Beihilfe zum Suizid: Abstimmung unter Beobachtung
Im Kanton Zürich wird am 15. Mai über zwei Initiativen zur Suizidbeihilfe abgestimmt. Die in diesem Bereich tätigen Organisationen warnen vor einem Verbot. Die Abstimmung hat grosse Aussagekraft in Bezug auf die nationale Regelung der Suizidbeihilfe.
Die Slogans sind pointiert: «Freiheit am Lebensende!» gegen «Love life» auf der anderen Seite. Die zwei gegensätzlichen Komitees führen einen Kampf um die Abstimmung vom 15. Mai.
Es wird über zwei Volksinitiativen abgestimmt: Die Eine verlangt ein Verbot der Beihilfe zum Suizid, die andere ist gegen die Einschränkungen für die Züricherinnen und Zürcher.
Die Abstimmung wird auch ausserhalb des Kantons scharf beobachtet. Nicht nur, weil eine nächste Abstimmung zum Thema wahrscheinlich im Kanton Waadt stattfinden wird – diese betrifft die Regelung der Suizidhilfe in Altersheimen – sondern auch, weil der Bundesrat einen Vorschlag für ein Rahmengesetz über die Aktivitäten der Suizidhilfe-Organisationen machen muss.
Seit 1918 und der Verankerung im Strafgesetzbuch ist die Sterbebegleitung erlaubt, wenn kein egoistisches Motiv vorliegt (Artikel 115). Seit den Neunzigerjahren, als einige Skandale um Suizide von psychisch Kranken bekannt wurden und immer mehr Ausländer zum Sterben in die Schweiz kamen, erhöht sich der Druck auf die Politik.
Ein Dossier, drei Bundesräte
Der ehemalige Justizminister der Schweizerischen Volkspartei (SVP), Christoph Blocher, wollte an den bestehenden Regelungen nichts ändern. Seine Nachfolgerin aus der Bürgerlich-Demokratischen Partei (BDP), Eveline Widmer-Schlumpf, tendierte zum Gegenteil, sie wollte alles verbieten. Nun liegt der Ball bei der Sozialdemokratin Simonetta Sommaruga, die «in der ersten Jahreshälfte 2011» einen neuen Anlauf versprochen hat.
Deshalb hat die zürcherische Abstimmung grosse Aussagekraft. Selbst wenn niemand den beiden Initiativen Chancen zuspricht, «brauchen wir ein klares Resultat, um ein Signal an Simonetta Sommaruga zu senden», erklärt Bernhard Sutter, der Sprecher der Organisation Exit. Die Nicht-Umsetzbarkeit der beiden Initiativen ist fast sicher, besonders, weil sie das Prinzip der Nicht-Diskriminierung der Bürger verletzen.
Die Bundesrätin hat allerdings gesagt, dass sie sowohl die Suizidprävention als auch die Palliativpflege in ihrer Antwort miteinbeziehen will. Für die Parteien, welche die Beihilfe zum Suizid im Kanton Zürich verbieten wollen, die Evangelische Volkspartei (EVP) und die Eidgenössisch-Demokratische Union (EDU), sind jedoch die Beihilfe zum Suizid und die Palliativpflege Gegensätze.
Egoismus und Pietätslosigkeit
«Die Beihilfe zum Suizid ist die Frucht des Egoismus und von einer wachsenden Pietätslosigkeit. Danke an 1968», sagte Michael Welz von der EDU vor dem Zürcher Kantonsparlament. Das Komitee ist der Meinung, dass die Palliativpflege besser ist, sogar bei Schwerstkranken und am Ende des Lebens.
Dazu kommt gemäss der Gegner der Beihilfe zum Suizid, «dass das Bild von Zürich unter der Praxis der Suizidbeihilfe leidet». Nicht eingerechnet seien die Kosten der Steuerzahler, die pro Fall zwischen 3000 und 5000 Franken betragen. Damit würden die medizinischen Analysen bezahlt. «Die, die sich das Leben nehmen, sterben nicht in Würde, sondern in einer moralischen Not und in der Hoffnungslosigkeit», so die Gegnerschaft.
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Die Befürworter der Beihilfe zum Suizid weisen auf das Recht zur Selbstbestimmung hin, das in entsprechenden Umfragen von Schweizern regelmässig befürwortet werde. Zwischen 70 und 80 Prozent der Schweizer seien der Sterbebeihilfe günstig gesinnt. Im Gegenzug lehnt eine Mehrheit den so genannten Sterbetourismus ab.
Mehr «wilde» Selbsttötungen?
Die Sterbehilfe-Organisationen Exit und Dignitas, die keine gemeinsame Kampagne machen, warnen beide vor einem Verbot oder vor unüberwindbaren Hindernissen, um die Erlaubnis eines Arztes zu erhalten: «Ohne die Beihilfe zum Suizid werden noch mehr Menschen versuchen, sich auf gewaltsame Weise das Leben zu nehmen. Sie werfen sich vor den Zug oder springen von einer Brücke», argumentieren sie.
Gemäss einer deutschen Studie von Althaus&Ringel, die 2007 publiziert wurde, sind 30% der begangenen Suizide die Tat von Menschen, die unter mehreren Krankheiten leiden. Und rund 10% der Stürze und Autounfälle alter Menschen seien mit Absicht eingeleitet worden.
Diese Resultate wurden im Exit-Bulletin vom 4/2010 publiziert. Dieses gibt auch dem kanadischen Soziologieprofessor Russel D. Ogden eine Plattform. Für ihn ist das Schweizer System eines der Besten der Welt. «Alle Fälle von Beihilfe zum Suizid sind Gegenstand einer Untersuchung der Behörden und können dokumentiert werden», erklärt er.
Rückgriff auf Helium
Aber wenn der Bundesrat strengere Hürden einführt, um Beihilfe zum Suizid zu erhalten, «wird er die Kontrolle über das verlieren, was er erreichen will. Das Resultat wird sein, dass die Sorgfaltskriterien von den spezialisierten Organisationen weniger beachtet werden», so Ogden. Der Soziologe lehnt den Suizid mit Helium ab, der in den Ländern zunimmt, welche die Beihilfe zum Suizid verbieten.
Die Organisation Dignitas begleitet mehr als hundert Personen pro Jahr in den Tod. Das sind ein Drittel weniger als vor 2008, als in Zürich die Auflage eingeführt wurde, dass zweimal ein Arzt konsultiert werden muss, anstatt wie vorher einmal. Dignitas hat im Jahr 2008 viermal auf Helium zurückgegriffen, verzichtet aber seither darauf. Exit behauptet, noch nie Helium verwendet zu haben.
Das Bedürfnis einer alternden Bevölkerung, über die Wahlfreiheit zu verfügen, was die letzte Stunde betrifft, scheint grösser zu werden: Im Jahr 2010 wurden bei Exit 4000 Neueintritte verzeichnet. Insgesamt waren im April 2011 70’000 Personen bei Exit und Exit Suisse romande eingetragen. Das ist ein Rekord in der Geschichte der Organisation.
Im Kanton Waadt wird über einen Solidaritätsbatzen abgestimmt. Familien, denen der Lohn nicht zum Leben reicht und arbeitslosen älteren Menschen droht der Gang aufs Sozialamt.
Diesen Gang will der Kanton Waadt den Betroffenen ersparen und sie unterstützen. Bezahlen sollen diesen Zustupf Arbeitgeber, Arbeitnehmer und die Selbständigen.
Im Kanton Bern wird über ein neues Energiegesetz abgestimmt. Mit dem neuen Gesetz sollen erneuerbare Energien gefördert werden. Umstritten ist der Energieausweis für bereits bestehende Gebäude,
Der Kanton Schwyz stimmt über eine neue Kantonsverfassung ab. Diese ist das Ergebnis einer fünfjährigen Beratung.
Der Kanton Genf stimmt über die Städte-Initiative ab. Diese möchte den Langsamverkehr fördern, Verkehrswege für Velofahrende und Fussgänger ausbauen und die Sicherheit für den Langsamverkehr verbessern.
Im Kanton Thurgau wird über eine Initiative zur Pauschalbesteuerung abgestimmt. Die Initiative schlägt vor, die Pauschalbesteuerung abzuschaffen.
Das Stimmvolk des Kantons Uri äussert sich zu mehr Sicherheit im Gotthard-Strassentunnel und einer starken Urner Volkswirtschaft. Nach Annahme der Volksinitiative soll sich Uri mit einer Standesinitiative für eine zweite Röhre im Gotthard (ohne Kapazitätserhöhung ) einsetzen.
Die Kantone Zürich und Basel stimmen über Mundart im Kindergarten ab.
Übertragung aus dem Französischen: Eveline Kobler
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