entscheidungsträgern aus den Bereichen Politik und Wirtschaft. Dolmetscher und Übersetzer können ebenfalls Zugang zu vertraulichen Informationen gewinnen, ebenso wie Stagiaires und Doktoranden für ausländische Nachrichtendienste wertvolle Informationen sammeln können.“
Divisionär Peter Regli (69) wurde 1991 Chef des Schweizerischen Nachrichtendienstes. Zuvor leitete er den Nachrichtendienst der Flieger- und Fliegerabwehrtruppen.
In der Folge der Affäre Bellasi wurde Regli am 17. September 1999 mit neuen Aufgaben betraut. Ende 2000 wurde er vom Bundesrat vorzeitig in den Ruhestand versetzt. Bellasi hatte behauptet, Regli habe am Aufbau einer Geheimarmee gearbeitet.
Zudem hatte Wouter Basson, damals Leiter des südafrikanischen ABC-Waffen-Programmes, erklärt, durch Regli Unterstützung erhalten zu haben.
Alle Vorwürfe stellten sich in der Folge als haltlos heraus.
Vertrauen aufbauen
Mit kleinen Geschenken kann man sich Freundschaften erwerben, Kontakte vertiefen und Vertrauen aufbauen. Irgendwann kommen so auch geheime Informationen zum Vorschein. Es kann aber auch zu einer Art von Erpressung kommen.
«In bestimmten Ländern kann es vorkommen, dass den Informationsträgern eine Gesetzesverletzung vorgeworfen wird. Der Geheimdienst bietet dann Hilfe im Austausch gegen Information und Zusammenarbeit an.»
Dank der neuen sozialen Netzwerke wie Linkedin können interessante Informationsträger leicht aufgespürt werden. Wer beispielsweise nach Fachleuten sucht, die sich im Bereich der Satellitentechnik in einer Schweizer Firma einen Namen gemacht haben, wird schnell fündig.
Wenn ein Spion auffliegt, können die Schweizer Behörden diesen ausweisen und eine Einreisesperre verhängen. Handelt es sich um einen Diplomaten, kann dieser zur unerwünschten Person erklärt werden.
Die Schweizer Behörden sind in diesem Zusammenhang allerdings mit Informationen äusserst sparsam. Das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten hält auf Anfrage einzig fest, «dass es sich um sehr seltene Fälle handelt». Ein Fall werde erst in die Öffentlichkeit getragen, wenn dadurch ein Zeichen gesetzt werden soll, hält der NDB fest.
Auch der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) ist von Datenlecks betroffen, wie der Fall Data-Gate oder die Affäre Wikileaks zeigt.
Im Sommer 2012 versuchte ein beim NDB tätiger Informatiker, eine Festplatte mit «sehr sensiblen Daten» zu entwenden, wie Bundesanwalt Michael Lauber erklärte. Der Angestellte hätte versucht, die Daten im Ausland zu verkaufen – ohne Erfolg.
Der Fall war dank einer Anzeige einer UBS-Mitarbeiterin bekannt geworden. Diese hatte Verdacht geschöpft, als der Informatiker ein Nummernkonto eröffnen wollte. Die Affäre sorgte wegen der mangelnden Sicherheitskontrollen und der langsamen Reaktion für einige Kritik am NDB und an Verteidigungsminister Ueli Maurer. Eine Delegation der parlamentarischen Geschäftsprüfungskommission hat eine Untersuchung beim NDB angeordnet. Die Ergebnisse sollten in Kürze vorliegen.
Zu lange passiv
Bei der Spionageabwehr untersteht der NDB auch gesetzlichen Einschränkungen, insbesondere in Bezug auf die präventive Informationsbeschaffung wie das Abhören von Telefonaten. Zudem untersteht der Finanzplatz nicht dem Zuständigkeitsbereich des NDB.
«Schon zu Beginn der 1990er-Jahre, als ich Chef des Nachrichtendienstes wurde, haben wir den Bundesrat darauf hingewiesen, dass nach dem Kalten Krieg eine Epoche der asymetrischen Bedrohung angebrochen war und wir mehr für den Schutz der Wirtschaft und des Finanzplatzes hätten tun sollen», hält Peter Regli fest. «Doch man hat nichts getan. Unsere nationale Sicherheitspolitik ist auf schönes Wetter ausgerichtet. Bei uns ist niemals etwas Gravierendes passiert. Das hat zu einer Passivität geführt. Doch das kann zu Problemen führen, wenn sich die Wolken verdichten.»
Die Regierung ist aber nicht ganz tatenlos geblieben. Das neue Nachrichtendienstgesetz befindet sich im Moment in Vernehmlassung. Das neue Gesetz räumt dem NDB neue Möglichkeiten zur Informationsbeschaffung ein, etwa bei der Überwachung der Telekommunikation.
Ausserdem ist eine Ausweitung der Aktivitäten in die Finanzbranche vorgesehen. Nach dem Fall Snowden halten viele Beobachter diesen Schritt für unausweichlich: «Der heutige Nachrichtendienst ist nicht für eine effiziente Gegenspionage gerüstet. Wir brauchen das neue Gesetz», erklärte kürzlich SVP-Nationalrat Pierre-François Veillon in der Tageszeitung Blick.
Auch für den ehemaligen Divisionär Peter Regli ist das neue Gesetz ein Schritt in die richtige Richtung, allerdings auf tiefem Niveau: «Die Gegenseite verfügt über Lanzen. Wir gehen von Militärmessern vielleicht zu Bajonetten über.»
Die grossen internationalen Organisationen, beispielsweise der UNO-Sitz in Genf, sind mit Sicherheit ein interessantes Objekt für die Geheimdienste. Tatsächlich fand man in den vergangenen Jahren wiederholt Abhöreinrichtungen im Palais des Nations.
Laut Peter Regli ist der wichtigste Schwachpunkt aber an anderer Stelle zu suchen: «Grosse Unternehmungen sind sich der Lage bewusst und unternehmen etwas. Ich sorge mich hingegen vor allem um die kleinen und mittleren Unternehmungen (KMU). Auf den Homepages dieser Firmen kann man häufig alles finden, von detaillierten Fabrikplänen bis zu den Namen der Manager.»
Diese Sichtweise deckt sich mit der Haltung des NDB, der bei den KMU ein grosses Verbesserungspotential erkannt hat. Seit 2004 sensibilisiert der NDB mit einem Präventions-Programm namens «Prophylax». Darin wird unter anderem vorgeschlagen, Kandidaten vor einer allfälligen Einstellung genauestens zu prüfen.
Vor kurzem hat der NDB ein ähnliches Programm lanciert, das sich speziell an Universitäten und Forschungseinrichtungen richtet. Die ETH Lausanne wollte auf Anfrage aber keine Details zu den eingeleiteten Massnahmen bekanntgeben.
Es ist unmöglich, das Ausmass von Spionage genau zu kennen. Auch für die Geheimdienste. «Viele Fälle von Wirtschaftsspionage kommen nie ans Licht, weil die Unternehmungen einen weiteren Informationsverlust im Falle von Prozessen und einen Reputationsschaden befürchten», hält der NDB fest.
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)
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