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Auslandschweizerin in Israel: «Bei Raketenalarm gehen wir ins Treppenhaus, möglichst weit weg von Glas»

Raketeneinschlag auf ein Gebäude bei Tel Aviv
Keystone / Abir Sultan

Monique Heymann gehört zu den knapp 23'000 Schweizer Bürger:innen in Israel und engagiert sich im Auslandschweizer-Rat. Im Gespräch mit SWI swissinfo.ch erzählt sie, wie sie die letzten Tage erlebt hat und was das einzige ist, was man aus der Ferne tun kann: Sich melden und Anteil nehmen.

SWI swissinfo.ch: Seit Samstagmorgen hat die islamistische Hamas tausende Raketen auf Israel abgeschossen. Parallel dazu sind Hamas-Kämpfer aus Gaza in Israel eingedrungen, haben Zivilist:innen massakriert und entführt. Wie haben Sie die Tage seit Beginn dieses Kriegs erlebt?

Monique Heymann: Ich wohne in Jaffa, dem arabisch geprägten Teil von Tel Aviv.

Am Samstagmorgen bin ich um halb 7 vom Raketenalarm geweckt worden ist. Es ist nicht angenehm so aufzuwachen, aber wir wissen schon, was dann zu tun ist. Ab Alarm haben wir anderthalb Minuten, um uns in einen Bunker zu begeben.

Im alten Gebäude, wo wir wohnen, gibt es aber keinen Schutzraum. Wir gehen ins Treppenhaus, kauern möglichst weit weg von Glas. Das Treppenhaus ist der stabilste Teil eines Gebäudes.

Wenn der Iron Dome-Schild die Rakete abfängt, hört man ein Boom. Dann soll man noch zehn Minuten abwarten. Samstagmorgen erlebten wir einige Alarme, dann am Abend nochmals drei. Seither ist es ruhiger. Gerade vorhin hörte ich zwar wieder einen Raketenalarm, aber nicht direkt bei uns im Quartier.

Monique Heymann in Tel Aviv
Ein Bild aus helleren Tagen: Monique Heymann am Strandgeländer, hinter ihr in der Ferne die Skyline von Tel Aviv. zur Verfügung gestellt

Trotzdem arbeiten Sie an diesem Montag.

Genau. Die internationale Hightech-Firma, in der ich arbeite, unterstützt uns in dieser Situation sehr. Wir können arbeiten, wenn es geht. Meine Mitarbeitenden in Israel sind momentan meist on-off, weil viele von ihnen gleichzeitig Kinder betreuen müssen. Freunde einer Arbeitskollegin gelten als vermisst.

Viele meiner Mitarbeitenden mussten als Reservist:innen in die Armee einrücken. Mir tut das Arbeiten gut. Ich lenke mich damit ab und wäre sonst dauernd am Rumscrollen und würde mich konstant den Bildern in den News und den Sozialen Medien aussetzen.

Im Nahostkonflikt ergreifen bei jeder Eskalation international viele Menschen reflexhaft Partei, als wäre es ein Fussballspiel. Was entgegnen Sie jenen in den Sozialen Medien, die aus der Ferne alles besser wissen?

Ich kommentiere sowas nicht. Ich ärgere mich persönlich, wenn ich etwas sehe.

In Israel leben fast 23’000 Menschen mit Schweizer Bürgerrecht. Hören Sie von vielen, die nun Wege suchen, das Land zu verlassen?

Selbst habe ich von niemandem gehört, der hier lebt und ans Gehen denkt. Aber mein Kollege im Auslandschweizer-Rat hat anscheinend viele Anrufe bekommen. Für mich wäre es auch keine Option zurückzukehren.

Wie die meisten Schweizerinnen und Schweizer in Israel bin ich Doppelbürgerin. 2014 habe ich Alija gemacht, der israelische Staat unterstützt sämtliche jüdische Menschen überall auf der Welt bei der Einreise und Erlangung der Staatsbürgerschaft. An die Rückkehr in die Schweiz denke ich also nicht, aber ich verstehe mich auch als Schweizerin, eben als Auslandschweizerin. Deshalb engagiere ich mich auch in dieser Community.

Wie beurteilen Sie das Verhalten der Schweizer Behörden für die Bürger:innen in Israel in den letzten Tagen?

Am Samstabend haben wir ein hilfreiches Mail von der Botschaft bekommen, wo wir informiert wurden, wie man sich auf der TravelAdmin-App melden kann. Aber das ging natürlich an hier wohnhafte Schweizerinnen und Schweizer – nicht an jene, die Ferien machen.

Für Touristinnen und Touristen war es wahrscheinlich herausfordernder. Über eine Ecke habe ich gehört, manche wussten nicht, wie sie mit der Botschaft in Kontakt treten können. Natürlich ist es wichtig, dass alle, die heimwollen, ausgeflogen werden können. Ich finde es sehr schwierig.

Momentan scheint offen, ob es von Seiten der Schweiz noch Notfallflüge gibt. Ich bin allerdings da kaum involviert, sondern versuche für Schweizerinnen und Schweizer, die hier wohnen, da zu sein, wenn sie ein Problem haben.

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Was für politische Massnahmen soll die Schweiz nun ergreifen?

Die Schweiz muss die Hamas unbedingt als Terrororganisation anerkennen. In den Medien habe ich gelesen, dass die parlamentarische «Freundschaftsgruppe Schweiz – Palästina» vor dem Aus steht. Das finde ich gut.

Was ich eher kritisch sehe ist, dass bis Montagnachmittag noch niemand aus dem Bundesrat die Attacke der Hamas klar verurteilt hat. Vielleicht geht das wegen der Neutralität nicht, aber ich finde das fragwürdig.

Was sagen Sie Ihren Freund:innen und Bekannten in der Schweiz und anderswo, die Wege suchen, um zu helfen?

Sich zu melden ist das Einzige, was ihr machen könnt. Ihr könnt uns schreiben, und an uns denken. In Israel unterstützen wir uns gegenseitig mental. Ich bekomme aber auch viele Nachrichten aus der Schweiz und viele melden sich auch bei meinen Eltern, die in der Schweiz leben. Das ist auch für meine Eltern gut. Die Anteilnahme ist sehr gross.

Editiert von Marc Leutenegger.

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