Berufslehre für junge illegale Einwanderer
Jugendliche Einwanderer ohne gültige Papiere sollen in der Schweiz künftig eine Berufslehre absolvieren können. Der Ständerat hat als Zweitrat eine entsprechende Motion gutgeheissen. Nun muss der Bundesrat das geltende Gesetz ändern.
Der Entscheid fiel äusserst knapp aus: Mit 23 zu 20 Stimmen sagte der Ständerat Ja zur Motion des christlich-demokratischen Genfer Nationalrats Luc Barthassat.
Eine weiter gehende Motion vom Genfer Antonio Hodgers von den Grünen lehnte der Rat dagegen mit 22 zu 16 Stimmen ab. Zu einer Standesinitiative des Kantons Neuenburg sagte er mit 22 zu 21 Stimmen Nein.
Der Nationalrat hatte sich ebenfalls dafür ausgesprochen, dass Jugendliche Papierlose eine Berufslehre absolvieren dürfen. Damit muss der Bundesrat nun eine Lösung ausarbeiten.
Integration im Vordergrund
Die Mehrheit in der kleinen Kammer vertrat die Auffassung, die gegenwärtige Situation sei ungerecht: Jugendliche ohne Aufenthaltsbewilligung können heute studieren, aber keine Berufslehre absolvieren. Es gehe nicht an, die Jugendlichen, die keinerlei Schuld an ihrer Situation hätten, auf die Strasse zu schicken, argumentierten die Befürworter.
Manche verwiesen dabei auf die Diskussionen über Integration und Kriminalität. Eine Berufslehre sei die beste Integration, argumentierten sie. Die Alternative sei Kleinkriminalität, sagte die Basler Sozialdemokratin Anita Fetz.
«Wir sollten die Gelegenheit ergreifen, eine pragmatische Lösung zu finden», forderte ihr Freiburger Parteikollege Alain Berset.
Zu den Befürwortern aus den Reihen der Linken gesellten sich viele Vertreter der Bürgerlichen. «Sind wir wirklich so hart, dass wir diesen jungen Menschen keine Chance geben?», fragte die freisinnige Helen Leumann aus Luzern.
Warnung vor falschen Signalen
Die Gegner vertraten die Auffassung, dass das Problem nur verlagert werde, wenn Jugendliche ohne Rechtsstatus eine Berufslehre absolvieren dürften. Diese Jugendlichen befänden sich weiterhin illegal in der Schweiz und hätten nach der Lehre keinen Zugang zum Arbeitsmarkt.
Vertreter der SVP brachten darüber hinaus prinzipielle Einwände vor. «Sans Papiers sind Gesetzesbrecher», sagte der Aargauer Maximilian Reimann von der rechtsnationalen Schweizerischen Volkspartei (SVP). Die Schweiz dürfe nicht «zu einem Hort illegaler Zuwanderer degenerieren.» Hannes Germann, auch er von der SVP, warnte vor falschen Signalen: Es dürfe nicht sein, dass legal werde, was lange genug illegal sei.
Auch Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf sprach sich gegen eine Änderung der heutigen Praxis aus. Die Kantone hätten heute schon die Möglichkeit, in Härtefällen den Status von Sans Papiers zu regeln, gab sie zu bedenken.
Die Frage der Berufslehre für Sans Papiers gibt insbesondere in der Westschweiz zu reden: Die Stadt Lausanne hatte angekündigt, papierlosen Jugendlichen eine Lehre ermöglichen zu wollen – und war damit auf Kritik gestossen. Nun erhält sie Unterstützung.
Gewerkschaft erfreut
Travail.Suisse, die Dachorganisation von 170’000 Arbeitnehmenden, zeigte sich über die Annahme der Motion durch den Ständerat erfreut. Mit der Möglichkeit zu einer Berufslehre für junge Papierlose («Sans Papiers») werde verhindert, dass in Zukunft wertvolle Talente verschwendet würden.
Junge Menschen dürften nicht für die rechtliche Situation ihrer Eltern bestraft werden, schrieb die Gewerkschaft weiter.
Weder völlig ablehnend noch begeistert zeigte sich Thomas Daum, Direktor des Arbeitgeberverbands. Für Arbeitgeber, die Lehrstellen an Sans Papiers vergeben wollten, sei es wichtig, dass sie künftig nichts Verbotenes machten, sagte er.
Es gebe Argumente für und gegen die Berufslehre für Sans Papiers. Die Zukunft der Jugendlichen bleibe aber unklar: «Nach der Lehre haben die Sans Papiers keinen Zugang zum Arbeitsmarkt», gab Daum zu bedenken.
Gewerbe dagegen
Skeptisch reagierte dagegen der Gewerbeverband. «Berufslehren für Sans Papiers sind nicht im Sinne der KMU», sagte der Direktor Hans-Ulrich Bigler. Wenn Unternehmen Lehrverträge mit den illegal in der Schweiz lebenden Eltern abschliessen müssten, manövrierten sie sich in eine rechtsfreie Zone.
«Etwa bei einem Lehrabbruch sind die Probleme vorprogrammiert», so Bigler. Er glaube deshalb nicht, dass sich viele KMU darauf einliessen, Sans Papiers als Lehrlinge einzustellen.
swissinfo.ch und Agenturen
In der Schweiz halten sich rund 10’000 junge Ausländer ohne Papiere auf. Dies die vorsichtige Schätzung des Forschungsinstituts gfs.bern aus dem Jahr 2004.
Gemäss einer aktuellen Schätzung des Schweizerischen Städteverbands wollen jedes Jahr zwischen 200 und 400 jugendlichen Sans Papiers eine Berufslehre absolvieren.
Gemessen an den rund 80’000 Lehrverträgen, die alljährlich abgeschlossen werden, sind das 0,25 bis 0,5 Prozent.
Zwischen 300 und 500 junge Papierlose beenden jährlich die obligatorische Schulzeit. Sie können problemlos ein Studium in Angriff nehmen.
Dies sei eine Ungleichbehandlung jener, die eine Lehre machen wollen, kritisierte der Städteverband
Die meisten jungen Papierlosen leben in den Städten und Agglomerationen.
Aus Furcht vor Entdeckung führen sie ein diskretes Leben, um jeglichen Kontakt mit Behörden zu vermeiden.
Vor allem in der Westschweiz hat sich eine Solidaritätsbewegung mit jungen und erwachsenen Sans Papiers gebildet. Diese sind aber ein gesamtschweizerisches Phänomen.
Neuenburg war der erste Kanton, der jungen Papierlosen den Besuch des Gymnasiums ermöglichte.
Neuenburg reichte auch eine Standesinitiative ein, welche die Ermöglichung einer Berufslehre für junge Papierlose verlangt.
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