Bern verhandelt mit Damaskus über humanitäre Hilfe
Während in Genf die Friedensgespräche zu Syrien nicht vom Fleck kommen, verhandelt die Schweiz mit Damaskus über ein Dokument, das der humanitären Aktion gegenüber dem syrischen Roten Halbmond mehr Freiheiten erlauben würde. Interview mit dem Schweizer Unterhändler Manuel Bessler.
Manuel Bessler, Chef des Schweizerischen Korps für Humanitäre Hilfe (SKH), reiste letzte Woche nach Teheran an ein Treffen mit dem iranischen Vizeaussenminister Hossein Amir-Abdollahian und seinem syrischen Amtskollegen Houssameddine Ala.
Es ging darum, die Regeln für den Einsatz von Hilfswerk-Mitarbeitern zu erleichtern, die von Damaskus via den syrischen Roten Halbmond auferlegt worden waren. Damaskus sollte nächstens zu den Schweizer Vorschlägen Stellung nehmen.
swissinfo.ch: Wie setzt sich die Schweiz ein, damit der humanitäre Einsatz in Syrien erleichtert werden kann?
Manuel Bessler: Die Schweiz arbeitet auf verschiedenen Ebenen. Wir sind zusammen mit unseren Partnern, dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK), dem Flüchtlings-Hochkommissariat (UNHCR), dem Welternährungs-Programm und den internationalen sowie syrischen Nichtregierungs-Organisationen (NGO) vor Ort tätig.
Wir stellen zudem Organisationen wie dem UNHCR Experten des Schweizerischen Korps für Humanitäre Hilfe zur Verfügung. Eine weitere Schiene sind die Projekte, welche die Schweiz in der Region umsetzt, etwa in Jordanien und im Libanon.
Die humanitäre Diplomatie ist die vierte Achse unserer Aktion. In Teheran haben wir pragmatische Diskussionen über die Bedingungen der humanitären Arbeit geführt, etwa in Sachen Sicherheit, Zugang, Mobilität in Syrien, Visafragen oder Funkgeräte, damit die humanitären Teams kommunizieren können. Es ging darum, über Fragen zu diskutieren, die alleine Damaskus verbessern kann.
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Aus der Sicht eines Schweizer Helfers
swissinfo.ch: Welche Haltung nimmt dabei Damaskus ein?
M.B.: Es wurden Zusagen gemacht, die allerdings noch bestätigt werden müssen. Die Hilfswerk-Mitarbeiter müssen demnach mit dem Roten Halbmond eine Erklärung unterzeichnen, die restriktive Klauseln beinhaltet.
In Bern haben wir unsere Kommentare zu diesem Dokument verfasst, um diese Vorschriften, die den Hilfswerk-Mitarbeitern auferlegt werden, zu mildern. Unsere Beobachtungen werden wir Damaskus nun mitteilen.
swissinfo.ch: Haben diese Beobachtungen eine Chance, von Damaskus akzeptiert zu werden?
M.B.: Ich hoffe wirklich, dass Damaskus unsere Kommentare berücksichtigt. So ist es zum Beispiel äusserst wichtig, den humanitären Mitarbeitern zu erlauben, dass sie vor Ort ihre eigenen Evaluationen ausführen können, was zur Zeit nicht möglich ist.
Ein weiterer Punkt betrifft die Einstellung lokaler Mitarbeiter, ohne dass man dabei via syrischen Roten Halbmond gehen muss.
Wir verlangen nichts Unmögliches, sondern konkrete Verbesserungen für den humanitären Einsatz in Syrien. Und wir müssen mit allen reden, die auf diesem Krisengebiet Einfluss haben.
Seit Anfang der Krise im März 2011 hat die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) insgesamt 85 Millionen Franken für die Hilfe an der betroffenen Bevölkerung eingesetzt.
Mit diesem Beitrag unterstützt die Deza das IKRK, Organisationen der UNO (OCHA, UNHCR, WFP, FAO, UNICEF und UNRWA) wie auch nationale und internationale NGO.
Die Schweiz setzt sich für eine politische Lösung der syrischen Krise ein. Sie unterstützt die politische Mission des gemeinsamen Sondergesandten der Arabischen Liga und der UNO.
Im Rahmen der Vollversammlung und des UNO-Menschenrechtsrats hat die Schweiz bei verschiedenen Gelegenheiten verlangt, dass der UNO-Sicherheitsrat die syrische Situation vor den Internationalen Strafgerichtshof bringt, damit Kriegsverbrecher oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit – egal auf welcher Seite sie kämpfen – nicht ungestraft bleiben.
Die Schweiz unterstützt die Untersuchungskommission des Menschenrechtsrats. Sie verlangte die Verlängerung des Mandats für diese Kommission, zu der auch die ehemalige Chefanklägerin des Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien, Carla Del Ponte, gehört.
(Quelle: Deza)
swissinfo.ch: Wird die humanitäre Hilfe zur Geisel der politischen Verhandlungen, die derzeit in Genf und New York stattfinden?
M.B.: Für uns ist es wichtig, dass die humanitären und politischen Diskussionen auseinandergehalten werden. Die humanitäre Hilfe ist keine Geisel der politischen Verhandlungen, denn wir können vor Ort arbeiten. Das Welternährungs-Programm kann vier Millionen Menschen in Syrien versorgen. Das IKRK hat Zugang in Syrien, die NGO ebenfalls – auch wenn die Schwierigkeiten gewaltig sind.
Das ändert aber nichts daran, dass die Bedürfnisse enorm sind. Und es ist unmöglich, eine ganzheitliche Antwort zu geben. Gewisse Gebiete sind sehr schwer zugänglich. So ist es zum Beispiel nicht möglich, regelmässig nach Aleppo oder in gewisse Quartiere von Damaskus zu gehen. Daher benutzen wir alle zur Verfügung stehenden Kanäle, um so viele Menschen wie möglich zu erreichen.
swissinfo.ch: Wie steht es Ihrer Einschätzung nach um die humanitären Bedürfnisse vor Ort?
M.B.: Mehr als 11 Millionen Syrer sind tagtäglich auf humanitäre Hilfe angewiesen, darunter 2,3 Millionen, die als Flüchtlinge in angrenzenden Staaten leben. Unter den 9 Millionen in Syrien sind 6,2 Millionen intern Vertriebene, Zivilpersonen, die alles verloren haben. Sie sind also ganz besonders verwundbar.
Rund 250’000 Personen sitzen in belagerten Zonen in den Städten Aleppo und Damaskus in der Falle. Nach langen diplomatischen Gesprächen in Genf können die Belagerten von Homs teilweise die Stadt verlassen. Ein Hoffnungsschimmer.
(Übertragen aus dem Französischen: Gaby Ochsenbein)
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