Für junge Flüchtlinge ist das Recht auf Bildung oft nur Augenwischerei
Noch nie seit dem Zweiten Weltkrieg gab es weltweit so viele Migranten. Und die Hälfte von ihnen sind Kinder. Wie kann man deren Recht auf Bildung sicherstellen? Anlässlich der Veröffentlichung eines UNESCO-Berichts diskutierten Schweizer Fachleute für Entwicklungszusammenarbeit das Thema.
Die wenigen Zahlen, die gestern in Bern anlässlich der Schweizer Lancierung des Unesco-Berichts «Global Education Monitoring Report 2019Externer Link» in Erinnerung gerufen wurden, reichen aus, um die Situation als «katastrophal» zu beurteilen, wie Daniel Endres vom Hochkommissariat für Flüchtlinge der Vereinten Nationen sagte.
100 Kinder pro Klasse
Botschafter Thomas GassExterner Link, Vizedirektor und Chef des Bereichs Südzusammenarbeit der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA)Externer Link, sagte nach seiner Rückkehr von einer Reise im Süden Äthiopiens, wo eine Million Flüchtlinge lebt, dass er vom Besuch einer Schule «schockiert» gewesen sei: «Ursprünglich war die Schule für ein Dorf mit 5000 Einwohnern geplant, jetzt gibt es in der Nähe ein Lager mit 70’000 Flüchtlingen. Humanitäre Helfer haben hastig zwei zusätzliche Räume aus Wellblech gebaut, aber das reicht offensichtlich nicht aus. Es gibt bis zu 100 Schüler und Schülerinnen pro Klasse und unter diesen Bedingungen können die Lehrpersonen kaum mehr tun als Babysitten.»
«Die im Weltbericht der Unesco definierten strategischen Achsen sind auch jene der DEZA. Wir müssen den Kreislauf der Armut bei der jungen Generation durchbrechen», sagte Gass. Das Recht auf Bildung wird durch internationale Verträge garantiert. Die Umsetzung gehört zu den Zielen für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen. «Wenn die Bildung von Flüchtlingen und Migranten vernachlässigt wird, wird ein riesiges Potenzial vergeudet», schreibt die DEZA, die helfen will, «die Entstehung verlorener Generationen zu verhindern».
Konkret engagiert sich die Schweizer EntwicklungszusammenarbeitExterner Link in Jordanien, Niger oder Nepal für fast 190’000 Kinder und Jugendliche, die vor dem Krieg in Syrien oder der Gewalt von Boko Haram geflohen sind, oder die eine Ausbildung brauchen, um in den Golfstaaten zu arbeiten.
Die Schweiz ist Musterschülerin, aber…
Flüchtlingskinder, die in ein entwickeltes Land migrieren, haben natürlich bessere Chancen. Der Unesco-Bericht zitiert unter anderem das Beispiel der speziellen Klassen für fremdsprachige Migranten in Zürich.
Aber in der Schweiz, «einem reichen Land, das nicht viele Flüchtlingskinder hat», wie Maria Zumbühl von der Universität Bern betonte, werden die Empfehlungen des Weltberichts nicht immer vollständig umgesetzt.
Während der Kanton Basel-Stadt Gratis-Deutschkurse für Migranten sogar ausserhalb des schulischen Rahmens anbietet, wollte der Kanton Thurgau sogar die Kurse an der Grundschule kostenpflichtig machen. Kürzlich wurde der Kanton jedoch vom Bundesgericht im Namen des durch die Bundesverfassung (Art. 19) garantierten Anspruchs auf unentgeltlichen Grundschulunterricht zur Ordnung gerufen. Doch die Sache ist noch nicht zu Ende, denn die rechtsbürgerliche Mehrheit des Thurgauer Parlaments hat sich für die Lancierung einer Initiative zur Änderung der Bundesverfassung ausgesprochen.
(Übertragung aus dem Französischen: Sibilla Bondolfi)
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