Beziehungen zur EU als heisses Wahlkampfthema
Ein gutes Jahr vor den Eidgenössischen Wahlen 2015 sprühen die ersten Funken zwischen den politischen Parteien. Der ausgesprochen frühe Beginn des Wahlkampfs hängt eng mit der Ungewissheit über die künftigen Beziehungen zur Europäischen Union zusammen. Das Thema dürfte eine zentrale Stellung bei den politischen Debatten im Vorfeld der Wahlen einnehmen.
Die rechtsnationale Schweizerische Volkspartei (SVP) musste im September herbe Kritik einstecken. Ihre Sprache und Rhetorik gleiche «der nationalsozialistischen Rhetorik der 1930er-Jahre in Deutschland». Die Partei manifestiere «faschistoide Züge». Diese Aussagen von Präsidenten anderer politischer Parteien über die SVP wirbelten einigen Staub auf.
Tatsächlich lässt sich angesichts eines solchen verbalen Schlagabtausches eine heftige Debatte in Hinblick auf die Eidgenössischen Wahlen vom 18. Oktober 2015 erwarten. Mit Sicherheit lässt sich jetzt schon festhalten, dass sich das gegenwärtige politische Klima eindeutig von den letzten Wahlen unterscheidet.
2011 hatte die SVP einmal mehr versucht, die Ausländerfrage ins Zentrum des Wahlkampfs zu rücken. Damals wurde mit provokativen Texten und Wahlplakaten gearbeitet, auf denen man beispielsweise Ausländer mit schwarzen Stiefeln sah, die das Schweizer Territorium verwüsten.
Die anderen Parteien versuchten, diese Kampagne weitgehend zu ignorieren und auf eigene Themen zu setzen. Damit wollen sie vermeiden, auf das Spiel der SVP einzutreten, die in vier aufeinanderfolgenden Wahlen gesiegt hatte und zur wählerstärksten Partei der Schweiz wurde.
Aber keiner Partei gelang es, sich mit einem eigenen Thema durchzusetzen. Der Wahlkampf fiel recht flau aus. Dies spiegelte sich schliesslich im Wahlergebnis: Alle grossen Parteien mussten Wählerverluste in Kauf nehmen. Die SVP, die Sozialdemokratische Partei (SP), die Freisinnig-Demokratische Partei (FDP.Die Liberalen), die Christlichdemokratische Volkspartei (CVP) sowie die links orientierte Grüne Partei. Als Gewinner gingen zwei neue Mitteparteien aus den Wahlen von 2011 hervor: Die Bürgerlich-Demokratische Partei (BDP) sowie die Grünliberale Partei (GLP).
Getrübte wirtschaftliche Perspektiven
Dieses Mal scheint sich der Wahlkampf hingegen schon ein Jahr vor dem Urnengang voll entflammt zu haben. Und nach der im Februar vom Volk angenommenen Masseneinwanderungs-Initiative schält sich bereits ein Topthema heraus: die künftigen Beziehungen zur Europäischen Union (EU).
Bis Ende Jahr will die Regierung ihre Vorschläge vorlegen, wie diese Volksinitiative umgesetzt werden soll, welche die Einführung von Kontingenten für ausländische Arbeitskräfte vorsieht. 2015 stehen somit schwierige Verhandlungen mit Brüssel und intensive innenpolitische Debatten an.
Einwanderung bremsen
Die Schweizer Regierung will bis Ende Jahr einen Gesetzesentwurf zur Einwanderungs-Initiative vorlegen, die am 9. Februar 2014 von einer hauchdünnen Mehrheit des Schweizer Stimmvolkes angenommen wurde.
Die von der SVP lancierte Initiative hält fest, dass die Zuwanderung von Ausländern in die Schweiz über Höchstzahlen und jährliche Kontingente gebremst und geregelt werden muss. Diese neuen Regelungen betreffen auch EU-Bürger.
Diese Art der Kontingentierung stellt aber eine Verletzung der Personenfreizügigkeit dar, die im bilateralen Vertrag mit der EU geregelt ist. Sie gehört zu den Grundfreiheiten im Bilateralen Vertrag I, der 1999 zwischen der Schweiz und der EU abgeschlossen wurde.
Nach Ansicht der SVP kann dieser Vertrag gekündigt und neu ausgehandelt werden. Die anderen politischen Parteien befürchten hingegen, dass im Falle einer Kündigung das ganze Vertragswerk hinfällig wird.
Sämtliche Parteien der Mitte und des linken Lagers sind überzeugt, dass die SVP mit dieser Initiative nicht nur die Ausländer trifft, sondern auch die wirtschaftlichen Interessen der Schweiz angreift. Grund: Die Kontingente seien unvereinbar mit der Personenfreizügigkeit. Somit würden die bilateralen Beziehungen mit der EU aufs Spiel gesetzt, welche den Zugang von Schweizer Unternehmen zum europäischen Markt garantierten. Anders gesagt: Die Umsetzung der Initiative stelle eine Bedrohung für die wirtschaftliche Entwicklung der Schweiz dar, die fast 60% ihrer Handelsbeziehungen mit den 28 EU-Ländern unterhält.
«Zu den wichtigsten Themen bei den Eidgenössischen Wahlen gehören die Massnahmen zur Erhaltung einer gesunden Wirtschaft. Wir werden uns für die Sicherung der bilateralen Verträge mit der EU einsetzen, dank derer die Schweizer Wirtschaft in den letzten Jahren erfolgreich war», hält CVP-Vizepräsident Dominique de Buman fest. Und weiter: «Für einige Wählerstimmen ist die SVP bereit, die bilateralen Verträge aufzukündigen und die Schweiz in die Isolation zu drängen. Das hätte katastrophale Konsequenzen.»
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Verteidigung der Souveränität
«Unser wichtigstes Ziel ist es, die Unabhängigkeit und Sicherheit der Schweiz zu retten», erwidert SVP-Wahlkampfleiter Albert Rösti. «Wir sind die einzige Partei, die sich dem schleichenden EU-Beitritt widersetzt. Brüssel verlangt von der Schweiz einen neuen Vertrag, wonach wir die Weiterentwicklungen des EU-Rechts automatisch übernehmen müssen. So verlieren wir unsere Souveränität», argumentiert er.
Die SVP will alles unternehmen, um die «Unabhängigkeit und Sicherheit der Schweiz» zu gewährleisten. Aus diesem Grund hat sie sogar zwei neue Volksinitiativen angekündigt. Die erste will das Asylrecht in der Schweiz radikal einschränken. Die zweite Initiative will in der Verfassung festschreiben, dass Schweizer Recht höher gewertet wird als internationales Recht (Völkerrecht).
«Wir stellen fest, dass die Regierung und die anderen Parteien alles tun, um unsere Volksinitiativen zur Ausweisung krimineller Ausländer und zum Einwanderungsstopp nicht umzusetzen, weil sie angeblich europäisches und internationales Recht verletzen. Das ist inakzeptabel, weil diese Initiativen vom Volk angenommen wurden. Das internationale Recht kann nicht höher gewertet werden als das Schweizer Recht», hält Rösti fest.
Beziehungen Schweiz- EU
Die EU ist der wichtigste Handelspartner für die Schweiz. Im Jahr 2013 gingen 56% der Schweizer Exporte in die 28 EU-Länder. Bei den Importen in die Schweiz beträgt der EU-Anteil 75%.
Die Schweiz ist für die EU der zweitwichtigste Aussenhandelspartner und wird nur von den USA übertroffen. 2013 gingen fast 10% der Exporte aus der EU in die Schweiz. Umgekehrt steht die Schweiz für die EU in Bezug auf die Importe an vierter Stelle: 5,6% aller Importe in die EU stammen aus der Eidgenossenschaft.
Die Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU sind vor allem auf dem Arbeitsmarkt und der Personenfreizügigkeit sehr eng. Ende 2013 lebten 438’000 Schweizerinnen und Schweizer in einem EU-Land; umgekehrt lebten 1,25 Millionen EU-Bürger in der Schweiz.
Eine Zukunft wie Nordkorea
Die neuen Vorstösse der SVP haben bei den anderen politischen Parteien durchwegs negative Reaktionen ausgelöst. «Die SVP will im Prinzip die internationalen Verträge und das internationale Recht aushebeln. Auf diese Weise wird die Schweiz eine Art Nordkorea mitten in Europa», hält de Buman fest.
Für SP-Fraktionschef Andy Tschümperlin versucht die SVP, «die internationalen Beziehungen ins Rampenlicht zu stellen, um die Idee eines ‹gemeinsamen Feindes› zu alimentieren und von den internen Problemen abzulenken. Dabei müssen wir gerade die internen Probleme anpacken, beispielsweise eine gerechtere Verteilung des Reichtums.»
«Wir können keiner Partei verbieten, die Auslandsbeziehungen oder die Einhaltung internationalen Rechts in Frage zu stellen», sagt hingegen Regula Rytz, Co-Präsidentin der Grünen. «Doch wir müssen unsere eigenen Werte verteidigen, das heisst Werte wie eine offene Demokratie, die nicht nur vom Ausland profitieren will, sondern auch an der Lösung globaler Probleme wie Klimawandel oder Energiewende partizipiert.»
Unterschiedliche Standpunkte
Sollten im Wahlkampf die Aussenbeziehungen der Schweiz zu einem zentralen Thema werden, könnte die SVP erneut als Gewinnerin aus den Wahlen hervorgehen. Bereits in der Vergangenheit konnte die rechtsnationale Partei mit ihrer Strategie punkten, jegliche Annäherung an die EU auszuschliessen. Zumal auch dieses Mal nicht mit einer gemeinsamen Gegen-Strategie der Parteien aus der Mitte und dem linken Lager zu rechnen ist, da deren Standpunkte in sozialen und wirtschaftlichen Themen zu stark divergieren.
«Wir sind überzeugt, dass weder die Isolationspolitik der SVP noch die Umverteilungspolitik der SP der Schweiz hilft, sich weiter zu entwickeln. Es braucht liberale Ansätze, um das Gemeinwohl zu schützen und Perspektiven für das Land zu schaffen», hält FDP-Wahlkampfleiter Vincenzo Pedrazzini fest. Die Freisinnigen denken gleichwohl darüber nach, in einem Dutzend Kantone Listenverbindungen mit der SVP einzugehen.
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)
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