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Berlusconi verführt Wähler mit Milliarden aus der Schweiz

Wahlkampf mit den Geldern in der Schweiz: Berlusconi. Keystone

Der ehemalige italienische Ministerpräsident will die Immobiliensteuer auf Eigenheimen nicht nur abschaffen, sondern dank eines Steuerabkommens mit der Schweiz auch zurückerstatten. Diese Idee brachte ihm im Wahlkampf Aufmerksamkeit. Realistisch ist sie nicht.

«In der ersten Sitzung des Ministerrats werden wir die Rückerstattung der Immobiliensteuer auf das erste Eigenheim beschliessen. Innerhalb von weiteren fünf Jahren werden wir die Regionalsteuern (Irap) abschaffen.» Mit diesem Versprechen hat Silvio Berlusconi am 3.Februar, drei Wochen vor den Neuwahlen in Italien, einen Pflock eingeschlagen. Seine politischen Gegner sprechen von Luftschlössern.

Doch wo nimmt Berlusconi die 4 Milliarden Euro her, die nötig sind, um die Eigenheimsteuer von 2012 zurückzuerstatten? Und wie gleicht er die 4 Milliarden Euro an fehlenden Einnahmen für 2013 aus? Was passiert mit den 35 Milliarden fehlender Irap-Steuererträge? «Die Gelder nehmen wir aus dem Steuerabkommen mit der Schweiz und der Zinsbesteuerung unserer Landsleute in der Schweiz. Das gibt einmalig 25-30 Milliarden Euro und danach jährlich 5 Milliarden», sagte Berlusconi.

Die Steuerabkommen, welche die Schweiz mit Grossbritannien und Österreich abgeschlossen hat, erlauben es, dass die Bankkunden ihre Anonymität wahren. Mit Deutschland ist ein entsprechendes Abkommen gescheitert.

Für die Vergangenheit wird gemäss diesem Modell eine pauschale Nachversteuerung auf das nicht deklarierte Kapital in der Schweiz erhoben.

Der Steuersatz zur Regularisierung der Vergangenheit beträgt für Gelder von britischen Staatsbürgern auf Schweizer Banken zwischen 19% und 34%, in Abhängigkeit von der Dauer der Bankverbindung und der Höhe des Vermögens.

Für Österreich liegt der Ansatz zwischen 15% und 38%.

Nach der Regularisierung der Vergangenheit beträgt die Abgeltungssteuer für britische Vermögen in der Schweiz: 48% auf Zinsen, 40% auf Dividenden, 27% auf Veräusserungsgewinne.

Für Österreich beträgt der Ansatz einheitlich 25%.

Wie viel italienisches Kapital liegt in der Schweiz?

Beim Schweizer Staatssekretariat für internationale Finanzfragen (SIF), das für die Verhandlungen in den Steuerdossiers verantwortlich zeichnet, will man sich zu den von Berlusconi genannten Zahlen nicht äussern. Doch von unterschiedlichster Seite wurden diese Summen als unrealistisch bezeichnet.

Dieser «schockierende Vorschlag», wie er in italienischen Medien genannt wurde, würde wahrscheinlich in England als reines Wunschdenken abgebucht. Denn niemand weiss wirklich, wie viel Kapital von Italienern auf Schweizer Bankkonten schlummert. Es lassen sich nur Hypothesen aufstellen.

Im Jahr 2009, als Italien eine erste Steueramnestie lancierte, hat die italienische Steuerbehörde geschätzt, dass 300 Milliarden Euro dank dieser Massnahme repatriiert werden könnten, davon allein 125 Milliarden aus der Schweiz. Ein Jahr später gab die Banca d’Italia bekannt, dass rund 85 Milliarden Euro effektiv repatriiert wurden, davon 60 Mrd. aus der Schweiz.

Nimmt man diese Berechnungen als Grundlage, würden sich noch rund 70 Milliarden Euro an unversteuerten Geldern aus Italien in der Schweiz befinden. Dazu könnten in den letzten Monaten noch einige neue Milliarden gekommen sein.

Risiko einer Kapitalflucht

Nimmt man einen Ansatz für eine Abgeltungssteuer zwischen 21% und 41%, so wie es im Abkommen zwischen der Schweiz und Deutschland vorgesehen war, könnten einmalig 14 bis 28 Milliarden Euro in die italienischen Staatskassen fliessen. Die von Berlusconi genannten Zahlen scheinen somit gar nicht so unrealistisch zu sein.

Problematisch ist aber die Prämisse der ganzen Rechnung. Denn man geht davon aus, dass alle nicht deklarierten Gelder legalisiert werden und sich durchwegs die höchsten Steueransätze anwenden lassen. Doch warum sollten Personen, die nicht einmal bei der Steueramnestie mit niedrigen Strafsteuern von 5%  mitgemacht haben, bei wesentlich höheren Ansätzen mitmachen?

Die Absicht Berlusconis, mit der Schweiz rasch ein Steuerabkommen abzuschliessen, steht im Widerspruch zur Meinung seines ehemaligen Finanz- und Wirtschaftsministers Giulio Tremonti.

Während seiner Amtszeit hat Tremonti stets den Abschluss eines Abkommens mit der Schweiz bekämpft. Vor kurzem erneuerte er seine Ansicht, wonach er mit der EU einig sei, dass keine bilateralen Steuerabkommen zwischen Italien und der Schweiz abgeschlossen werden sollten.

Vorsicht keine Tugend

«Wir haben über die konkreten Ansätze für die Abgeltungssteuern noch nicht gesprochen», präzisiert SIF-Sprecher Mario Tuor. In Schweizer Bankenkreisen spricht sich für einen Ansatz zwischen 10% und 15% aus. «Eine Steuer von 10% wäre realistisch. Andernfalls würde die italienische Kundschaft ihr Vermögen wohl an einen anderen Finanzplatz verlagern und Italien am Ende gar nichts einkassieren», erklärte Franco Citterio, Direktor der Tessiner Bankiervereinigung, in einem Interview mit dem Corriere del Ticino.

Doch Vorsicht im Umgang mit Zahlen gehört sicherlich nicht zu den Tugenden im italienischen Wahlkampf. In Deutschland äusserte man sich beispielsweise wesentlich zurückhaltender. Dabei ging es dort um einen Betrag von 200 Milliarden Euro, welche deutsche Staatsangehörige nicht deklariert auf Schweizer Konten geparkt haben.

Bevor der deutsche Bundesrat (Länderkammer) im November 2012 das Steuerabkommen versenkte, sprach Finanzminister Wolfgang Schäuble von möglicherweise 10 Milliarden Euro, die Deutschland durch die Abgeltungssteuer als einmaligen Betrag für die Nachversteuerung von Kapitalvermögen erhalten könnte. Und man kann davon ausgehen, dass Schäuble die Schätzung hoch angesetzt hat, um die Bundesländer zum Einlenken zu bewegen. Die Opposition sprach denn auch von höchstens 4 bis 4 Milliarden Euro.

5 Milliarden in den Folgejahren?

Zurück nach Italien: Es wäre interessant zu wissen, wie Berlusconi auf die Zahl von 5 Milliarden Euro kommt, die er durch Kapitalgewinnsteuern pro Jahr einkassieren will. In den Steuerabkommen, welche die Schweiz abgeschlossen hat, wird der gleiche Steueransatz gewählt wie im Ursprungsland. Konkret: Für Grossbritannien werden 48% auf Zinsen und 40% auf Dividenden erhoben. In Deutschland schätzte die Regierung, dass pro Jahr 750 Millionen Euro an den deutschen Fiskus geflossen wären.

Wo kommen demnach die fünf Milliarden Euro her? Die Presseabteilung von Berlusconis Partei Popolo della libertà hat nicht auf eine entsprechende Anfrage von swissinfo.ch geantwortet.

Theoretisch müssten die italienischen Vermögen das Dreifache ihres Wertes ausmachen, denn die Ansätze in Italien zur Kapitalgewinnbesteuerung liegen wesentlich tiefer als in Grossbritannien oder Deutschland.

Geht man von der Hypothese aus, dass das italienische Kapital in der Schweiz sich auf 100 Milliarden beläuft, müsste der jährliche Gewinn bei 15% liegen. Solche Gewinnmargen sind wohl nur mit hochriskanten Anlagen in Risikoländern zu erreichen. Mit normalen Bankkonten, die momentan bestenfalls 1,5% im Jahr abwerfen, ist dies sicherlich nicht zu machen.

Viel Zeit nötig

Wie auch immer: Die Diskussionen über ein allfälliges Steuerabkommen befinden sich im Moment sowieso an einem toten Punkt, nachdem SFI-Experte Oscar Knapp im vergangenen November noch auf einen Abschluss bis Ende 2012 hoffte.

Doch dann trat die Regierung Monti zurück und Neuwahlen wurden anberaumt. «Ab diesem Moment war es klar, dass die italienische Regierung keine politischen Entscheide mehr fällen und auch die Verhandlungen mit mehr weiterführen konnte. Seither gibt es Treffen von Experten, um einige technische Fragen zu klären. Aber ein konkreter Zeitplan zum Abschluss eines Steuerabkommens existiert nicht mehr», sagt Mario Tuor.

Mit Grossbritannien war das Steuerabkommen im August 2011 parafiert und im März 2012 nochmals nachgebessert worden. Es trat zu Beginn dieses Jahres in Kraft.

Sollten sich Bern und Rom einigen, muss das ausgehandelte Abkommen den jeweiligen Parlamenten vorgelegt werden. In der Schweiz könnte ein Ja des Parlaments noch mit dem Referendum bekämpft werden. Die Lega dei Ticinesi hat bereits mit diesem Schritt gedroht, falls die Abgeltungssteuer zu hoch angesetzt werden sollte. Bevor Italien erste Gelder aus der Abgeltungssteuer einsackt, dürften also noch vier bis fünf Jahre vergehen – wenn es überhaupt so weit kommen sollte.

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